Patrizia Trolese (pt profession) im Interview "Statt "Brain"- und "Grey Hair"-Projekte werden heute international standardisierte "Procedure"-Projekte für globale Kunden durchgeführt."

Patrizia Trolese berät unter dem Firmennamen pt profession von Berlin aus seit vielen Jahren Professional Service Unternehmen – u.a. Marktforschungsinstitute, Management- und IT-Beratungen – in Bezug auf das strategische und operative Personalmanagement.

Patrizia Trolese (pt profession)

marktforschung.dossier: Frau Trolese, Sie sind seit mehr als einem Jahrzehnt im Bereich Personalmanagement tätig und zählen auch Marktforschungsinstitute zu Ihrem Kundenkreis. Haben sich die Anforderungen an Marktforscher aus Ihrer Beobachtung in den letzten Jahren signifikant verändert?

Patrizia Trolese: Diese haben sich insbesondere in den großen Adhoc-Instituten ganz deutlich verändert. In vielen Forschungsbereichen haben sich bewährte Erhebungs- und Analysemethoden etabliert. Statt „Brain“- und „Grey Hair“-Projekte werden heute international standardisierte „Procedure“-Projekte für globale Kunden durchgeführt. Der Wettbewerb ist groß und Aktionäre erwarten Profit. Die Forscher sind Client Manager geworden, die Projekte verkaufen, Ergebnisse unterhaltsam und punktgenau präsentieren und Workshops durchführen, die den Kunden weiter bringen. In diesem Sinne hat die Bedeutung von Softskills bei Marktforschern in den letzten Jahren erheblich zugenommen.

Zudem sind Marktforscher als Client Service Manager heute stärker Wissensträger entweder in Bezug auf bestimmte Themen wie Marke oder in Bezug auf Branchen als noch vor einigen Jahren. Es ist Selbstbewusstsein nötig, um Wissen in Handlungsempfehlungen einzubringen und Kunden zu verkaufen. Die Marktforschungsbranche nimmt jedoch vielmehr einen Bedeutungsverlust wahr, der am Selbstbewusstsein nagt. Haben Marktforscher früher Erkenntnisse für das Top Management geliefert, steht heute zunehmend die Generierung von Insights für operative Entscheidungen im Vordergrund. Das geringe Selbstbewusstsein macht es Marktforschern zudem schwer, sich bei neuen Themen wie beispielsweise der „Vorausschau“ in die Zukunft beim Top Management zu positionieren.

marktforschung.dossier: Gibt es hierbei auffällige Unterschiede im Vergleich zu anderen Branchen, bspw. dem Consulting-Bereich?

Patrizia Trolese:
Gerade in der Consulting-Branche ist das Selbstwußtsein immer sehr groß gewesen. Insbesondere die Strategieberater geben seit Ende der 60er Jahre als Lead Discipline dem Top Management Orientierung bei aktuellen Herausforderungen. In Bezug auf das Thema „Zukunft“ haben sich bereits einige Berater etablieren können. Aber auch in der Consulting-Branche hat in den letzten Jahren eine Entzauberung stattgefunden. Wissen über Modelle und Methoden wurde durch die Abwanderung von Consultants in das Management von Unternehmen getragen. Und zuletzt beschäftigt sich die Branche aufgrund mangelnden Wachstums in den traditionellen Feldern ebenfalls stärker mit operativen Themen bzw. sucht nach neuen Geschäftsmodellen.

IT-Berater scheinen in den letzten Jahren hingegen an Selbstbewusstsein gewonnen zu haben. Heute unterstützen sie das Business ihrer Auftraggeber nicht nur durch die Vernetzung der Infrastruktur oder die Implementierung Software gestützter Prozesse. Die IT macht das Business heute in Teilen überhaupt erst möglich. Sie wird zum Business Enabler für Fachabteilungen und das Top Management. Die Zunahme der Nutzung datengetriebener Entscheidungsgrundlagen in Zeiten von Big Data wird diesen Trend noch verstärken. Dieses Segment der Professional Service Branche ist ein schönes Beispiel für einen Bedeutungsgewinn, der höhere Honorare möglich macht als in der Vergangeheit.

marktforschung.dossier: Lässt sich beobachten, dass speziell auf Management-Ebene in Marktforschungsinstituten Skills eingefordert werden, die so vor einigen Jahren noch nicht von Bedeutung waren?

Patrizia Trolese:
Auf Ebene des operativen Managements sind Führungs-Skills und betriebswirtschaftliches Know how für die Leitung von Profit Centern wichtig geworden. Hier machen es sich nicht nur Marktforscher schwer, sondern die gesamte Professional Service Branche. Diese wird insgesamt eher von Experten als von Managern und Machern dominiert. Viele „Wissensarbeiter“ haben aufgrund ihres Berufsethos den Hang, sich auch als Manager noch selbst beim Kunden zu verkaufen. Bei hierarchisch organisierten Professional Service Unternehmen wie bei Marktforschungs- und IT-Beratungen ist professionelles Management jedoch unabdingbar. Insbesondere in großen Instituten sind Führungskräfte immer häufiger keine Experten, sondern Manager aus anderen Segmenten der Professional Service Branche oder aus der Industrie.

marktforschung.dossier: Marktforschung gilt vielen nach wie vor als „People’s Business“ mit stark wissenschaftlicher Prägung. Ist diese Prädisposition Ihrer Einschätzung nach mit dem in den letzten Jahren deutlich gestiegenem Kostendruck immer vereinbar?

Patrizia Trolese: Die Bedeutung einzelner „People“ beim Kundenmanagement nimmt aus meiner Sicht insbesondere bei großen Instituten bzw. insgesamt bei großen Professional Service Unternehmen eher ab. Selbst lange Jahre für ein Unternehmen tätige Strategieberater können sich heute nicht mehr auf ihren Haus und Hof-Status verlassen. Die Reputation des Professional Service Unternehmens spielt eine mindestens genauso große Rolle wie die des einzelnen Beraters. Die Preferred Supplier sind gelistet, im konkreten Fall kommt es zum Pitch. In kleinen und mittleren Marktforschungsinstituten sind persönliche Beziehungen jedoch nach wie vor extrem wichtig und kollidieren immer wieder mit dem Kostendruck, z.B. wenn Geschäftsführer persönlich Präsentationen durchführen, um den Kontakt zu pflegen statt dies dem weniger teuren Projektleiter zu überlassen.

Auch die wissenschaftliche Prägung der Marktforscher ist nicht immer vereinbar mit dem gestiegenen Kostendruck. Der wissenschaftliche Anspruch ist teuer, beispielsweise wenn es um die Stichprobengröße geht. Er kollidiert häufig mit dem Anspruch des Kunden, der seine Entscheidungen nicht ausschließlich auf Basis wissenschaftlich sauber gewonnener Erkenntnisse zu treffen pflegt. Insbesondere für Forscher aus kleinen und mittleren Instituten, die für ihre Kunden hauptsächlich individuelle Adhoc-Studien durchführen stellt der Umgang mit dem Kostendruck jeden Tag aufs neue eine große Herausforderung dar.

Noch ein weiterer Aspekt der wissenschaftlichen Prägung der Marktforschung kollidiert mit dem Kostendruck. Marktforschungsunternehmen haben als Dienstleister im Bereich der „angewandten Forschung“ die Aufgabe, dem Kunden immer einen Schritt voraus und auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher Modelle und Methoden zu sein. Hierzu ist es notwendig, die besten Absolventen maßgeblicher akademischer Disziplinen zu gewinnen. Mit dieser Notwendigkeit kollidiert der Kostendruck ebenfalls gewaltig, denn die umworbenen Absolventen bekommen häufig deutlich bessere Angebote aus der Industrie oder von Managementberatungen.

marktforschung.dossier: Was zeichnet aus Ihrer Sicht heutzutage einen guten Institutsleiter aus?

Patrizia Trolese:
Er muss heute seine explizite oder implizite Balanced Score Card im Kopf haben und in der Lage sein, Finanz-Ziele genauso zu verfolgen wie Innovationsziele, um sich langfristig im Wettbewerb behaupten zu können. Das ist nicht so einfach, da es solch ausgewogene Charaktere eher selten gibt. Der eine kann gut Teams und Kunden entwickeln, der andere hat eher die Kosten und die Optimierung im Sinn.

Es gibt Situationen im Wettbewerbsumfeld, in denen Unternehmensführer entscheiden, eines der Ziele zu priorisieren. Rene Obermann hat die Deutsche Telekom zu einem äußerst innovativen Unternehmen mit zahlreichen Think Tanks entwickelt. Nun wird Timotheus Höttges die schlechte Rendite, die schlechteste unter den DAX 30 Unternehmen im letzten Jahr, aufpolieren. In großen Aktiengesellschaften können Manager je nach Situation ausgewechselt werden. Ein Inhaber, der sein Unternehmen auf lange Sicht führen möchte, sollte ein ausgewogenes Profil entwickeln oder sich einen echten Sparringspartner mit komplementärem Mindset zur Seite stellen.

marktforschung.dossier:
Frau Trolese, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

 

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