Nachbericht von der GOR23 in Kassel Sollte man das O in DGOF streichen?

Zum 25. Mal fand die GOR, die Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung, vergangene Woche in Kassel statt. Wie immer im Fokus stand der Einsatz von Online-Forschung, die an Universitäten oder Marktforschungsinstituten betrieben wird. Der Spagat zwischen den beiden Welten funktionierte dabei nicht immer optimal.

Diskutierten über die Vergangenheit und Zukunft der GOR: Bernad Batinic (links) und Dr. Otto Hellwig (Bild: marktforschung.de)

Die Geschichte der DGOF, der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung, ist eng verbunden mit der Konferenz GOR, die vergangene Woche in Kassel zum 25. Mal stattfand. Die Konferenz feierte damit ein rundes Jubiläum, was aber während der Veranstaltung nicht so richtig gewürdigt wurde - außer durch ein Magazin, das verteilt wurde. Einst als Treffen von Pionieren der Online-Forschung 1997 in Köln gestartet, um sich über die damals noch in den Kinderschuhen steckende Forschung über das Internet auszutauschen, hatte die GOR in den 2000er Jahren ihre Blütezeit. Damals entstanden erste Unternehmen aus der akademischen Welt wie zum Beispiel Globalpark, das heute Tivian heißt. Und auch die kommerzielle Marktforschung entdeckte mehr und mehr die Möglichkeit, das Internet als Datenerhebungskanal zu benutzen.

Das Alleinstellungsmerkmal der GOR war dabei stets beide Welten unter einem Dach zu vereinen: Einerseits Forschende, die sich an Universitäten mit Online-Methoden beschäftigen, und andererseits Marktforschende, die das Internet als Erhebungskanal nutzen.

Dieser Spagat war für die Organisatoren der GOR seit den Anfangstagen herausfordernd. So sagte eine Teilnehmerin aus der Marktforschung in Kassel, dass sie die beiden Welten auf der GOR eher als ein „Nebeneinanderher“ statt als ein „Miteinander“ erlebe. Diese Wahrnehmung ist durch die parallelen Konferenzstränge, in denen sich die Vertretenden der jeweiligen Seite zu ihren Themen austauschten, auch problemlos möglich. Bei den beiden Keynote-Vorträgen kam das Auditorium, dass in Kassel aus knapp 200 Besuchenden bestand, allerdings zusammen.

Die Geschichte der Marketingforschung rasant erzählt

Die Keynote aus der kommerziellen Marktforschung wurde in diesem Jahr von Dr. Steffen Schmidt vom eidgenössischen LINK-Institut übernommen.

Sein Vortrag hatte ähnliche Merkmale wie der letzte James-Bond-Film: Ein rasantes Tempo, die Logik der Story nicht immer sofort verständlich und vollgestopft mit Product-Placement.

Ähnlich einem Influencer „featurte“ Schmidt unter anderem EyeSquare, Quantilope, Neuroflash, Neurons, Causal AI und die Agentur Kochstraße. Darüber konnte das Thema des Vortrags, „The Evolution of Marketing Research: From Insights 1.0 to 5.0“, schon einmal in den Hintergrund geraten, und die im Kasseler Hörsaal 5 eingebaute Mikrofonanlage kam beim Staccato des Vortragenden an ihre Grenzen.

Dr. Steffen Schmidt vom Link Institut (Bild: marktforschung.de)

Auch das Chart mit dem Anstieg der „Prediction Power“ von 25 auf 75 Prozent im Laufe der Entwicklung der Marketingforschung von 1.0 bis zum heutigen 5.0 dürfte nicht jedem unmittelbar verständlich gewesen sein. Dennoch war gerade die abschließende Demonstration, wie man mittels des Einsatzes verschiedener AI-Tools (siehe gelistete Unternehmen oben) heutzutage Umfrageforschung realisieren und Ergebnisse verarbeiten kann, eine Augenweide.

Was man mit einem Panel alles machen kann

Für die zahlenmäßig größere Gruppe der Besuchenden aus der akademischen Welt dürfte dennoch die zweite Keynote, vorgetragen von Professor Arie Kapteyn vom amerikanischen Center for Economic & Social Research von der University of Southern California, fassbarer gewesen sein. Die Überschrift lautete „Population representative survey, wearables, and contextual data”. In seiner langen akademischen Karriere war Kapteyn unter anderem Direktor des niederländischen CentER Instituts, an dem das akademische LISS-Panel initiiert wurde.

Dr. Bella Struminskaya (links) und Prof. Arie Kapteyn kurz vor der zweiten Keynote (Bild: marktforschung.de)

Vom Alter her ist Arie Kapteyn eher bei den Golden Girls anzusiedeln als bei James Bond. Dennoch scheint der Forscherdrang des mittlerweile 77-jährigen ungebremst. Er zeigte auf, welche methodischen Ergänzungen im Rahmen der 2014 gestarteten Längsschnittstudie „Understanding America“ ausprobiert werden. So wurde ein Teil der 13.000 Panelteilnehmenden zum Beispiel mit Smartwatches oder Geräten zur Messung der Luftqualität ausgestattet, um herauszufinden, worin Ungleichheiten und Disparitäten in Amerika wurzeln.

Auch der Frage nach dem Vergleich von Opt-In und Probability-Panels widmete er sich und kam zu dem Ergebnis, dass selbstrekrutierte Opt-In-Panels in Bezug auf die Repräsentativität der Daten ungefähr halb so genau sind wie probabilistisch-rekrutierte Pendants. Teilnehmende an Opt-In-Panels hätten eine stärkere Tendenz auf Ja/Nein-Fragen mit „Ja“ zu antworten.

Aufgrund seiner Forschungen in Amerika schätzt er den Anteil an unseriösen Teilnehmenden an Panelumfragen aktuell auf 25 Prozent.

Das O in DGOF streichen?

"Datenqualität von Online-Panelumfragen" dürfte auch eines der Themen sein, mit denen sich die nächste GOR beschäftigen wird, so der DGOF-Vorsitzende Dr. Otto Hellwig im Rahmen der Podiumsdiskussion zum Thema „25 mal GOR, 25 Jahre DGOF - aus der Vergangenheit in die Zukunft. Eine Diskussion ehemaliger und amtierender Vorstände“. Diese wurde von Lisa Dust, Facts & Stories, und Sabine Menzel, L'ORÉAL Deutschland, moderiert.

Aktuelle und ehemalige Vorstände der DGOF (von links): Alexandra Wachenfeld-Schell, Bella Struminskaya, Olaf Wenzel und Yannick Rieder (Bild: marktforschung.de).

Könnte man das O aus DGOF eigentlich streichen?", fragte Lisa Dust zu Beginn, da ja mittlerweile der Großteil der Umfragen ohnehin online erhoben würde. Nein, so der Tenor der Vorstände, es gäbe immer noch viel zu diskutieren, gerade durch das aufkommende Feld der Künstlichen Intelligenz. Das Interesse der Konferenzteilnehmenden an dem Rück- und Ausblick, den die sechs DGOF-Vorstände Bernad Batinic, Otto Hellwig, Yannick Rieder, Bella Struminskaya, Alexandra Wachenfeld-Schell und Olaf Wenzel vornahmen, hielt sich allerdings in Grenzen.

Die Synergieeffekte zwischen akademischer und kommerzieller Welt seien immer noch zahlreich, so Struminskaya, und nannte als ein Beispiel die Nutzung von Universitätsgebäuden, wodurch die Tagungskosten günstiger ausfallen würden.

Batinic merkte kritisch an, dass Uni-Leute immer seltener auf die GOR kämen, und die GOR ja mittlerweile zumeist auch an Fachhochschulen und nicht mehr an Universitäten stattfände (Hinweis der Redaktion: Wie auch im nächsten Frühjahr an der Rheinischen Fachhochschule in Köln von 21.-23. Februar 2024).

Die terminliche Rückkehr in das Frühjahr sei durchaus eine Herausforderung, so die aktuellen DGOF-Vorstände, da für die Vorbereitung gerade mal ein halbes Jahr (Hinweis der Redaktion: 153 Tage) zur Verfügung stünden. Dennoch sei die Terminwahl sinnvoll, da im Herbst die Eventdichte zu groß sei, was sich in diesem Jahr auch negativ auf die Teilnahmezahlen ausgewirkt habe.

Fazit: Was bleibt von der GOR23 in Kassel?

Das Fazit am Ende einer zweitätigen Konferenz mit 49 Präsentationen, zwei Keynotes, zwei Podiumsdiskussionen, einer Poster Session und der Verleihung diverser Awards dürfte für alle Teilnehmenden unterschiedlich ausfallen. Vieles war gut, einiges war verbesserungswürdig. Herausragend war sicherlich das Networking beim Early-Bird-Meeting und der GOR-Party, für die tolle Locations gefunden wurden. Auch das Catering vor Ort und die Mensa der Uni Kassel überzeugten.

Die DGOF hätte sich mehr Teilnehmende in Kassel gewünscht. Angesichts der parallel in Köln stattfindenden Dmexco und dem Esomar-Kongress in Amsterdam in der Vorwoche war dies – wie zu erwarten - ein schwieriges Unterfangen. Im Laufe der 25 GORs gab es immer mal wieder Konferenzen, die im Rückblick als Zäsur betrachtet werden können. Allein schon durch die kurze Vorbereitungszeit für die nächste GOR 2024 in Köln wird die DGOF gezwungen sein, ihre Vorgehensweise zu überdenken, damit wieder mehr Menschen den Weg zur 26. GOR - dann in Köln-Ehrenfeld - finden werden.

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