Smartphone-Daten vs traditionelle Marktforschung Smartphone-Sensordaten als Chance für die Marktforschungsbranche

Smartphones sind unser alltäglicher Begleiter geworden. Dabei sammeln und erfassen sie die ganze Zeit Daten, die sich nutzbar machen lassen. Prof. Alexander Markowetz vom Unternehmen Murmuras spricht über die Chancen für die Marktforschungsbranche.

Prof. Alexander Markowetz, Mitgründer - Murmuras  (Bild: SNFV GmbH)

Smartphones liefern enorme Mengen an Daten und damit umfassende Einblicke in das Leben ihrer Benutzer. Als ständige Begleiter ermöglichen sensorreiche Handys einen unvergleichlichen Zugang zum täglichen Leben und zu den Verhaltensweisen der Menschen. Die Verhaltens- und Marktforschung bedient sich jedoch nach wie vor mit Umfragen und Fokusgruppen jahrzehntealter Methoden. Diese Methoden generieren zumeist grobe, wenig granulare Erkenntnisse, aufgrund einmaliger Snapshots mit den Befragungssituationen inhärenten beträchtlichen Biases (Erinnerungsvermögen, sozial erwünschte Antworten/Verhaltensweisen, Tagesform, etc). 

Die Coronakrise macht besonders gut sichtbar, dass traditionelle Methoden zu langsam sind, um der mehrdimensional hohen Marktdynamik gerecht zu werden. Der eCommerce boomt, während der stationäre Handel massiv leidet. Die Lage bleibt aber äußerst dynamisch. Vor allem profitieren und verlieren die Unternehmen unterschiedlich stark, je nachdem wie schnell und kreativ sie auf Änderungen reagieren können. Um die Folgen der Krise langfristig zu überstehen, müssen aber sowohl online als auch stationär die Geschäftsmodelle und Kommunikationskanäle dynamisch aktualisiert werden. Internet-Giganten wie Google, Facebook und Amazon besitzen riesige proprietäre Datenreservoirs über digitales Nutzungs- und Kaufverhalten und können sich dadurch signifikant besser und schneller auf das dynamische Marktgeschehen einstellen - von diesen Daten und Insights profitieren aber kaum andere Unternehmen.

Smartphones als neue Datenquelle

Um mit diesen Umwälzungen mitzuhalten und den Bezug zu Kundinnen und Kunden nicht zu verlieren, müssen Unternehmen neue Datenquellen erschließen. Smartphones eröffnen völlig neue Möglichkeiten zur Studie menschlichen Verhaltens. Es lassen sich sowohl die digitalen am Handy (z.B. in welcher App suchen/kaufen Personen Produkte), als auch die physischen Aktivitäten in der realen Welt (z.B. welche Geschäfte besuchen Personen) festhalten und kombiniert analysieren. Die branchenspezifischen Insights sind vielfältig: Vom Leseverhalten (welche Social-Media Beiträge liken Nutzer) über Mobilitätsverhalten (ruft der Nutzer bei Regen ein Taxi, statt ein Fahrrad zu mieten) bis hin zu Sport- (Heimtrainingapps vs. Outdoor-Jogging- und Wanderapps) und Reisepräferenzen (günstiges Couchsurfing und Airbnb oder teure Hotelwebseiten).

Gleichzeitig können bei geringen Betriebskosten wesentlich längere Untersuchungen durchgeführt, mehr Teilnehmende erreicht und sogar kontinuierliche Zeitreihenanalysen möglich gemacht werden. Diese objektiven Verhaltensdaten können durch intelligente Fragen (mittels Push- Mitteilungen) zu beliebigen Zeitpunkten ergänzt werden: "Sie haben gerade ein Café verlassen, wie hoch waren Ihre Ausgaben?" oder "Sie haben gerade auf eine Facebook-Werbung geklickt, wollen sie das Produkt wirklich kaufen oder fanden Sie nur die Werbung interessant?"

Welche Einblicke gewährt die Analyse der Smartphone-Daten?  

Zur Analyse des Smartphone-Verhaltens für Wissenschaft und Marktforschung können objektive Daten von Probandinnen und Probanden mit einer App erfasst werden. Dabei können tiefgehende Analysen mit Tausenden Datenpunkten pro Nutzenden durchgeführt werden. Es können auch ohne höhere Grenzkosten hunderte von Personen angeschlossen werden. Hierfür sind das Einvernehmen und die Aufklärung der Teilnehmenden in DSGVO-konformer Weise und nach ethischen Standards dringend erforderlich. Je nach Fragestellung und technischen Kapazitäten der App, können eine Reihe von Daten erfasst werden:

  1. Welche Apps nutzen sie? Wie lange, wie oft, zu welcher (Tages-)Zeit und an welchen Orten? 
  2. An welchen Orten befinden sie sich (anhand GPS und anderen Standortinformationen)? Wie bewegen sich Personen fort?
  3. Welche App-Inhalte sehen sie (z.B. Werbeanzeigen)? Wie interagieren sie in Apps (z.B.: Likes von Beiträgen, Teilen von Artikeln)?
  4. Kontextsensitive Fragen in Echtzeit (z.B. "Sie haben gerade in einem Shopping-Center die Amazon App genutzt, haben Sie Preise recherchiert?")

Beispiel einer Smartphone-Studie mit der Murmuras-App (Ausschnitt: ein Teilnehmender am Morgen):

Smart Phone Data (Bild: murmuras)
Eine beispielhafte Smartphone-Nutzungsmessung am Morgen (Bild: murmuras)

Weckzeit 6:30 Uhr

  • Ein Werbelink der Konkurrenz angeklickt
  • Drei Likes und ein Post auf Facebook während des Aufenthalts am Hbf
  • Im Büro Kontakte-App benutzt

Weitere Beispiele für Smartphone-Studien mit pseudonymisierten Daten.

Wo liegen die Chancen für die Marktforschungsbranche?  

In der Markt- und Verbraucherforschung sind objektive, detaillierte Daten aus Verhaltensstudien zur Analyse des tatsächlichen Kundinnen- und Kundenverhaltens notwendig, um eine kundenzentrierte Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen sicherzustellen. Durch die Analyse der Smartphone-Daten können neue Modelle des Verbraucherinnen- und Verbraucherverhaltens entwickelt werden. Hierbei können insbesondere die folgenden Fragestellungen analysiert werden: 

  • Welche Werbeanzeigen sehen sie auf dem Handy und wie ist die Reaktion (z.B. in Social Media)? 
  • Welche Informationen berücksichtigen bestimmte Gruppen, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen (z.B. welche Shopping Apps/Webseiten/Suchbegriffe)?
  • Wie Verhalten sie sich in physischen Geschäften (z.B: Preisvergleiche, Rezensionen)? 
  • Was sind neue Trends auf dem Markt und werden beworbene Trends tatsächlich gesehen und gekauft (z.B: neue Social Media Platformen wie TikTok, neuartige Fitnessapps wie Freeletics, Diättagebuchapps, Homecookingapps wie Hello Fresh?)?

Wie sieht es mit dem Thema Datenschutz/Ethik aus?  

Datenschutzbestimmungen und ethische Bedenken sind von Region zu Region sehr unterschiedlich. Aber selbst in Gebieten mit strengeren Vorschriften wie Europa (DSGVO) können Studien zur Analyse von Smartphone-Daten durchgeführt werden, solange die Rechte der Probandinnen und Probanden gewahrt werden. Die ethischen Fragen, die sich in der akademischen Forschung stellen, gehen jedoch über den Datenschutz hinaus, da es internationale ethische und wissenschaftliche Standards, wie die Erklärung von Helsinki und das DFG-Memorandum zur Gewährleistung guter wissenschaftlicher Praxis gibt.

Unserer Meinung nach ist eine klare und transparente Kommunikation mit den Teilnehmenden bei der Erhebung sensibler Daten von entscheidender Bedeutung. Die Teilnahme an einer Studie sollte immer freiwillig sein, und es sollte jederzeit möglich sein, die Studie ohne Angabe von Gründen zu beenden. Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass jede nicht kommunizierte Verwendung von Daten (d.h. Zielwerbung) oder gar die Weitergabe an Dritte ausgeschlossen ist.

Über den Autor:

Prof. Alexander Markowetz, Mitgründer - Murmuras (Bild: Murmuras)
Prof. Alexander Markowetz, Murmuras (Bild: Murmuras)
Prof. Alexander Markowetz ist Informatiker, Autor und Mitgründer von Murmuras. Derzeit lehrt er Informatik an der Philipps Universität Marburg. Zuvor war er Juniorprofessor an der Friedrich-Wilhelms Universität Bonn. Er befasst sich seit 2012 mit der Erforschung menschlichen Verhaltens mittels Smartphones.

 

 

Täglicher Newsletter der Insightsbranche

News +++ Jobs +++ Whitepaper +++ Webinare
Wir beliefern täglich mehr als 9.000 Abonnenten

/pj

 

Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

EXKLUSIV

Murmuras GmbH

Bonn

Murmuras GmbH

11

Das Startup Murmuras erfasst und analysiert Konsum- und Werberelevante Nutzungsdaten aus mobilen Apps: Wie werden Produkte/…

Diskutieren Sie mit!     

  1. Bernd Wachter am 02.02.2021
    Sehr geehrter Herr Prof. Markowetz,
    das, was Sie zum Thema "Thema Datenschutz/Ethik" schreiben, ist bei weitem nicht hinreichend. Nicht nur die DSGVO, auch der Esomar-Kodex, die deutsche Annahmeerklärung dazu und weitere Bestimmungen des Standesrechts der Deutschen Markt- und Sozialforschung verpflichten zu klarer und transparenter Kommunikation mit den Teilnehmenden, die Teilnahme an einer Studie MUSS immer freiwillig sein und kann jederzeit beendet werden. Und die "nicht kommunizierte Verwendung von Daten (d.h. Zielwerbung) oder gar die Weitergabe an Dritte" SOLLTE nicht ausgeschlossen sein, sie IST ausdrücklich VERBOTEN - und das ist keine Frage der Information der Studienteilnehmer, selbst ein Einverständnis dazu darf gar nicht erfragt werden ("Trennungsgebot"). Das, was sie wohl ein wenig fahrlässig als SOLL bezeichnen, sind tatsächlich längst MUSS-Vorschriften der Deutschen Markt- und Sozialforschung. Im Detail finden Sie das auf der Website des ADM.
    Viele Grüße
    Bernd Wachter
  2. Alexander Markowetz am 08.03.2021
    Sehr geehrter Herr Wachter,
    entschuldigen Sie bitte die späte Antwort, ich wurde erst heute auf Ihren Kommentar aufmerksam gemacht. Sie haben vollkommen Recht: Das sind zwingende „MUSS“-Kriterien in Deutschland und auch bei Murmuras. Wir haben uns bei der Bezeichnung "soll" am internationalen ESOMAR-Codex Article 4 (c) orientiert: "Passive Datenerhebung soll auf der Zustimmung der Forschungsteilnehmer beruhen...".

    Bei Murmuras halten wir uns an alle von Ihnen genannten Bestimmungen (ICC/Esomar-Kodex, inkl. Deutsche Erklärung) und speichern die Daten ausschließlich auf deutschen Servern. Wir kooperieren in Smartphone-Sensing Projekten mit einer Reihe von deutschen Universitäten unter strengen Datenschutz-, Ethik-, und Sicherheitsstandards. Gemeinsam mit den wissenschaftlichen Einrichtungen implementieren wir auch modernste Methoden zur Sicherung der Datensouveränität (u.a. statistische und kryptographische Verfahren der Differential Privacy). Details können wir gerne auch persönlich besprechen.
    Beste Grüße
    Alexander Markowetz

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de