"Akte Marktforschung" Staatsanwaltschaft beginnt mit Ermittlungen

Von Jörg Stroisch
Ein "SPIEGEL"-Artikel sorgte für große Aufregung in der Branche. "Dokumente belegen, dass eine ganze Reihe der 50 größten Institute in Deutschland zumindest teilweise mit unsauberen Methoden arbeiten", behauptet das Magazin. marktforschung.de berichtete bereits mehrfach. Neuere Recherchen durch die Redaktion ergaben einige neue interessante Details.
CSI und ACE sind insolvent
Namentlich benennt der "SPIEGEL" die Unternehmen ACE und CSI. Deren Websites sind mittlerweile abgeschaltet. Und bei beiden Unternehmen wurde auch Insolvenz angemeldet. Bei CSI wurde am 8. Februar das Insolvenzeröffnungsverfahren angeordnet, vorläufiger Insolvenzverwalter ist hier der Dortmunder Rechtsanwalt Stephan Karl Michels. Hier waren sowohl Henning Eichholz, Jahrgang 1966, als auch Christiane Eichholz-Meister, Jahrgang 1963, als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen. Beide waren für Stellungsnahmen nicht zu erreichen. Die ACE-International GmbH aus Köln trat gut einen Monat später, am 8. März, vor das Amtsgericht. Hier wurde dann ebenfalls ein Insolvenzverfahren eröffnet und zum vorläufigen Insolvenzverwalter der Kölner Rechtsanwalt Christoph Nüsser bestellt. Auch hier war der Geschäftsführer Alexander Runge für eine Stellungsnahme nicht zu erreichen. Sowohl für ACE-International als auch für CSI International existieren aber in der Wayback-Machine von Archive.org noch halbwegs aktuelle Websitedarstellungen.
CSI und ACE warben mit BVM- und ADM-Mitgliedschaften
Bei CSI International wird da das Team rund um Geschäftsführer Eichholz anschaulich präsentiert auf einem großen Foto mit der Frage "Sie suchen ausgezeichnete Ergebnisse?" "Wissen ist besser als Vermuten", steht dort weiter, das "ehrgeizige Team hochqualifizierter Feldforscher" setze sich "für erstklassige Resultate" ein. Stimmen die Vorwürfe, die im "SPIEGEL" stehen, dann wurde der Einsatz für "erstklassige" Resultate vielleicht etwas zu wörtlich genommen. ACE International bewirbt sich als "weltweit agierendes Marktforschungsinstitut". Ausgewählte und professionell geschulte (Telefon-)Interviewer und Moderatoren würden eine "effiziente und qualitativ hochwertige Arbeit im Feld" gewährleisten. "Wir machen Marktforschung", so der Slogan, der auch in einem Youtube-Video präsentiert wird.
Wesentlich unangenehmer für die Branche fühlt es sich aber vermutlich an, dass – neben diesen üblichen Werbesprüchen – beide Unternehmen mit Logos bekannter Dachverbände auf ihren Websites werben. Bei CSI ist es das Logo des BVM und von ESOMAR, bei ACE zusätzlich auch noch das des ADM. Sowohl der BVM als auch der ADM gaben hierzu gegenüber marktforschung.de ausführliche Stellungsnahmen ab.
Verbände berufen sich auf rechtsstaatliche Unschuldsvermutung
Nicht abstreiten lässt sich so, dass auch CSI und ACE sich mit Qualitätssiegeln der Verbände und Branche geschmückt haben. Beide Verbände lassen die Vorwürfe gegen diese Unternehmen aber nicht pauschal stehen. "Zunächst gilt jedoch für jeden von uns die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung, solange keine belastbaren Beweise vorliegen", so der BVM und sieht dies auch dadurch unterstrichen, dass § 9 (d) des ESOMAR-Kodex vorschreibe, dass Forscher andere Forscher nicht ungerechtfertigt kritisieren dürften. Zu den konkreten Fällen verweist der BVM auf seine Satzung und der damit verbundenen Möglichkeit, bei gravierenden Verstößen gegen die Standesregeln auch Unternehmen aus dem Verband auszuschließen. "ACE war und ist jedoch kein korporatives Mitglied des BVM. Darunter versteht der Verband – in Abgrenzung zu persönlichen Mitgliedschaften – die Mitgliedschaft ganzer Unternehmen im Verband. ACE wiederum zeigt auf seiner abgeschalteten Website eine Mitgliedschaft beim ADM auf. "Alleine aufgrund eines Artikels kann man in Deutschland niemanden verurteilen", gibt auch dieser Verband zu Bedenken. "Wir leben in einem Rechtsstaat, der Regeln vorgibt. Genau solche Regeln gibt es auch im Vereinsrecht." Allerdings: Der ADM prüfe derzeit die Voraussetzungen eines Ausschlusses; das Verfahren hierzu müsse aber auf der nächsten Mitgliederversammlung beschlossen werden. "Stellungnahmen der beiden Unternehmen zu den Vorwürfen liegen uns bisher nicht vor", so der Verband weiter.
Verbände verwahren sich gegen Pauschalvorwürfe
Aber natürlich sehen beide Verbände hier – anders als im "SPIEGEL"-Artikel geschrieben – kein generelles Problem der Branche. "Eine pauschale Nennung von 50 Unternehmen halten wir zumindest für grenzwertig", so der BVM. Etwas schärfer formuliert es der ADM: "Wir haben keinen weiteren Hinweis erhalten, dass diese Vielzahl an Instituten unsauber arbeiten und lehnen es in höchstem Maße ab, aufgrund der Artikel auf die gesamte Branche zu schließen." Und weiter: "Der ADM verurteilt jegliche Form von Betrug und Fälschung auf das Schärfste", so der Verband. "So wie die Fälle in den Artikeln dargestellt wurden, geht es um Verstöße sowohl gegen Standesregeln und Berufsgrundsätze, als auch gegen öffentliches Recht. Leider sind einzelne Betrugsfälle in der Branche nie auszuschließen." Im SPIEGEL-Artikel ist aber ganz explizit von etwa 50 Unternehmen die Rede, bei denen unsauber gearbeitet würde. Als aus Sicht der Branche wahlweise Kronzeuge, Whistleblower oder Nestbeschmutzer tritt in diesem Artikel Martin Thöring auf. Und der sagte in einem Interview mit marktforschung.de, dass er gegen sich Selbstanzeige am Amtsgericht Münster gestellt hätte und der Staatsanwaltschaft Münster "unwiderlegbare Beweise und Dokumente für den Betrug übergeben" habe. Nach Recherchen von marktforschung.de liegt beim Amtsgericht Münster keine Selbstanzeige vor – Zitat Pressesprecher: "auf Ihre Anfrage kann ich Ihnen nur mitteilen, dass es beim Amtsgericht Münster keine laufenden Verfahren betreffend die von Ihnen genannte "Selbstanzeige" des Herrn Thöring gibt".
Staatsanwaltschaft bestätigt Verfahren
Die Staatsanwaltschaft Münster bestätigt hingegen Verfahren, kann aber derzeit zum genauen Gegenstand und Sachstand des Ermittlungsverfahrens keine weiteren Auskünfte erteilen. "Die Ermittlungen stehen hier ganz am Anfang. Die Ermittlungsakte ist derzeit zur Durchführung weiterer Ermittlungen versandt", schreibt der zuständige Pressereferent auf Anfrage von marktforschung.de. Hat das Konsequenzen für die Branche? Die beiden Verbände ADM und BVM verweisen in ihren Stellungsnahmen auf bestehende Institute zur Qualitätskontrolle, wie etwa den Rat für Marktforschung. Man werde die in der Weinheimer Erklärung beschriebenen Maßnahmen umsetzen, so der BVM. "Normen und Richtlinien müssen auch gelebt werden", fordert der ADM. Und: "Hier möchten wir auch die Auftragsgeberseite bitten, nachdenklicher mit dem Thema umzugehen und unrealistisch günstige Preise für Studien kritisch zu hinterfragen. Denn Qualität hat nun mal ihren Preis." Die staatsanwaltlichen Ermittlungen können im Sande verlaufen – oder eine neue Dimension an Betrügereien in der Marktforschungsbranche aufdecken. Ob dann die Selbstbezichtigung von Qualitätsstandards und freiwilligen Kontrollen von Qualität beziehungsweise der Appell an die Auftragsgeberseite, weniger stark den Preis zu drücken, noch ausreichen, ist ungewiss.
Eines aber erscheint jetzt schon gewiss: Die Folgen der "Akte Marktforschung" werden die Branche noch länger in Atem halten.
Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden