Kolumne von Oliver W. Schwarzmann Schwarzmanns Horizont: Zurück ist das neue Vorwärts

Es war einmal?
Ja, der Mensch ist ein geborenes Fortschrittswesen, unentwegt und mutig in die Zukunft strebend, einfach märchenhaft. Schließlich gilt es, neue Welten – also: Märkte – zu erobern. Und selbst ich schrieb einst: „Das Beste, was wir aus der Vergangenheit lernen können, ist, sie nicht zu wiederholen.“ Doch das war einmal. Zumindest bis ein Virus über uns hereinbrach, gar nicht märchenhaft, eher einem Horrorstreifen gleich. Der nach wie vor läuft: Hier die Unvernünftigen, Uneinsichtigen und Drängler, dort die mahnenden, aber ungehörten Wissenschaftler, jetzt das Reißen um einen Impftermin wie Raubtiere um ihre Beute. Dazwischen ein Staat, der an sich denkt. Mich wundert es nicht, dass keine Außerirdischen bei uns landen (wollen).
Nun, wer hätte das tatsächlich gedacht: Die gute alte Zeit war 2019. Und wie sich die Zeiten schnell ändern – in knapp 2 Jahren hat sich die Zukunftsorientierung umgedreht. Rückwärtsgewandt ist sie jetzt, was bisher in der Wirtschaft als Schimpfwort galt. Aber klar, verständlich – wir möchten, dass es „normal“ wird, will heißen: So, wie es eben einmal war. Unbeschwert. Unkompliziert. Märchenhaft eben.
Tja, „Zurück ist das neue Vorwärts“. Wir wollen wieder – oder an dieser Stelle besser gesagt: „erneut“ – die Verhältnisse vor Corona, also 2019, das Jahr, das an die Wunderzeit der 1950er und 1960er Jahre erinnert. Zukunft bedeutet neuerdings Rückkehr. Oder zumindest ein wenig zurück – „neue Normalität“ genannt. Also mehr 2019 in 2022, wenn möglich.
Verkehrte Welt?
Doch, was macht das mit uns, wenn wir die Zukunft rückwärts sehen? Ich denke: Wir suchen nach Gewissheiten, unseren Wurzeln, nach dem Wesentlichen. Corona demonstriert ja eindrücklich, wie verletzlich wir sind, dass nichts sicher und selbstverständlich ist. Das kratzt am Ego und gibt zu denken. Was ist mir wirklich wichtig?, fragen sich deshalb viele. Antworten gibt es: Die Wirtschaft will Wachstum, der Staat Steuern, der Mensch Sinn. Wirtschaft und Staat gehen noch zusammen, aber der Sinn, nun ja, was ist damit?
Wer hat da eine Antwort?
Sollen wir tatsächlich wieder so weitermachen wie bisher? Die Frage hat sich schon oft gestellt, auch vor Corona, lange vor 2019 schon. Geändert hat sich nichts. Das ist für manche die Antwort. Aber so einfach wird es nicht mehr werden, denn die Jugend hat die Zukunft für sich – also die eigene – entdeckt. Und zwar dort, wo sie eigentlich ist: vorne.
Die eigentlich als partysüchtige Social-Media-Selbstdarsteller Stilisierten sind politisch geworden. Damit konnte keiner rechnen; Politikverdrossenheit galt als Status quo. Wobei Politik bei Jugendlichen als „Macht“ im Sinne eines Aufrufs verstanden und korrekt als „Handelt!“ übersetzt wird. Sie wollen nicht mehr ohnmächtig sein, und das nicht nur durch die Pandemie, bei der sie vergessen wurden und trotzdem alles bezahlen dürfen. Nein, auch der Klimawandel und ansonsten noch die zunehmende Spaltung von Arm und Reich, die ausufernde Bürokratie… und so weiter, ja, es gibt eine Menge, was nicht in Ordnung ist und auf ihre Rechnung kommt.
Also doch eine Zukunft?
Die neue Normalität kann also keine Rückkehr sein, schon gar nicht für die Jugend. Die strebt längst woanders hin. Wirtschaft und Staat werden dem, wonach der Jugend der Sinn steht, nicht so leicht nachkommen können, das ist schon jetzt mehr als offensichtlich. Es wird, so denke und hoffe ich, nicht normal. Heißt: Die Zukunft würde endlich – „wieder“ (ja hier möchte ich’s sagen) – spannend werden. Viel spannender als 2019. Das könnte uns tatsächlich nach vorne bringen. Und damit vieles besser werden. Weil anders.
Über den Autor:

/jre
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden