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Sebastian Götte, ADM „Sicher ist es für Kaufentscheidungen nicht von Nachteil, wenn man weiß, dass ein Software-Anbieter ADM-Mitglied ist“

Seit 2020 können sich auch Start-ups dem ADM als assozierte Mitglieder anschließen. Wie wird das Angebot angenommen?
Sebastian Götte: Wir sind sehr zufrieden mit der Resonanz auf unsere Öffnung. Der ADM hat ja eher so ein Image als „altehrwürdige“ Institution, da ist es nicht selbstredend, dass sich junge Gründer und Gründerinnen für eine Mitgliedschaft interessieren. Bisher haben sich aber – aus unserer Sicht: schon – drei Start-Ups als assoziierte Mitglieder angeschlossen. Mit anderen sind wir im Gespräch. Es kommt also frischer Wind in den Verband.
Was müssen Start-ups mitbringen, um überhaupt in den ADM aufgenommen zu werden?
Sebastian Götte: Grundsätzlich kann bei uns jedes privatwirtschaftliche Unternehmen Mitglied werden, das wissenschaftliche Markt- und Sozialforschung betreibt oder Dienstleistungen dafür anbietet und seinen Sitz in Deutschland hat. Natürlich müssen zukünftige Mitglieder auch unsere Qualitätsstandards sowie die Satzung, Berufsgrundsätze, Standesregeln und Beschlüsse des ADM einhalten. Ist ein Unternehmen weniger als drei Jahre tätig – was ja für die meisten Start-Ups gilt –, dann erhält es eine assoziierte Mitgliedschaft. Diese beinhaltet alle Rechte und Pflichten mit Ausnahme des Stimmrechts. Sobald das Unternehmen drei Jahre existiert und einen Mindestjahresumsatz von 500.000 Euro erreicht, erhält es eine ordentliche Mitgliedschaft. Das sind die Regularien. Darüber hinaus freuen wir uns aber vor allem auf interessante neue Perspektiven, innovative Ansätze und sympathische Menschen.
Ist es für Start-ups, die den Fokus auf "Software für die Marktforschung” haben, überhaupt empfehlenswert Mitglied zu werden?
Sebastian Götte: Unbedingt! Denn Software ist ja ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Und wie wir alle beobachten können, werden immer mehr Arbeitsschritte in Software verlagert. Da ist es für beide Seiten – Verband und Anbieter – wichtig, die jeweilige Sicht auf Markt- und Sozialforschung zu kennen. Konkret: Anbieter lernen im Verbandsleben, welche methodischen, standesrechtlichen und auch ethischen Anforderungen ihre Software beachten muss. Sie erfahren darüber hinaus in unseren Diskussionen, für welche Aufgaben und Prozesse die anderen Verbandsmitglieder Software benötigen könnten. Und sicher ist es auch für die Kaufentscheidung nicht von Nachteil, wenn ein Institut weiß, dass ein Software-Anbieter ADM-Mitglied ist, dessen Standards kennt und einhält.
Aber auch wir als Verband profitieren von Software-Anbietern in unseren Reihen. Wir bekommen so hautnah die rasanten Entwicklungen mit, die sich im Bereich der Automatisierung unserer Branche vollziehen. Wir erfahren, welche Unterstützung sich Software-Anbieter von einer Interessenvertretung wünschen. Nicht zuletzt ist der ADM ja einer der wichtigsten Verhandler der Branche, wenn es um politische Regulierungen geht.
Und weil wir uns als Stimme der gesamten Branche verstehen, ist es wichtig, dass auch die gesamte Branche in unseren Reihen vertreten ist.
Gibt es beim ADM auch Möglichkeiten als Start-up gefördert zu werden?
Sebastian Götte: Konkrete Fördertöpfe haben wir nicht, übrigens auch nicht für andere Arten von Unternehmen. Der Kontakt zu wichtigen Playern auf dem Markt und das „Gütesiegel“ der ADM-Mitgliedschaft können aber für das Wachstum des Unternehmens gewinnbringend eingesetzt werden. Gerade Neueinsteigern in der Branche mit einer tollen Idee im Gepäck fehlt ja manchmal die Orientierung, wie gewisse Dinge in der Markt- und Sozialforschung funktionieren. Diesen „Stallgeruch“ können sie sich bei uns holen.
Sie als ADM-Vorstandsmitglied haben einen sehr guten Überblick über die Marktforschungsbranche. Was treibt die Branche aktuell? Welche Trends zeichnen sich ab?
Sebastian Götte: Man sieht das ja ganz gut bei Eurem Start-Up-Pitch: Die Branche wird zunehmend bereichert durch Unternehmen, die eine innovative Idee für ein konkretes Problem haben. Meist ist das verbunden mit einer eigenen Softwarelösung. Das steht den „klassischen“ Instituten diametral gegenüber, die sich zunächst als Alleskönner präsentiert und dabei externe Softwarelösungen genutzt haben. Solche klassischen Institutsneugründungen sehen wir nur noch selten, meist als Ausgründung. Die beschriebene „Toolorientierung“ führt dazu, dass Kunden und Kundinnen zunehmend nicht mehr nur ein Hausinstitut beschäftigten, sondern Marktforschungsleistungen diversifiziert einkaufen. Gleichzeitig fördert das die viel beschworene Demokratisierung der Marktforschung mit all ihren Vor- und Nachteilen, die ständiger Inhalt unserer Diskussionen sind. Denn auch wenn viele Toolanbieter auch professional services anbieten, sind die Tools prinzipiell von Laien und Laiinnen bedienbar. Und dann liegt es sowohl am Tool selbst als auch an der Ausbildung der Nutzenden, wie strikt qualitativ relevante Anforderungen (z. B. an den inhaltlichen Input oder die Stichprobe) eingehalten werden. Da gilt immer noch, was schon mein Methodendozent im Soziologiestudium sagte: „SPSS [und jetzt eben Tool XY] kann Ihnen alles berechnen. Sie müssen wissen, was davon sinnvoll ist.“
Und sowohl die Nutzenden als auch wir als Branche müssen darauf vertrauen, dass die Tools mit ausreichend methodischer Expertise programmiert wurden. Wenn sie das sind, dann können sie aber die Augen öffnen für die Kreativität und Vielfalt unseres Forschungsfeldes.
Generell sehen wir ja seit einigen Jahren eine Entwicklung vom klassischen Forschungsprojekt á la „Fragebogen – Erhebung – Auswertung – Präsentation“ für alle Fragen hin zu ganz unterschiedlichen Ansätzen, weil eben auch die Fragestellungen ganz unterschiedlichen Charakter haben. Da leben oft in einem Unternehmen verschiedene „Bohrungstiefen“ mit verschiedenen Geschwindigkeiten und eben auch verschiedenen Qualitätsansprüchen nebeneinander. Die Kunst ist dann, zum einen zu wissen, welche Instrumente wofür geeignet sind oder auch nicht. Und zum anderen deutlich zu machen, wie weit bestimmte Ergebnisse Gültigkeit haben und mit welchem Grad an Verlässlichkeit. Denn salopp gesagt: Auch „quick and dirty“ hat ja seine Berechtigung, solange man es als „quick and dirty“ benennt.
Für uns als Verbände stellt sich mit diesen Trends der Toolorientierung, Diversifizierung und Demokratisierung die Aufgabe, regelmäßig zu prüfen, ob unser Regelwerk noch alles adressiert. Denn im Prüffall ist es ja dieses Regelwerk, auf das sich die Branchenteilnehmer beziehen sollen.
Und es gibt einige neue Methoden, zu denen man da noch keine Qualitätskriterien findet. Dort up-to-date zu bleiben, wird zunehmend anspruchsvoller.
Auch dafür ist es übrigens gut, wenn neue Player mit neuen Methoden im ADM vertreten sind.
In welchem Bereich benötigt die Branche Innovationen? Wo ist die Branche teilweise sogar schon gesättigt, was neue Ideen betrifft?
Sebastian Götte: Eine Innovation, die ich interessant und auch dringend notwendig fände: Wie kann die Marktforschung dazu beitragen, dass Unternehmen nicht mehr durch Wachstum erfolgreich sind (bzw. sein müssen), sondern durch das maßvolle Angebot nachhaltig sinnvoller Produkte? Der Wesenskern von Marktforschung ist ja bisher, Unternehmen durch wissenschaftliche Forschung zu mehr Absatz/Umsatz zu verhelfen. Nun stehen wir global-gesellschaftlich an einem Punkt, wo wirtschaftliches Wachstum zumindest in der „westlichen Welt“ mehr Schaden als Nutzen generiert.
Wir müssen also unser Wirtschaftssystem radikal umbauen, und da wird es nicht helfen, nur bisher Produziertes etwas nachhaltiger zu produzieren.
Da brauchen wir sowohl ein Umdenken auf Produzenten- als auch auf Konsumenten- und Konsumentinnenseite. Wir haben ja unsere Kunden über Jahrzehnte dabei unterstützt, Menschen zu verlässlichen Konsumenten und Konsumentinnen zu „erziehen“.
Die Innovation wäre jetzt also, dieses Mindset hin zu einem sozial-ökologisch sinnvolleren Konsum zu entwickeln.
Schlagworte sind hier „Nutzen statt besitzen“, „Sharing is Caring“ oder die Durchsetzung ehrlicher Preise. Das Gute ist: Die Methoden und Tools dafür haben wir bestimmt schon. Innovativ müssen wir dazu nur bei den Fragestellungen werden.
Sie sitzen das erste Mal in der Jury bei unserem Start-up Pitch. Worauf sind Sie besonders gespannt?
Sebastian Götte: Ich leite mit aproxima ein relativ traditionell arbeitendes Institut. Da wir größtenteils Sozialforschung betreiben, kommen wir mit vielen der im Marktforschungsbereich kursierenden Innovationen kaum in Berührung. Allein deshalb bin ich gespannt, welche neuen Ideen im Pitch präsentiert werden. Manche Unternehmen werden ja gegründet, weil man sieht, dass man mit etwas viel Umsatz machen kann. Das ist für mich uninteressant – ich finde es wichtig, dass eine Idee am Start ist, die tatsächliche Bedürfnisse in der Branche clever bedient oder einen Pfad öffnet, der sie nachhaltig bereichert. Darauf freue ich mich!
Melden Sie sich jetzt für den Start-up Pitch am 22. November um 15 Uhr an!
Über die Person
Sebastian Götte ist Gesellschafter, Prokurist und Senior Berater bei aproxima Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung Weimar mbH. Das Thüringer Full-Service-Institut mit starkem Schwerpunkt in der Sozialforschung hat er von Beginn an mitgeprägt und leitet dort aktuell die Themenbereiche Nachhaltigkeitsforschung, Gesundheits- und Risikoforschung sowie empirische Organisationsentwicklung. Außerdem ist er Vorstandsmitglied im Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforscher (ADM) sowie bei der... mehr
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