Sag mir, wo das Vertrauen ist

Dr. Daniel Salber
Von Dr. Daniel Salber
Lesen wir einmal zusammen, was uns täglich begegnet:
"Euro-Krise: Deutsche verlieren Vertrauen in die Politik" (DER SPIEGEL)
"Banken: Vertrauen verzockt" (Fokus)
"Das Vertrauen in Lebensmittel ist angeknackst" (WuV)
"Deutsche verlieren Vertrauen in katholische Kirche" (DER SPIEGEL)
"Energiekonzerne verlieren weiter an Vertrauen" (marktforschung.de)
"47% der Nutzer vertrauen Facebook nicht" (allfacebook.de)
"Marktforscher buhlen um Vertrauen" (Nürnberger Zeitung)
Lesen wir die Dinge doch einmal quer, was ergibt sich dann? Eine Politik-Banken-Lebensmittel-Kirchen-Energie-Facebook-Marktforschungs-Krise? Oder handelt es sich um eine durchgehende Erschütterung des Gesellschafts-Gebäudes – befinden wir uns im freien Fall? Oder bauschen "die Medien" das mal wieder auf? Ist den Medien noch zu trauen?
Wie dem auch sei. Im Herbst 2008 begann es mit der "Kredit-Krise". Das Wort Kredit stammt bekanntlich von credere, lat. "glauben". Plötzlich fiel den Bankern wieder ein, was seit Zeiten Keynes’ verpönt war: Wirtschaft hat irgendwie mit "Psychologie" zu tun. Hilfe! Mitten im Herzen der "hard facts" ein ganz, ganz weiches Ding – der Glaube!
Nicht nur das Geld, fast alle gesellschaftlichen Institutionen haben an Kredit verloren. Der Doktortitel des Ministers platzt. Ausstieg aus der Zukunftstechnik. USA stehen vor der Pleite. Britische Städte brennen. Ärzte pfuschen. Öko-Nahrung lebensgefährlich. Die Börse als Spielkasino. Dieselbe Börse, die noch vor zehn Jahren als Sinnbild von Prosperität (ohne Arbeit) galt!
Und was nun? Was tun? Langsam, bitte bleiben Sie am Apparat. Was ist wohl der Rote Faden all dieser Vertrauens-Krisen? Eine unerfüllte Verheißung.
Mir scheint, der Niedergang der FDP ist ein Symptom. Wie keine andere Partei stand (steht?) sie für die seit 1989 unangefochtene Glaubenswahrheit, dass die losgelassene Wirtschaft "von selbst" das Heil der globalen Menschheit verbürgt. Diese nicht einmal im 18. Jahrhundert mit derartiger Naivität gepredigte Verheißung hielt unter dem schönen Titel "Globalisierung" die Welt über 20 Jahre auf Kurs. "Alternativlos", wie Frau Merkel sagte.
Lassen wir dahingestellt, ob die neoliberale Vision jemals realisiert wurde, ob sie überhaupt realisierbar ist, oder ob der Staat sie heimlich untergraben hat, während er laut ihr Loblied sang. Klar ist: Jetzt bröckelt mit dieser obersten sozialen Verheißung alles, was auf sie gebaut hatte – die Parteien von der Rechten bis zur Linken, die Gewerkschaften, Verbände, Tageszeitungen, teilweise auch Marken und Konzerne. Die FDP steckt die Prügel für alle ein. Gleichzeitig findet etwas statt, das den Vertrauensschwund bremsen soll, ihn faktisch aber beschleunigt: der Übergang zu Kontroll- und Gesetzes-Zwängen.
Helmpflicht für Radfahrer. Misstrauen regiert im Innenministerium, in den Schulen, im Marketing. Zu erkennen an ständigen Kontrollen und dem Wunsch, Menschen mit "Beweisen" zu bewegen. So zerrt man Testimonials vor die Kamera, belehrt seine Leser, statt sie zu begeistern, vergisst den Spaß am Produkt oder beginnt, "Emotionen" per Internet zu vermessen. Dieser ganze Kontrollapparat ist verdinglichtes Misstrauen.
In "Vertrauen" steckt jedoch "trauen", "sich trauen". Vertrauen braucht eine Verheißung - es erfordert außerdem Mut, den Mut zum Loslassen. Nur wer mutig nach vorn geht, kann das Vertrauen der Anderen gewinnen. Mit der kollektiven Verheißung ist es derzeit Essig. Wie steht es mit dem Mut? Hat die Zins- und Rendite-Automatik, hat die Erwartung fester Profit- und Lohnzuwächse nicht nur zu Finanzblasen, sondern auch zur Risiko-Vermeidung geführt? Trauen sich Vorstände nichts mehr zu, aus lauter Angst, die definierten Wachstums-Ziele zu verfehlen? Und findet das Wagnis stattdessen bei den Börsenwetten statt?
Ohne Vertrauen, "dass es weitergeht", können Menschen gar nicht existieren. Parallel zu allem Misstrauen, zu aller Risiko-Vermeidung und Formalisierung, wächst die Sehnsucht nach Vertrauen. Sie wird neue Verheißungen, andere Leitbilder (Marken) und mutige Pioniere finden – darauf kann man vertrauen.
Jetzt die gute Nachricht. Mit Kredit, Glaubwürdigkeit, Vertrauen rücken wieder menschliche Verhältnisse in den Blick. Weder reine Zinsrechnerei noch BWL reichen aus, Menschen Mut zu machen oder ihnen einen Weg in die Zukunft zu weisen. Die Krise des Vertrauens ist auch eine Krise der technischen Denkmuster. Sie haben sich von der wirklichen Existenz der Menschen ebenso weit entfernt wie die Finanzspekulation von der Realwirtschaft. Ein anderes, ein humanistisches Denken ist angesagt, um "Vertrauen" zu analysieren. Und wer, wenn nicht wir, kann damit beginnen? Wer kann besser aufspüren, was Menschen glauben, was sie im Herzen wirklich bewegt und wohin die geschichtliche Reise geht?
Ich finde, diese ganze Vertrauens-Krise ist eine einmalige Chance, zu zeigen, was wir können.
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