Interview mit Bernd Wachter "Startups und neue Geschäftsmodelle oder Herangehensweisen haben schon immer ihren Weg in den ADM gefunden"

Die Öffnung des ADMs für Start-ups und junge Institute scheint erste Früchte zu tragen. Wie ist der Stand diesbezüglich?
Bernd Wachter: Mit deepsight haben wir im letzten Jahr das erste Startup als assoziiertes Mitglied in den ADM aufgenommen. Seit der Öffnung im letzten Jahr haben sich verschiedene junge und kleine Unternehmen für die Mitgliedschaft interessiert. Die Gespräche laufen aktuell noch. Sicherlich war 2020 wegen der Corona-Pandemie für viele Unternehmen ein schwieriges und unsicheres Jahr. Die Öffnung des ADM für junge und kleine Unternehmen wäre in anderen Zeiten sicherlich einfacher gewesen.
Start-ups sind in der Regel besonders dann erfolgreich, wenn sie disruptive Geschäftsmodelle verfolgen. Das bedeutet, dass in der Regel der Status Quo herausgefordert wird, neue Methoden verwendet werden, die bisherige Methoden in Frage stellen oder obsolet machen. Wenn man davon ausgeht: Können Start-ups wie Appinio, Civey oder Dalia wirklich einen Platz im ADM finden?
Bernd Wachter: Startups und neue Geschäftsmodelle oder Herangehensweisen haben schon immer ihren Weg in den ADM gefunden. Man denke nur an die Telefonmarktforschung oder die Online-Forschung. Neu ist lediglich, dass es keiner Marktzugehörigkeitsdauer von drei Jahren Bedarf, um - zumindest als assoziiertes Mitglied - aufgenommen zu werden. Wir haben diesen Schritt ins Auge gefasst, weil es immer wieder Anfragen von Start-ups gab. Natürlich haben wir auch nachgefragt, warum sie eine Mitgliedschaft erwägen. Hier waren vor allem die berufsethischen Standards und Qualitätsanforderungen eine Begründung. Die Unternehmen wollen mit der Mitgliedschaft zeigen, dass sie sich nicht über alle ethischen und moralischen Prinzipien hinwegsetzen, sondern, dass sie diese für richtig halten und anwenden. Die Anwendung neuer Methoden steht nicht im Widerspruch zu einer Mitgliedschaft im ADM. Der ADM muss sich sogar an der Diskussion über neue Methoden beteiligen und tut das auch. Deshalb werden aber das Wissenschaftlichkeits-, Anonymitäts- und Trennungsgebot sowie die Bestimmungen aus den Richtlinien und Qualitätsstandards nicht über Bord geworfen.
Vergangenes Jahr wurde die große Vergleichsstudie des ADM zur Suche der idealen Methoden-Kombination angekündigt. Wie ist hier der Stand?
Bernd Wachter: Sicherlich können Sie sich vorstellen, dass die Realisierung einer solchen Studie mit hohen Kosten verbunden ist. Die Finanzierung ist aus den Geldmitteln des ADM und seiner Mitglieder aktuell nicht machbar. Deshalb liegt die Studie zurzeit auf Eis.
Wie ist das erste Jahr Corona-Pandemie für den ADM selbst gelaufen?
Bernd Wachter: Natürlich sind auch die Mitgliedsinstitute von der Corona-Krise schwer getroffen. In der Context-Liste wurde gerade ein Umsatzrückgang von 25 Prozent in der Branche berichtet. 2020 befanden sich in mehr als 70 Prozent der ADM-Mitgliedsunternehmen Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit. Bei mehr als 80 Prozent (der ADM-Mitgliedsunternehmen) wurden Studien im ersten Lockdown gecancelt oder verschoben. Dennoch fiel der Rückblick auf 2020 besser aus, als zu befürchten war. In der Konjunkturumfrage des ADM aus dem Januar haben 69 Prozent der Institute auf eine vergleichsweise gute bis sehr gute zweite Jahreshälfte zurückgeblickt. Natürlich konnte diese den Umsatzrückgang aus der ersten Jahreshälfte nicht vollständig kompensieren.
Die Corona-Krise hat vieles verändert. Einige Prozesse beschleunigt, andere Entwicklungen gestoppt. Wie sind Ihre Gedanken zur Zukunft der Branche aktuell?
Bernd Wachter: Die Corona-Krise ist ein Digitalisierungsbeschleuniger. Institute und Dienstleister haben sich der Situation schnell angepasst und während des Lockdowns digitale Methoden angewendet. Die Erkenntnisse hieraus müssen sicherlich noch genau analysiert werden. Aber sicher ist, dass mit den digitalen Möglichkeiten die Offline-Methoden nicht in Gänze ersetzt werden. Sie werden weiterhin ihre Berechtigung behalten. Denn der Blick auf den Bildschirm ist ein anderer, als der Blick in die Augen des Gegenübers. Persönliche Diskussionen sind freier, direkter, spontaner und tiefgründiger. Ich denke, dass es zukünftig ein noch stärkeres Nebeneinander von Online- und Offline-Methoden sowie von Methodenmixes geben wird. Dazu kommen die Verarbeitung und Verknüpfung mit Daten, die im Internet und im alltäglichen Leben anfallen. Diese gilt es zu bewerten und hinsichtlich ihrer Qualität einzuschätzen, um manipulierte Daten von sauberen zu unterscheiden. Überhaupt wird uns das Thema Qualität in Zukunft in allen Bereichen begleiten und sicher auch herausfordern. Denn es wird immer schwieriger werden, Qualität richtig einzuschätzen. Transparenz und offene Diskussionen sind deshalb notwendiger denn je.
Die Corona-Krise hat unterstrichen, wie sinnvoll repräsentative Bevölkerungsdaten wären, z.B. um eine wirkliche Inzidenz bestimmen zu können. Nichtsdestotrotz hantiert die Bundesregierung noch immer mit Zahlen, die keine repräsentativen Aussagen über die Prävalenz von Corona erlauben. Warum schafft es die Marktforschungsbranche nicht, sich stärker Gehör in diesen Diskussionen zu verschaffen?
Bernd Wachter: Sicherlich würde die Branche die Bundesregierung gerne noch stärker unterstützen, als sie es bereits tut. Die Kapazitäten, die Bereitschaft und vor allem das Knowhow sind vorhanden. Aber eine Vielzahl unserer Mitglieder war und ist da auch schon sehr aktiv und hat zum Beispiel mit dem RKI, dem Gesundheitsministerium, dem Helmholtz-Institut und vielen anderen Intuitionen zusammengearbeitet oder diese beraten und auch hochqualitative repräsentative Studien geliefert. Aber unsere Branche arbeitet häufig eher im Hintergrund. Die Protagonisten drängen sich selten nach vorn. Das sollten wir zukünftig ändern. Socialmediakanäle wie zum Beispiel Twitter sollten noch stärker als Kommunikationsplattform der Branche genutzt werden, um ihr die verdiente Aufmerksamkeit zu bringen.
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/jr
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