Analyse zur Studie „Spannungsfeld Männlichkeit“ Sind Handgreiflichkeiten gegenüber Frauen kein Tabu mehr?

Sind Handgreiflichkeiten gegenüber Frauen kein Tabuthema mehr? Die Studie "Spannungsfeld Männlichkeit" zeigt erstaunliche Ergebnisse (Bild: picture alliance / PIXSELL | Davor Puklavec/PIXSELL).
- Mehr als ein Drittel (34 Prozent) der Männer gibt an, dass sie gegenüber Frauen schon mal handgreiflich werden, um ihnen Respekt einzuflößen.
- 48 Prozent der Befragten fühlen sich gestört, wenn Männer ihr Schwulsein in der Öffentlichkeit zeigen.
- 43 Prozent sagen, sie fahren gern draufgängerisch und schnell Auto.
Diese und andere Ergebnisse der Studie „Spannungsfeld Männlichkeit“ der Hilfsorganisation Plan International bekommen aktuell viel mediale Aufmerksamkeit. Die befragten 18-35-jährigen Männer aus Deutschland scheinen einem traditionellen Rollenbild zu folgen, dass längst überwunden zu sein schien. Dementsprechend ist die Empörung groß.
Gibt es für junge Männer keine Tabuthemen mehr?
Doch warum sind die Ergebnisse bei Fragen, die eigentlich tabu-behaftet sein sollten, so eindeutig? Jeder Dritte wird handgreiflich gegenüber Frauen, jeder Zweite fühlt sich von Homosexualität gestört?
Normalerweise würde man bei einer Umfrage zu den Themen Sexualität oder dem Umgang mit Homosexualität auf Seite der Befragten mit dem Effekt der sozialen Erwünschtheit rechnen müssen. Als Soziale Erwünschtheit wird die Tendenz bezeichnet, Selbstauskunftsfragen in der Weise zu beantworten, dass die eigenen Aussagen weniger dem realen Erleben und Verhalten und dafür stärker sozialen Normen und Erwartungen entsprechen. Dies geschieht etwa, indem normverletzende Verhaltensweisen (wie zum Beispiel Drogenkonsum oder das Schlagen von Frauen) heruntergespielt und sozial konforme Verhaltensweisen (zum Beispiel Hilfsbereitschaft) übertrieben werden.
Müsste nicht der Effekt der sozialen Erwünschtheit wirken, wenn danach gefragt wird, ob man gegenüber einer Frau handgreiflich wird? Oder ist das Schlagen von Frauen etwa kein Tabu mehr?
Wie immer bei Studien, die überraschende Ergebnisse veröffentlichen, lohnt es sich, genauer hinzuschauen und nachzufragen.
Wir konnten mit Eckhard Preis sprechen, Geschäftsführer des Kölner Instituts Transpekte, dem Institut, dass die Studie für Plan International betreut hat. Eckhard Preis ist seit fast dreißig Jahren Marktforscher, Diplom-Psychologe und Mitglied im BVM. Vor dem Schritt in die Selbständigkeit hat er unter anderem als Medienforscher für IP Deutschland gearbeitet. Ein Studienleiter mit weitreichender Erfahrung, die man auch an dem versierten Studienaufbau ablesen kann.
Liegt bei der Zielgruppe nahe: Eine Online-Stichprobe
Die Stichprobe wurde als standardisierte schriftliche Online-Befragung im Access-Panel von moweb research erhoben. Es wurden bereinigt 947 Männer und 949 Frauen im Alter von 18-35 Jahren befragt. Die Stichprobe wurde nach den Merkmalen Bildung (zwei Abstufungen - ohne Abschluss bis mittlerer Abschluss vs. Hochschulreife und abgeschlossenes Studium) und Alter (drei Gruppen: 18-24 Jahre, 25-29 Jahre und 30-35 Jahre) quotiert. Eine zusätzliche Gewichtung fand nicht statt, da die Quoten bereits auf Basis der amtlichen Statistik definiert wurden.
Unabhängig von Bildung und Alter wurden Fallzahlen für die regionale Aussteuerung der Stichprobe vorgegeben. Dazu wurden vier Gebiete definiert (Nord, West, Süd, Ost) und die jeweils gewünschten Fallzahlen vorgegeben. Die Wahl eines Online-Panels, um die Zielgruppe der 18–35-jährigen Männer zu erheben, ist eine naheliegende Wahl. Auch die Quotenvorgaben sind positiv zu bewerten, da laut Aussagen des Studienleiters Bildung und Alter einen deutlichen Effekt auf die Ergebnisse haben.
Insgesamt ein sehr naheliegender Studienansatz, bei dem man lediglich die Frage stellen könnte, ob nicht eine Repräsentativ-Gewichtung die Aussage untermauert hätte, dass die Stichprobe repräsentativ für die Zielgruppe der 18-35-jährigen Männer sei. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Ergebnisse damit deutlich anders ausgefallen wären.
Warum greift der Effekt der sozialen Erwünschtheit hier nicht?
Doch kommen wir zurück zu der Frage, warum die Ergebnisse so eindeutig sind und offensichtlich Effekte der sozialen Erwünschtheit kaum zu wirken scheinen. Auch wenn wir nicht wissen können, wie bestimmte Einstellungen, zum Beispiel zu Gewalt gegenüber Frauen, in der Population der Männer von 18-35 Jahren tatsächlich verteilt sind, so überrascht, bzw. erschreckt der hohe Prozentsatz der Zustimmung in der Stichprobe. Jeder Dritte schlägt Frauen. Jeder Zweite fühlt sich von Homosexuellen gestört.
Dies wurde in der Befragung allerdings auch dadurch forciert, dass nicht nach dem Verhalten der Männer direkt gefragt wurde, sondern Statements anderer Männer vorgegeben und nach der Zustimmung bzw. Ablehnung auf einer 4er-Skala zu dem jeweiligen Statement gefragt wurde. Es gab keine Möglichkeit für die Befragten eine Frage nicht zu beantworten („weiß nicht“ oder „keine Meinung“).
Die Statements wurden versehen mit der Formulierung:
"Uns interessiert, ob sie auch auf dich zutreffen, wenn du in der jeweiligen Situation bist oder wärst."
Ein Beispiel aus der Befragung soll das verdeutlichen: Es ist also nicht danach gefragt worden, ob die Befragten selbst schon einmal handgreiflich gegenüber Frauen geworden sind. Sondern es wurde danach gefragt, ob die Aussage „Gegenüber Frauen werde ich schon mal handgreiflich, um ihnen Respekt einzuflößen“ auch auf den Befragten selbst zutreffen könnte, wenn er in der jeweiligen Situation wäre.
Ein kleiner, aber wichtiger Unterschied.
Die angewendete Fragentechnik nennt sich „indirekte Fragen“, eine Vorgehensweise, die besonders häufig bei Tabuthemen zum Einsatz kommt, bei denen mit Effekten sozialer Erwünschtheit zu rechnen ist.
Der Einsatz von indirekten Fragen lag bei dem Studienthema nahe, allerdings hätten die Autoren von Plan International bei der Interpretation der Ergebnisse etwas vorsichtiger zu Werke gehen sollen.
Schlägt jeder dritte junge Mann Frauen?
Eine Aussage, wie sie an einigen Stellen in der Studie vorgenommen wird, wie zum Beispiel „Mehr als ein Drittel (34 Prozent) der Männer gibt an, dass sie gegenüber Frauen schon mal handgreiflich werden, um ihnen Respekt einzuflößen“ ist damit nicht korrekt. Das impliziert nämlich, dass tatsächlich 34 Prozent der jungen Männer schon mal handgreiflich gegenüber Frauen geworden wären oder dies beabsichtigen zu tun.
Richtig ist aber, dass 34 Prozent der befragten Männer sagen, dass diese Aussage auch auf sie zuträfe, wenn sie in der jeweiligen Situation wären (Anmerkung: was schlimm genug ist).
Der große Unterschied zwischen Einstellung und Verhalten
Aber Marktforschende wissen, dass es einen großen Unterschied zwischen Einstellung und Verhalten gibt. Denken Sie nur mal ihre letzten Neujahrsvorsätze. Setzen Sie alles, was Sie am Anfang des Jahres vorhaben, auch in die Realität um?
Was bei den Neujahrsvorsätzen schlecht ist, dürfte in diesem Fall Glück sein. Zumindest für die Frauen, die mit jungen Männern regelmäßig Umgang pflegen.
Gerade in der Sozialpsychologie gibt es viel Forschung, die sich mit dem Zusammenspiel von Einstellung und Verhalten beschäftigt. Auch in der Werbeforschung gibt es viel Literatur dazu.
Fazit der Forschung: Auch wenn Verhalten durchaus mit Einstellung zusammenhängt, so gibt es keine 1:1 Beziehung. So ist glücklicherweise davon auszugehen, dass nicht jeder dritte Befragte auch tatsächlich gegenüber Frauen handgreiflich werden wird.
Gefährlich und bedenklich bleibt die hohe Akzeptanz solcher Verhaltensweisen gegenüber Frauen aber dennoch. Und damit hat die Studie einen Wert, da sie hoffentlich einen gesellschaftlichen Diskurs in Gang setzen, der dringend geführt werden muss. 63,5 Milliarden kostet Deutschland jährlich die Folgen des Patriarchats, so Boris von Heesen in seiner Analyse toxischer Männlichkeit. Auch wenn die Ergebnisse der Plan International Studie dramatischer präsentiert werden als sie tatsächlich sind.
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