- marktforschung.de
- Marktforschung
- Richard Hilmer: "Das Social-Media-Monitoring spielte schon bei dieser Wahl eine nicht unerhebliche Rolle"
Richard Hilmer: "Das Social-Media-Monitoring spielte schon bei dieser Wahl eine nicht unerhebliche Rolle"
Richard Hilmer, Geschäftsführer bei Infratest dimap, stand marktforschung.de anlässlich der Bundestagswahl zum Interview zur Verfügung. Dabei äußert er sich zur Methodik der Hochrechnungen an Wahltagen sowie der Rolle des Internet bei der Erhebung der Daten.
marktforschung.de: Herr Hilmer, bei der Bundestagswahl gab es im Vergleich zu 2005 zum Teil deutliche Veränderungen. Die SPD musste drastische Verluste hinnehmen, die drei "kleinen" Parteien erreichen erstmals alle über 10 Prozent der Wählerstimmen. War rückblickend mit diesem Ergebnis zu rechnen?
Richard Hilmer: Das Ergebnis kam alles andere als überraschend, denn es zeichnete sich schon lange in den Vorwahlumfragen ab. Es gab zwar kurz vor der Wahl wieder einige kleinere Verschiebungen, da diese aber nur innerhalb der Lager stattfanden, blieb deren Grundaussage bestehen: knappe Mehrheit für Union und FDP, auch ohne Überhangmandate.
marktforschung.de: Sie generieren Prognosen aus der Exit Poll. Könnten aus Ihrer Sicht Erhebungen via Internet – zumindest unterstützend – künftig ebenfalls eine Rolle spielen oder machen Online-Erhebungen aus Ihrer Sicht nur Sinn für Prognosen im Vorfeld?
Richard Hilmer: Infratest dimap führt vor den Wahlen parallel zu den üblichen Telefonerhebungen zu Kontrollzwecken neben mündlich-persönlichen Erhebungen seit 1998 auch Online-Befragungen durch. Deren Befunde zeigen, dass mit stetig wachsender Internet-Verbreitung das Wahlverhalten bestimmter Gruppen immer besser abgebildet werden kann.
Da aber bestimmte Bevölkerungsgruppen nach wie vor mehrheitlich offline sind, können die Ergebnisse nicht den Anspruch der Repräsentativität für die gesamte Wahlbevölkerung erheben. Aufgrund des Zusatznutzens von Onlineerhebungen – Panelbefunde, Visualisierungsmöglichkeit etc. – werden sie aber zweifellos auch in der Wahlforschung an Bedeutung gewinnen. Für Exit Polls sind sie aber ebenso wie Telefonerhebungen prinzipiell ungeeignet, weil sie den in der Wahlberichterstattung extrem hohen Anforderungen an Präzision von Prognosen auch nicht annähernd gerecht werden.
marktforschung.de: In den USA spielte die Kommunikation via Social Media im Wahlkampf eine Rolle, in Deutschland war dies – zumindest seitens der Kandidaten – hingegen weniger zu beobachten. Dennoch wurde natürlich auch in Deutschland in einschlägigen Blogs und Foren diskutiert, und mit der Piraten-Partei sorgt erstmals eine parteipolitische Organisation für Aufmerksamkeit, die im so genannten Web 2.0 verwurzelt ist. Wie schätzen Sie die Bedeutung des Web 2.0 für die politische Meinungsbildung in der Bevölkerung ein?
Richard Hilmer: Da stehen wir hier in Deutschland sicher erst am Beginn einer Entwicklung, wie sie in den Vereinigten Staaten schon weit fortgeschritten ist. Schon bei der Bundestagswahl zeigt sich allerdings, dass sich die amerikanischen Erfahrungen nicht eins zu eins auf die europäische Situation übertragen lassen. Für die Parteien birgt das Medium Internet Chance und Risiken zugleich. Der Achtungserfolg der Piratenpartei gibt schon eine Ahnung von der Geschwindigkeit und Wucht politischer Online-Kommunikation. Dass sich die Online-Community zur Durchsetzung ihrer Interessen den Rahmen einer (neuen) Partei gewählt hat, deutet aber auch die Beständigkeit und Responsivität des Parteiensystems als Solchem an.
marktforschung.de: Wie muss die Meinungs- bzw. Wahlforschung aus ihrer Sicht darauf reagieren?
Richard Hilmer: In dem Maße, wie sich auch die politische Kommunikation und die öffentlichen Debatten auf das Internet verlagern, gewinnen auch onlinegestützte Forschungsinstrumente an Bedeutung. Dieser Wandel wird weniger in Form einer Verdrängung vorhandener Instrumente erfolgen (Stichwort Cawi statt Cati, Online statt Offline Focusgruppen), sondern als Ergänzung. Das Social-Media-Monitoring spielte schon bei dieser Wahl eine nicht unerhebliche Rolle, an Bedeutung zunehmen werden auch deliberativ ausgerichtete Instrumente zur Begleitung dieser Kommunikationsprozesse im Netz.
marktforschung.de: Denken Sie, dass die Erhebung der Daten für die Hochrechnungen am Wahltag und deren Präsentation in den Medien bei der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2013 noch genauso stattfindet wie in diesem Jahr?
Richard Hilmer: Grundlagen der Hochrechnungen sind bereits ausgezählte Ergebnisse aus repräsentativ ausgesuchten Wahllokalen. Deren Übertragung und Verarbeitung hat sich im Laufe der letzten Jahre kontinuierlich unter Ausnutzung aktueller technischer Möglichkeiten weiterentwickelt – daran wird sich nichts ändern. Dies gilt auch für die Exit Polls, die aber auch 2013 von Interviewern vor Ort in den Wahllokalen durchgeführt werden. Ergänzt werden sie allerdings durch geeignete Instrumente zur Erfassung des Wahlverhaltens der zunehmenden Zahl von Briefwählern.
Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden