Thomas Donath, NORDLIGHT research Robo-Interviews: Lösen demnächst Maschinen die telefonischen Interviewer ab?

Mittlerweile sind Sprachassistenten wie Alexa und Siri im Alltag angekommen. Zunehmend mehr Menschen sprechen mit Maschinen, um diese Musik abspielen oder Informationen aufrufen zu lassen, oder steuern Smart Home-Geräte per verbalem Befehl.
Die Technologie ist vorhanden und wird immer besser; die Bereitschaft zur Nutzung wächst – weshalb sollte man sie nicht in der Marktforschung auf CATI ("computer assisted telephone interviews) anwenden und "Robo-Interviews" führen?

Jobverluste seit langem vorprogrammiert?
Glaubt man Studien zur Automatisierung, werden viele Interviewer zukünftig keine Arbeit mehr haben. Eine Website wie "replacedbyrobot.info" informiert den Arbeitnehmer, mit welcher Wahrscheinlichkeit er seinen Job an Maschinen verlieren wird. Die Daten der Website stammen aus einer Publikation der Oxford Martin School of the University of Oxford. Für Umfrage-Interviewer sähe es laut dieser Website schlecht aus: Sie werden "nahezu sicher" (94 Prozent) durch Roboter ersetzt werden.
Das klingt zunächst einleuchtend. Ein quantitatives Interview ist hochstandardisiert. Die Fragen sollen unverändert vorgelesen werden und Teilnehmer können – abgesehen von vereinzelten offenen Fragen – nur innerhalb von vorgegebenen Kategorien antworten. Entsprechend einfach lässt sich die Interaktion automatisieren: Die Maschine liest Fragen und Antwortkategorien vor, der Befragte antwortet, die Maschine registriert.
Tatsächlich ist diese Form der Datenerhebung so einfach automatisierbar, dass sie schon seit Jahrzehnten automatisiert betrieben wird – wenn auch kaum in Deutschland. Bereits in den 1970ern kam eine Technologie namens IVR in den USA zum Einsatz und verbreitete sich. IVR steht für "Interactive Voice Response" und ist auch uns aus dem Alltag bekannt. Wer bei einer Hotline anruft und per Tastendruck oder Sprachbefehl aus vorgelesenen Menüpunkten auswählt, nutzt solch ein Sprachdialogsystem. In Deutschland ist IVR zwar verbreitet, um günstige und standardisierte Interaktionen zwischen Unternehmen und Kunden zu ermöglichen, scheint in der Marktforschung außerhalb standardisierter Qualitätsmanagementanrufe jedoch kaum Einsatz zu finden. (Interessierte finden einen guten Überblick zum Thema "IVR" in "Self-administered Questions by Telephone, Evaluating Interactive Voice Response"; Roger Tourangeau, Darby Miller Steiger & David Wilson, The Gallup Organization, Public Opinion Quarterly Volume 66:265–278, 2002 by the American Association for Public Opinion Research.)
Telefonische Robo-Interviews sind also gar nicht neu und schon gar keine Science Fiction. Durch Entwicklungen in der KI steigt jedoch die Qualität des Sprechens und des Verstehens der Maschinen. Text-to-Speech-Systeme lesen heute Texte mit schon recht natürlicher Stimme vor. Besser werdende Spracherkennung erlaubt präzise Erfassung gestützter Antworten und damit auch verlässliche Fragebogensteuerung. Offene Antworten werden automatisiert transkribiert und für den Fall, dass es einmal hakt, gibt es einen Mitschnitt.
Ist CATI überhaupt noch relevant?
Interviews könnten so in großer Zahl günstiger und in kürzerer Projektzeit geführt werden. Aber braucht es diesen scheinbar altmodischen Ansatz der telefonischen Interviews überhaupt? Macht es im Jahr 2019 noch Sinn, Umfragen telefonisch durchzuführen?
Kurz und knapp aus der Praxis geantwortet: Ja. Wenn die Adressanzahl gering und eine möglichst hohe Ausschöpfung zwingend notwendig sind, spielen telefonische Kontakte zur Teilnehmergewinnung und Interviewdurchführung auch heute eine zentrale Rolle. Geringe Anzahlen von Zielpersonen finden sich regelmäßig bei B2B-Zielgruppen, exklusiven B2C-Zielgruppen oder auch regionalen Zielgruppen.
Das Erfolgsrezept von CATI ist die persönliche Anbahnung. Gute Interviewer überzeugen und gewinnen Teilnehmer für Umfragen – sei es spontan oder mit Terminvereinbarung. Teilnehmer tun sich naturgemäß schwerer, eine freundliche persönliche Bitte abzulehnen, als eine Einladung via E-Mail oder SMS zu ignorieren oder zu löschen. Gefühlvolles Kontaktieren und kurze Umfragedauer vorausgesetzt, lassen sich bei den eigenen Kunden durchaus auch heute Teilnahmeraten von 30 Prozent bis 60 Prozent durch telefonische Interviews realisieren.
Mensch vs. Maschine
Systematische Methodenvergleiche zeigen, dass IVR-Interviews neutralere Ergebnisse als telefonische Interviews mit menschlichen Gesprächspartnern liefern. Zum einen werden sozial erwünschte Antworten reduziert. Dies ist insbesondere für sensible Themen, beispielsweise aus den Bereichen Gesundheit oder Genussmittelkonsum, ein großes Plus. Zum anderen ist jedes IVR-Interview identisch geführt und es gibt keine Interaktion zwischen Interviewer und Teilnehmer. So unterbleibt eine Änderung der Stimmung des Teilnehmers und das Antwortverhalten wird nicht durch hin und wieder unbedacht geäußertes Feedback wie Zustimmung oder Lob beeinflusst.
Die Stärke der IVR-Technik, dass der Mensch fehlt, ist zugleich aber die Achillesverse. So sind die Teilnahmeraten deutlich niedriger und die Zahl der Drop-Outs – Abbrüche mitten im Interview – deutlich höher. Dies zerstört einen Hauptnutzen der CATI-Methode: hohe Ausschöpfungen in kleinen oder teilnahmeträgen Zielgruppen zu erreichen. Zumindest zu hinterfragen ist die Signalwirkung eines Robo-Interviews. Der angerufene Kunde könnte zum Schluss kommen, dass er dem Unternehmen nicht genug wert ist und er daher statt einem echten Mitarbeiter dem Surrogat Auskunft geben soll.
Deutsche Marktforschungsinstitute, die Robo-Interviews führen wollen und gleichzeitig beabsichtigen, das Standesrecht zu wahren, sehen sich – unserem Verständnis nach – mit einer größeren Hürde als Methodik und technischer Umsetzung konfrontiert. In der Richtlinie für telefonische Befragungen der Verbände der Markt- und Sozialforschung in Deutschland gibt Punkt 4.9 zu vollständig automatisierten Interviews Folgendes vor: "Vollständig automatisierte Interviews, d. h. Interviews mit Sprachautomaten ohne Einsatz von Interviewern, sind nur zulässig, wenn den Zielpersonen bei einem vorherigen Kontakt (persönlich-mündlich oder telefonisch) die notwendigen Erläuterungen zur Durchführung des Interviews gegeben werden und damit die inhaltlich-methodische Komplexität von Befragungen zu Zwecken der Markt- und Sozialforschung berücksichtigt wird."
Sofern dieser vorherige Kontakt durch einen Menschen erfolgen soll – auch wenn es nicht explizit formuliert ist – wären standesrechtlich zurzeit ohnehin nur Hybrid-Interviews möglich. In diesen müsste ein Mensch anbahnen und die Maschine anschließend das Interview führen. Der große zeitliche – für Endauftraggeber oft versteckte – Aufwand der Rekrutierung vor dem eigentlichen Interview mit all den vergeblichen Anrufen, Interviewanbahnungen und Terminvereinbarungen bleibt damit beim Menschen. Dies minimiert den Kostenvorteil von Robo-Interviews in Deutschland beträchtlich. Aus einem gewissen Blickwinkel betrachtet, böte damit das Standesrecht einen Anti-Robotik-Paragraphen, der Arbeitsplätze sichert.
Teilnahmebereitschaft an Robo-Interviews
Abschließend werfen wir einen aktuellen Blick auf die mögliche Teilnahmebereitschaft an Robo-Interviews. Im aktuellen Trendmonitor Deutschland haben wir hierzu eine Frage geschaltet. (Methodisch ist klar, dass dies nur eine grobe Indikation sein kann. Die Ergebnisse wurden über ein gewichtetes Online-Sample gewonnen. Somit gibt es gleich zwei für das Thema relevante Selektionseffekte: Die Ergebnisse stammen von Marktforschungsoffenen und von Internetaffinen. Aber eine erste Zahl ist sicherlich besser als gar keine Zahl.)
Um die Bereitschaft zur Teilnahme möglichst klar zu sehen, werden im Folgenden nur Personen betrachtet, die an telefonischen Umfragen grundsätzlich teilnehmen würden. 61 Prozent dieser Gruppe wären bereit, an maschinengeführten Interviews teilzunehmen. Allerdings würden 21 Prozent aller CATI-Offenen nur teilnehmen, wenn sie Kunde beim anrufenden Unternehmen sind. 40 Prozent sagen hingegen explizit, dass sie nicht mit einem Computer sprechen wollen. Ob jemand schon einmal an einer telefonischen Umfrage teilgenommen hat, spielt dabei keine nennenswerte Rolle. Tendenziell sind Jüngere und Männer eher bereit, an einem Robo-Interview teilzunehmen (bis zu rund 10 Prozentpunkte mehr Teilnahmebereite).

Ob diese Anzahl Teilnahmebereiter hoch oder niedrig ist, liegt im Auge des Betrachters. Zumindest kann man nicht von einer deutlichen Ablehnung des Befragungsweges "Robo-Interview" sprechen. Je mehr wir uns an sprechende Computer gewöhnen, desto höher sollte auch die zukünftige Bereitschaft zur Teilnahme werden. Zu beachten ist jedoch, dass die in der Umfrage signalisierte Teilnahmebereitschaft nicht mit tatsächlicher Teilnahme gleichzusetzen ist. Die initiale Überzeugungsarbeit des Interviewers fehlt.
Wer zukünftig auf Robo-Interviews setzen möchte – ggf. standesrechtliche Schwierigkeiten einmal außen vor gelassen – sollte bedenken, dass er zusätzliche Stichprobenverzerrungen in Kauf nimmt. Es fehlen die Meinungen von Menschen, die zur Teilnahme erst bewogen werden müssen oder die nicht mit einem Roboter sprechen wollen. Bei Studien, die beispielsweise Kanal-, Medienpräferenzen oder technische Produkte behandeln, führt dies zu nicht-korrigierbaren Verzerrungen. Bei Adressmaterial mit geringem Umfang ist eine so automatisierte Telefonie unter Umständen gar nicht erst möglich.
Fazit
Robo-Marktforschungsinterviews sind letztlich nicht neu, auch wenn sie in Deutschland eher exotisch anmuten dürften. Synthetische menschliche Sprechstimmen und Spracherkennung werden immer besser und ermöglichen damit immer bessere Nachbildungen heutiger quantitativer telefonischer Interviews. Ob Robo-Interviews den von Menschen geführten den Rang ablaufen, wagen wir an dieser Stelle nicht zu prognostizieren. Zumindest scheint vorgezeichnet, dass Deutschland kein Vorreiterland wird, denn bis dato hat hier auch die "klassische" IVR-Methodik keine relevante Rolle gespielt. Schließlich genießen menschliche CATI-Interviews immer noch einen gewissen Schutz durch die höhere Teilnahmebereitschaft, geringere Anzahl an Drop-Outs und nicht zuletzt auch standesrechtlich – sofern die Erläuterungen nicht durch Computer erfolgen dürfen.
NORDLIGHT research ist ein Marktforschungsinstitut mit Sitz in Hilden bei Düsseldorf. NORDLIGHT research führt individuelle Markt-, Produkt- und Kundenanalysen für Unternehmen durch, berät zur Forschungsumsetzung und leitet faktenbasierte Empfehlungen ab. Thomas Donath ist Diplom-Psychologe und einer der Gründer und Geschäftsführer der NORDLIGHT research GmbH. Er versteht sich als methodischer Allrounder, dem es Spaß macht, mit unterschiedlichen Ansätzen praxisrelevante Ergebnisse zu liefern.
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