Sagen Sie jetzt nichts … – wie Marktforschung auch ohne Worte ein gutes Bild abgeben kann
Von Laura Ostländer und Dr. Jessica Schomberg
Viele werden die oft verwendete Analogie des Eisbergs kennen: Nur ein Bruchteil dessen, was ursächlich für Verhalten und Einstellungen ist (die Spitze des Eisbergs), ist uns bewusst. Der überwiegende Teil dessen, was uns Menschen antreibt, bleibt im Verborgenen (unter der Wasseroberfläche). Statt bewusster Prozesse sind also vielmehr innere, Faktoren Auslöser für Einstellungen und Verhalten. Klassische Marktforschung, die von bewussten Entscheidungen und dem Vermögen des Probanden zur Introspektion ausgeht, kann hier an ihre Grenzen stoßen.
Doch welche Möglichkeiten gibt es über verbale Abfragen hinaus, sich in der Marktforschung den Empfindungen der Zielgruppe zu nähern und tiefer an das innere Erleben zu gelangen (den Kern des Eisbergs)? Ein Ansatz ist der Einsatz von Bildern: Sie bieten die Möglichkeit, Emotionen, Motive und affektive Einstellungen gegenüber Werbung oder Marken implizit zu messen. Im Folgenden wird eruiert, welche Vorteile die Bildauswahl gegenüber klassischen Messmethoden bietet und wo diese Methode an ihre Grenzen stößt.
Vorteile des Einsatzes von Bildern in der Marktforschung:
- Intuitive und schnelle Verarbeitung der Empfindungen: Die Hirnforschung hat gezeigt, dass Bilder weitgehend schnell und automatisch verarbeitet werden, ohne komplexe gedankliche Verarbeitung (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2013) wie sie bei Texten oft nötig ist. Dadurch wird das Empfinden des Probanden schnell und intuitiv angesprochen und seine Antworten erfolgen spontan, einer Rationalisierung wird entgegengewirkt. Weiterer Vorteil: Auch sozial erwünschte Antworten werden so vermieden – der intuitive Zugang zu den Bildern erfolgt, bevor das Antwortverhalten mit bestehenden gesellschaftlichen Normen abgeglichen und in Einklang gebracht werden kann.
- Leichter Zugang zu schwer verbalisierbaren Eindrücken, wie beispielsweise Geschmackserlebnisse. Insbesondere Sinneseindrücke werden häufig in Bildsprache übersetzt, wie etwa "das riecht blumig" oder "das schmeckt fruchtig". Hat der Proband die Möglichkeit, seine Empfindungen mit Hilfe von Bildern zu beschreiben, fällt diese Übersetzung weg. Aber nicht nur Sinneseindrücke, auch wie eine Marke wahrgenommen wird, kann oft schwer in Worte gefasst werden. Einem eventuellen Informationsverlust bei der Übersetzung von subjektiven Eindrücken zu objektiv Beschreibbarem wird durch den Einsatz von Bildern vorgebeugt.
- Probanden mit geringer Affinität zur Sprache können sich mit Hilfe von Bildern besser ausdrücken als ihre Empfindungen verbal zu formulieren. Gerade als Marktforscher ist es unerlässlich, auf Augenhöhe mit der Zielgruppe zu kommunizieren. Bei verbalen Abfragen gelingt dies jedoch nicht immer – Bilder schaffen eine gemeinsame intuitive Sprache für Kunden, Forscher und Probanden.
- Bilder wecken Interesse und erreichen so, dass die Befragten das Interview als abwechslungsreicher empfinden. Dadurch steigt die Motivation bei der Beantwortung der Befragung enorm und dem Aufmerksamkeitsverlust bei Probanden in Folge von Ermüdungseffekten wird entgegengewirkt.
- Ergebnisberichte werden zu Erlebnisberichten: Sie werden grafisch aufgewertet, da beispielsweise die Markenposition visuell in Form einer Imagecloud dargestellt werden kann. Dadurch kann – im wahrsten Sinne des Wortes – anschaulich gezeigt werden, wie die Marke von der befragten Zielgruppe gesehen wird.
- Produkt + Markt hat die Erfahrung gemacht, dass Bilder in der Lage sind bei Markenmessungen die Nuancen in den Positionierungsunterschieden auch zwischen zueinander sehr ähnlichen Marken deutlicher herauszuarbeiten als es verbale Ausdrücke leisten können.
- Bilder eignen sich besonders gut für Low-Involvement-Produkte, da schwach empfundene Eindrücke mit verbalen Skalen schwer zu messen sind. Werden Probanden beispielsweise zu Spülmittelprodukten befragt, kann es für sie aufgrund des geringen Involvements zum Produkt schwierig sein, ein Urteil abzugeben. Bilder hingegen wecken oft verborgene Empfindungen und können so Assoziationen aufdecken, die auf rein rationaler, verbaler Ebene nicht erfassbar sind.
- Mit Bildern gelingt es, bei Segmentierungen emotionale Cluster zu identifizieren. Produkt + Markt hat anhand einer Bildauswahl der Befragten Segmentierungen durchgeführt (Jütting & Koch, 2015). Dabei haben wir Segmente identifiziert, die sich deutlich von den Segmenten unterscheiden, die durch eine Segmentierung mit klassischen Variablen gefunden wurden. Überall dort, wo eine klassische Clusteranalyse problematische Segmente liefert, bietet die implizite Segmentierung mit Bildern eine echte Alternative, um unentdeckte Segmente zu identifizieren.
Nachteile des Einsatzes von Bildern in der Marktforschung:
- Bilder sind oft mehrdeutig. Je nach individuellen Vorerfahrungen, aber auch situativem Kontext, kann ein Bild unterschiedlich interpretiert werden. Beispielsweise mag die Abbildung eines Fahrradhelms für den einen für Sicherheit stehen, für den anderen für Bürokratie und Vorschriften; wiederum ein anderer kann damit den sonntäglichen Fahrradausflug mit der Familie assoziieren, weshalb die Abbildung für ihn für familiäre Werte und Geborgenheit stehen kann. Damit ist die Zuordnung eines Bildes zu einer Marke oder einer Eigenschaft zunächst nur schwer zu interpretieren.
- Nicht unerheblicher Zeit- und Kostenaufwand um die Bilder zu validieren: Was verbinden die Probanden mit dem Bild? Welche Emotionen löst das Bild aus? Gerade weil Bilder mehrdeutig sind, ist der Validierungsprozess von zentraler Bedeutung.
- Bilder veralten schnell. Bilder, die für Modernität und High-Tech stehen, können in wenigen Jahren als altmodisch empfunden werden. Bilder müssen daher ständig aktualisiert und fortlaufend validiert werden.
Mehrdeutigkeit gezielt nutzen
Dem Nachteil der Mehrdeutigkeit hat sich Produkt + Markt angenommen und das Tool VAL|LERY (VALidated galLERY) entwickelt, welches die Mehrdeutigkeiten eines Bildes mit Hilfe eines statistischen Modells berechnet. Es ist klar, dass ein Bild nicht ausreichend mit nur einem einzigen Schlagwort (im Folgenden "Dimension" genannt) beschrieben werden kann. Vielmehr können einem Bild mehrere Dimensionen zugesprochen werden, abhängig vom Kontext, der befragten Zielgruppe und der freien Assoziationen des Befragten.
Wir interpretieren diesen vermeintlichen Nachteil als Vorteil und möchten alle Dimensionen, die hinter einem Bild stehen, nicht nur verstehen, sondern auch genau berechnen und vorhersagen können. Nach jeder Auswahl eines Bildes lassen wir Probanden kurz anhand von Schlagwörtern beschreiben, wofür das Bild steht. Dadurch haben wir eine Datenbank aufbauen können, in der nicht nur hinterlegt ist, in welchen Dimensionen ein Bild interpretiert wird, sondern auch, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Bild mit der jeweiligen Dimension assoziiert wird. So werden dem in Abbildung 1 gezeigten Bild neben Freiheit und Freude auch Dimensionen wie Dynamik und Gesundheit zugeordnet – zu Grunde liegen knapp 800 Bildbewertungen.

Abbildung 1: Verbale Mehrdeutigkeiten zu einem Bild: Das Gefühl von Freiheit, Freude und Dynamik
Durch diese Zuordnungswahrscheinlichkeit von Dimensionen zu Bildern kann beispielsweise eine Marke nicht nur dadurch charakterisiert werden, wie häufig ein Bild zugeordnet wurde, sondern auch welche Dimensionen dahinterstehen. In aggregierter Form lässt sich so feststellen, bezüglich welcher Dimensionen sich zwei Marken unterscheiden. So lässt sich beispielsweise berechnen und darstellen (Abbildung 2), dass Marke A eher für Stärke und Erfolg steht und Marke B eher mit Fürsorge assoziiert wird. Der vermeintliche Nachteil der Mehrdeutigkeit liefert so aus unserer Sicht die Grundlage für ein aussagekräftiges Modell zur Differenzierung von zum Beispiel Marken, Produkten, Herstellern oder Kundenservice. Mit Hilfe des Tools können für die Markenwahrnehmung relevante Positionierungsdimensionen gemessen werden. Auch bisher nicht formulierte Dimensionen oder kundenspezifische Positionierungsfelder können abgebildet werden.

Abbildung 2: Auswertungsbeispiel von VAL|LERY: Wie sich Marken anhand von verschiedenen Dimensionen unterscheiden können.
Bilder bieten so also eine gute Möglichkeit, tiefer in das Erleben des Probanden zu blicken und stellen dadurch eine Ergänzung zur klassischen Marktforschung dar. Doch nicht für jede Marktforschungsstudie eignet sich der Einsatz von Bildern. Bestimmte Themenbereiche lassen sich kaum durch Bilder erläutern. Beispiele hierfür sind Pricingstudien oder die Evaluation visuellen Testmaterials wie Anzeigen, Zeitschriftencover oder Bewegtbilder. Bei der Evaluation visuellen Testmaterials würde der Proband beim Messen mit Bildern in seiner Auswahl zu sehr von inhaltlichen Ähnlichkeiten (etwa ähnliche Bildelemente und Farbgebung) gelenkt werden und weniger auf assoziativer Ebene antworten. Empfehlenswert ist der Einsatz von Bildern hingegen bei Marken- und Imagestudien, Geschmackstest oder zur Segmentierung.
Die Autoren

Laura Ostländer (li.) und Dr. Jessica Schomberg
Laura Ostländer ist Psychologin (M.Sc.) und seit 2012 bei Produkt + Markt tätig. Im Bereich "Customer & Services Research" betreut sie als Research Consultant quantitative und qualitative Projekte und ist darüber hinaus Produktmanager für das Tool VAL|LERY.
Literaturverzeichnis:
Jütting, A. & Koch, M (2015). "Mehr als tausend Worte – mit Bildern segmentieren". Research & Results, 5.
Kroeber-Riel, W. & Gröppel-Klein, A.(2013). "Konsumentenverhalten.", Vahlen.
Zaltmann, G. (2003). "How Customers Think: Essential Insights into the Mind of the Market", Harvard
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