Ralf Weinen, A&B One Sekundärforschung: Mehr als "gibt es schon, googeln wir, kostet nichts"

Wann sollte primär und wann sekundär erhoben werden? (Bild: picture alliance / Zoonar | Lena Ivanova)
A&B One ist eine Kommunikationsagentur, d. h. Sie haben immer wieder kurzfristig neue Themen und Fragestellungen auf dem Tisch, zu denen Daten und Insights generiert werden müssen. Welche Rolle spielt dabei die Sekundärforschung?
Ralf Weinen: Sekundärforschung wird ja oft verkürzt auf: gibt es schon, googeln wir, kostet nichts. Für uns heißt Sekundärforschung aber auch: sich einarbeiten und schauen, was andere zum Thema geforscht, geschrieben, gedacht haben. Wir stellen uns bei A&B One halt gern den komplexen Aufgaben, und die Fragen meiner Kollegen und Kolleginnen aus der Beratung sind daher meist recht speziell: Wie hat sich die coronabedingte Patientenzurückhaltung in den Krankenhäusern entwickelt? Welche Rolle spielen Eltern bei der Berufsentscheidung ihrer Kinder, und worauf kommt es ihnen an? Wie ist das Investitionsverhalten in einem bestimmten Bundesland? Gute Kommunikationsstrategien brauchen gute analytische Grundlagen. Sekundär-Daten sind ein Teil davon, liegen bei solchen Themen aber nicht auf der Straße.
Wie verläuft der Prozess, wenn eine Fragestellung bei Ihnen auf dem Tisch landet?
Ralf Weinen: Zunächst rückfragen, am besten persönlich! Auf falsch verstandenen Briefings sind schon viele Frau- und Manntage verschwendet worden. Als qualitativer Forscher gehe ich dann wie immer gerne offen ran, also achtsam umkreisend, und das heißt konkret meistens Googeln. Es hilft, sich breiter einzulesen, mit der Zeit zeigen sich dann die Muster im Gemenge. Die eigentliche Kunst besteht darin, sich nicht zu verzetteln und die Spreu vom Weizen zu trennen. Es gibt ja nicht zu wenige, sondern eher zu viele Daten, oft auch schlechte, veraltete, unpassende.
Welche Werkzeuge neben Google nutzen Sie noch?
Ralf Weinen: Statista ist eine wahre Fundgrube, nicht nur für den ersten Überblick, denn meist ist auch die komplette Studie abgelegt, allerdings hinter der Bezahlschranke. Die amtlichen Statistiken (destatis) werden oft unterschätzt, das liegt leider auch an der Usability; Wikipedia ist hingegen bei Daten häufig veraltet. Danach wird es dann schnell themen- und aufgabenspezifisch: z.B. Markt-Media-Studien zum Verbraucherverhalten oder Studien von Unternehmensberatungen und Finanzdienstleistenden zu Wirtschaftsfragen. Am besten recherchiert man zunächst die relevanten Institutionen und surft diese dann direkt ab. Verbände, Initiativen, Beratungen und öffentliche Einrichtungen, vom Bundesministerium über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bis zum Bezirksamt, haben oft wahre Datenschätze, die sie aber kaum aktiv vermarkten.
Welche Studien helfen Ihnen am meisten bei Ihrer Arbeit?
Ralf Weinen: Jede Zahl muss eingeordnet und interpretiert werden. Daher freue ich mich, wenn ich qualitative Insights zum Thema finde, weil qualitative Studien einen Deutungsrahmen liefern und oft auch Lösungsansätze aufzeigen. Zu finden z.B. hier auf marktforschung.de, oder direkt auf den Webseiten der einschlägigen Institute. Bei quantitativen Befragungen schätze ich Daten über konkretes Verhalten, also z.B. x Prozent sind Vegetarier. Gefälligen Absichtserklärungen (x Prozent wollen weniger Fleisch essen) traue ich nicht über den Weg…
Haben Sie für unsere Leser spezielle Tipps, um auch an verborgenere Datenschätze zu gelangen?
Ralf Weinen: Im Anhalter durch die Galaxis war das Problem von „42“, der Antwort auf alle Fragen, dass die Frage zu vage gestellt war. Am wichtigsten ist also die Suche nach dem richtigen Suchwort, da wird die Google-KI noch überschätzt. Ein Beispiel: „Investitionslücke“ bringt gut 50.000 Treffer bei Google, „Investitionsquote“ über 500.000, gleich mit Diagrammen, auch zur Investitionslücke. Ansonsten gilt: Umwege erhöhen die Ortskenntnis. In Literaturangaben finden sich z.B. oft weitere Quellen oder zumindest die Player, die sich mit dem Thema befassen. Oft lohnt ein Blick in die Fachpresse oder in Qualitätszeitungen, wo kundige Journalisten oder Journalistinnen schon einmal gründlich recherchiert haben.
Es gibt mittlerweile immer mehr Möglichkeiten, innerhalb weniger Stunden selbst eine Umfrage über ein Panel durchzuführen. Wie entscheidet sich, ob nur sekundäranalytisch gearbeitet wird oder auch Primärdaten erhoben werden?
Ralf Weinen: Primär nach Kosten und Nutzen. Das Neugeschäft von Agenturen ist ohnehin ein Investment, das man natürlich durch eigens erhobene Daten zusätzlich aufwerten kann. Direkte Kundenfragen, z.B. zum Kundenverhalten oder Marktpotenzialen, lassen sich oft nur durch Primärforschung beantworten, weil die vorhandenen Daten schon zu alt sind oder die falschen Marken oder Zielgruppen differenzieren. DIY-Mafo kann ein schnelles und preiswertes Tool sein; man muss nur prüfen, ob die gesuchte Zielgruppe selektiert werden kann. Eltern von Abiturienten und Abiturientinnen sind halt nicht so einfach zu rekrutieren, auch nicht im Online-Panel. Am Ende wird DIY wohl vor allem für die Daten- oder Produkt-PR genutzt, und alle anderen Tools haben natürlich weiter Bestand. Wenn es um einen ersten Eindruck geht, bringt Social-Media-Listening übrigens oft ein anschaulicheres Bild als ein paar geschlossene Fragen im Online-Panel.
Auf was sollte man besonders achten, wenn man sekundäre Daten z. B. in einer Pressemitteilung erwähnen möchte oder in einer Pitchpräsentation verwendet?
Ralf Weinen: Als Marktforschende sollten wir immer einen Blick in den Maschinenraum werfen: Von wann ist die Studie, wie groß ist die Stichprobe, was konkret wurde gefragt? Es gibt Befragungen von Unternehmensberatungen, wissenschaftlich begleitet, die bei n=67 noch Subgruppen differenzieren. Und es gibt leider den Trend, nur noch selbst gebastelte Scores zu veröffentlichen, nicht mehr die zugrundeliegenden Fragen. Wenn Seriosität und Plausibilität nicht geprüft sind, drohen peinliche Rückfragen.
Die korrekte Quellenangabe muss bei der Verwendung selbstverständlich sein. Die viel zitierte Quelle „Statista“ gibt es übrigens gar nicht, weil Statista Daten nicht selbst erhebt, sondern bündelt und aufbereitet. Zu nennen ist also das Original (z.B. „Ministerium für…“), ggf. mit dem Hinweis „zitiert nach Statista“.
Wenig empfehlenswert finde ich PR-Pressemeldungen, die vorwiegend auf Sekundärdaten beruhen. Journalisten und Journalistinnen schätzen es, wenn der Absender oder die Absenderin selbst in Forschung investiert oder eigene Daten präsentiert, nicht nur woanders abschreibt– auch wenn das noch so gut recherchiert ist.
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