Sabine Haas: "Es gibt eine Reihe von Tabuthemen in der Marktforschung, die hartnäckig übergangen oder totgeschwiegen werden, weil man die Branche 'schützen' möchte."

Sabine Haas (result gmbh)

Sabine Haas (result gmbh)

Sabine Haas ist Gründerin und Geschäftsführerin der result gmbh. Das Unternehmen ist seit 1995 am Markt und hat sich auf die Bereiche klassische und neue Medien, Marke, Kommunikation sowie Ethno-Research spezialisiert. Im vergangenen November lief das firmeneigene Projekt "netzofant – Medienkompetenz für Pänz" an. Im Interview mit marktforschung.de spricht die Diplom-Psychologin über Nutzen, Möglichkeiten und Verantwortung im digitalen Zeitalter.

marktforschung.de: Frau Haas, Sie haben Psychologie studiert. Welchen Reiz übt die Marktforschung auf Sie als Psychologin aus?

Sabine Haas: Was mir an meinem Beruf besonders gefällt, ist, "Anwalt des Kunden" zu sein. Ich halte es für eine wichtige Aufgabe des Marktforschers, dem Unternehmen die Sicht der Kunden auf ihre Produkte und Leistungen transparent zu machen und die Erwartungen der Kunden zu beschreiben. Es geht für mich nicht darum "aus dem Kunden möglichst viel rauszuholen", sondern ihn in seinen Bezügen und Erwartungen ernst zu nehmen und seine Interessen sowie Kritik gegenüber dem Unternehmen offen zu legen.

marktforschung.de: Würden Sie sagen, dass Sie studienbedingt eine ganz andere Herangehensweise haben als beispielsweise Ihre Kolleginnen aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften?


Sabine Haas: Nein, ich glaube nicht. Psychologie ist ein etablierter Bestandteil der gesamten Marktforschung und daher aus der Branche nicht wegzudenken. Es geht uns als Psychologen im Kern um Erleben, Verhalten, Kognitionen und Emotionen. Wir möchten den Menschen in seiner "Psycho-Logik" begreifen und dieses Verständnis in unseren Studien anwenden. Ein Erfolgsfaktor der Marktforschung ist aber sicher auch der interdisziplinäre Ansatz: Die Zusammenarbeit von Psychologen, Soziologen, Betriebswirten, Volkswirten etc. ist in der täglichen Praxis enorm fruchtbar und führt zu einer Vielfalt an Perspektiven.

marktforschung.de: Sie bedienen mit Ethno-Research ein eher ungewöhnliches Feld. Welche besonderen Herausforderungen werden in diesem Bereich an Sie gestellt?

Sabine Haas: Ethno-Research verlangt eine Menge Erfahrung und viel Hintergrundwissen über Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Wir befassen uns in erster Linie mit türkischstämmigen Zielgruppen und mit russischen Migranten. Es ist sehr wichtig, diese Zielgruppen in ihrer sehr spezifischen Identität zu begreifen und den Forschungsgegenstand in dem jeweiligen Lebenszusammenhang richtig einzuordnen. Natürlich geht das nicht ohne ein Netzwerk von türkisch- bzw. russischstämmigen Marktforschern. Doch andersherum garantiert es keine guten Studienergebnisse, wenn die beteiligten Projektmitarbeiter aus der Zielgruppe der Befragten stammen. Es bedarf einer kompetenten Analyse, bei der die wissenschaftliche Erfahrung ausschlaggebend ist. Dafür sorgt bei der result unsere Expertin Regine Hammeran, die inzwischen auf über 15 Jahre Ethno-Research-Erfahrung zurückblickt.

marktforschung.de: Social Media und Mobile Research werden in Ihrem Unternehmen ganz groß geschrieben, Sie führen viele Eigenstudien zu diesem Thema durch. Welche Aspekte interessieren Sie am Netz besonders?

Sabine Haas: Unser Team bei result ist sehr fest davon überzeugt, dass wir es bei Social Media nicht mit einem Einzelphänomen zu tun haben, sondern mit einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, der durch den digitalen Wandel der Medien angestoßen wird. Die Folgen und Auswirkungen können meiner Meinung nach gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nachwachsende Generationen verfügen über ein grundlegend anderes Verständnis von Wissen, Information und Bildung gepaart mit anderen Erwartungen an Institutionen und Unternehmen. Seriöse Marktforschung muss diese Tatsache im Blick und verstanden haben, sonst ist diese nicht mehr lange in der Lage, ihre Ergebnisse richtig zu lesen.

marktforschung.de: Ihr Unternehmen betreibt einen eigenen Blog, Studien können per Tweet oder Facebook gekauft werden. Wann, wo und wie macht Social Media Ihrer Meinung nach Sinn?

Sabine Haas: Für uns als kleines Unternehmen ist Social Media als Marketinginstrument eine enorme Chance. Während wir früher nur die Möglichkeit hatten, maximal einmal im Jahr im Rahmen eines kostspieligen Messeauftritts unsere Leistungen vorzustellen, können wir nun mittels Social Media kontinuierlich im Dialog mit unseren Kunden und Interessenten bleiben. Natürlich erreichen wir über diese Plattformen nicht alle. Das war allerdings bei einem einmaligen Messeauftritt auch nicht anders.

marktforschung.de: Mit Smartphones und Tablets wird das Spektrum, das von der Marktforschung bedient wird, noch einmal ausgeweitet. Welche Chancen und Erwartungen richten Sie an diese mobilen Medien?

Sabine Haas: Ich glaube, künftig müssen wir als Marktforscher neben den methodischen Rahmenbedingungen auch die Bedingungen der Teilnehmer von Befragungen stärker in den Blick nehmen. Die Bereitschaft, an Marktforschungsstudien teilzunehmen, wird künftig stark davon abhängen, wie viel Spaß und Freude man dabei erlebt. Man kann diese Tendenz unter dem Schlagwort "Gamification" zusammenfassen. Mobile Medien sind hier ein Schlüssel. Diese ermöglichen, bequem und in der jeweils gewünschten Situation an Befragungen und Studien teilzunehmen. Und zwar nicht nur in Form klassischer Fragebögen, sondern in vielfältiger Weise. Damit erweitern mobile Anwendungen den Horizont möglicher Studiendesigns enorm. Es steht uns eine spannende Zeit bevor.

marktforschung.de: Obwohl Social und Mobile Research einen echten Hype erfahren, ist die deutsche Marktforschungsbranche im Web wenig vernetzt. Wie bewerten Sie diese Situation? Ist der Austausch nicht gewünscht oder hat man in der Branche vielleicht auch Angst vor zu viel Transparenz?

Sabine Haas: Ich glaube schon, dass eine Reihe von Marktforschern dem "Geschwätz" in sozialen Netzen sehr skeptisch gegenübersteht. Sie sehen es als Gegensatz zu fundierter Wissenschaftlichkeit, wenn man beispielsweise in Blogs auf eher oberflächlichem Niveau Gedanken und Ideen zum Ausdruck bringt. Das ist in Teilen auch richtig. In den sozialen Medien zu kommunizieren, bedeutet, auch einmal halbfertige Gedanken zu erwähnen oder Dinge zu thematisieren, bei denen man selbst die Antworten nicht liefern kann. Dennoch denke ich, wir kommen künftig ohne diesen Austausch nicht mehr aus. Auch die #break# wissenschaftliche Welt vernetzt und "verflüssigt" sich immer mehr, und nur in der Teilhabe an einer sich austauschenden Gemeinschaft wird man noch zeitgemäße Methoden und Ansätze entwickeln können.

marktforschung.de: Ihr eigenes Unternehmen hat sich diesem Thema recht stark verschrieben. Würden Sie sich manchmal mehr Mut aus der Branche wünschen?

Sabine Haas: Ich würde mir mehr Ehrlichkeit wünschen. Es gibt eine Reihe von Tabuthemen in der Marktforschung, die hartnäckig übergangen oder totgeschwiegen werden, weil man die Branche "schützen" möchte. So beispielsweise die drastisch gesunkene Teilnahmebereitschaft an Marktforschungsstudien, das mangelnde Involvement bei vielen Onlinebefragungen, die zunehmende Anzahl "schwarzer Schafe" bei der Feldarbeit etc. Diese Themen sind allseits bekannt, aber niemand möchte darüber sprechen. Ich glaube, ein transparenter Austausch über diese Themen und ein konstruktiver Umgang damit würden zu besseren Ergebnissen in der Marktforschung führen.

marktforschung.de: Worin sehen Sie die größten Gefahren des Web 2.0?

Sabine Haas: Es gibt eine unzählige Reihe an Gefahren, die mit dem digitalen Wandel einhergehen. Viele davon finde ich sehr beängstigend und hoffe, wir steuern diese neue Medienwelt daran vorbei in ein insgesamt positives Fahrwasser. So halte ich es für ein großes Risiko, dass Social Media derzeit im Grunde beinahe zwangsläufig zu einer Monopolisierung von Anbietern führt. Plattformen im Netz sind vor allem dann spannend, wenn sich dort möglichst viele Nutzer sammeln. Das heißt, wenn es ein jeweils führendes Angebot gibt. Es ist nicht Vielfalt gefragt, sondern Zentralisierung. Das halte ich für gefährlich. Datensammlung ist sicher eine weitere große Gefahr. Wir werden gläserne Bürger und können dies kaum noch steuern. In anderen politischen Zeiten könnte diese Transparenz zu einer großen Gefahr werden. Die zunehmende Kurzatmigkeit durch die sozialen Netze beobachte ich mit großen Bedenken. Nachwachsende Generationen werden kaum noch in der Lage sein (schon gar nicht willens), längere, nicht unterhaltsame Texte zu verstehen und sich zu erarbeiten. Hegel und Co. bleiben dabei gnadenlos auf der Strecke. Damit verlieren wir etwas. Und ich bin noch nicht sicher, ob wir stattdessen Besseres erhalten. Schließlich sind viele Branchen durch die sozialen Netze nachhaltig in ihrer Existenz gefährdet. Verlage, aber auch die Marktforschung müssen neue Positionierungen finden oder werden langfristig nicht überleben. Ich könnte die Liste beliebig verlängern, aber es sei auch betont, dass diesen Risiken eine genauso lange Liste an Chancen gegenübersteht.

marktforschung.de: Mit dem "netzofant" ist vergangenen November ein firmeneigenes Projekt zur Förderung der Medienkompetenz von Kindern angelaufen. Wie ist dieses Projekt entstanden?

Sabine Haas: Wir sind zwar ein kleines Unternehmen, aber seit vielen Jahren sozial engagiert. Dieses Engagement fand zunächst im Rahmen der Kölner Kulturpaten und durch die Unterstützung unseres "Büronachbarn" Fips, einer Kinder- und Familienhilfe statt. Jetzt wollten wir uns in einer Art engagieren, die besser zu unseren Kerntätigkeiten passt. Diese brachte uns auf die Idee "netzofant".

marktforschung.de: Wie stark werden der netzofant-Blog und die netzofant-Seite von Usern genutzt? Sind es eher die Eltern, die Kinder oder die Lehrer, die auf die Projekt-Angebote zugreifen?

Sabine Haas: Eine erfolgreiche Seite für Kinder zu gestalten, hätte unser Budget weit überstiegen. Da wir uns an Grundschüler wenden, hätte die Seite sprachgesteuert und aufwendig multimedial sein müssen. Wir haben daher entschieden, ein Angebot mit Tipps und Hinweisen zum Umgang mit dem Internet bereitzustellen – für Eltern, Lehrer und Interessenten. Dieses Angebot wird sehr gut angenommen, allerdings können wir es wenig bewerben. Auf Facebook haben sich bereits 247 Fans um den netzofanten versammelt. Unser Blog wurde in Hochzeiten pro Tag von 340 Besuchern aufgesucht. Auch das Presseecho war sehr gut. Das hat uns sehr gefreut!

marktforschung.de: Das Projekt endete im Februar. Gibt es schon weitere Pläne?

Sabine Haas: Auf jeden Fall! Unser Ziel ist es, das Projekt fortzuführen. Das bedeutet: Wir werden uns nach einer neuen Partnerschule umsehen, die wir besuchen können. Allerdings ist unser Engagement natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir schaffen es, maximal eine Schule pro Jahr auf diese Weise zu unterstützen. Daher würden wir uns natürlich freuen, wenn das Projekt langfristig einen finanzstärkeren Förderer finden oder in einer größeren Initiative aufgehen könnte. Ein entsprechender Partner ist aber noch nicht in Sicht.

marktforschung.de: Wie erfolgreich waren Sie mit ihrem Vorschlag, Medienkompetenz in die Grundschullehrpläne zu übernehmen?

Sabine Haas: Es ist – wie so oft bei solchen Themen – deutlich komplizierter. Medienkompetenz ist schon Teil der Grundschullehrpläne, und zwar konkret das Thema "Recherche im Internet". Das reicht aber in Zeiten von Facebook und einem stark kommunikativen Umgang mit dem Netz nicht mehr aus. Das Thema Recherche kann alleinstehend nicht sinnvoll vermittelt werden. Kinder lernen nur dann, sich souverän im Internet zu bewegen, wenn sie generell etwas über dieses Medium, seine Chancen und Risiken wissen. Dafür ist aber bislang kein Raum im Unterricht, ausgenommen von fakultativen Computer-AGs. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Kinder mit speziell ausgerichteten Lehrangeboten und geschultem Personal ein halbes Jahr in der Grundschulzeit investieren müssen, um einigermaßen souverän mit dem Internet umgehen zu können. Es wäre im Grunde einfach: Jedes Kind müsste neben dem Seepferdchen in der Grundschule auch den "Surfschein" machen. Dafür benötigt die Schule aber mindestens 10 bis 15 funktionierende Rechner und ein festes Stundenbudget.

marktforschung.de: Inwiefern kann die Marktforschung von medienkompetenten Kindern und Eltern profitieren?

Sabine Haas: Für uns ist es von entscheidender Bedeutung, wenn aktuelle und künftige Studienteilnehmer seriöse von unseriösen Marktforschungsanfragen unterscheiden können. Auch dies erfordert Medienkompetenz. Ich glaube, wenn man die Vorteile der modernen Medien für sich zu nutzen weiß, ist man auch eher bereit, an der Verbesserung von derartigen Angeboten mittels Marktforschung mitzuwirken. Aber jenseits dieser konkreten Anknüpfungspunkte an unsere Branche halte ich es im Hinblick auf die Zukunft unseres Landes für sehr entscheidend, wie kompetent und souverän unsere Kinder mit den neuen Medien umgehen, diese mitgestalten und für sich nutzbar machen können. Wir sollten uns gerade in diesem Bereich nicht zu viel von der außereuropäischen Konkurrenz aus den Händen nehmen lassen. Es ist wichtig, dass wir die Spielregeln einer digitalen Welt mitbestimmen.

marktforschung.de: Welche Erkenntnisse haben Sie bisher für Ihr Unternehmen aus dem Projekt gezogen? Was haben Sie von den Kindern gelernt?

Sabine Haas: Wir haben gelernt, dass man das Internet auch sehr schön als "netzofanten-Land" beschreiben kann, in dem es dunkle Wälder, bunte Wiesen, Sümpfe und viele verschiedene Lebewesen gibt. Möchte man sich darin zurechtfinden, braucht man gute Freunde, Wegbeschreibungen und eine gute Portion Neugier und Abenteuerlust.

marktforschung.de: Frau Haas, vielen Dank für das Interview!

 

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