Interview mit Thomas Bartsch, Senior Solutions Consultant, UserTesting Researchern kommt eine viel größere globale Rolle zu

DIY und UX-Research. User Experience bezeichnet das umfassende Anwendungserlebnis, das Personen bei der Nutzung beispielsweise einer App, eines Produkts oder einer Dienstleistung wahrnehmen.Auch hier spielen Automation, neue Technologien und KI eine immer größere Rolle. Thomas Bartsch, Senior Solutions Consultant bei UserTesting, gibt in seinem Interview Insights.

Thomas Bartsch ist Senior Solutions Consultant bei UserTesting.

Inwieweit und bis zu welchem Grad lässt sich UX-Research automatisieren?

Thomas Bartsch: Generell ermöglichen es Insight Tools heute, UX-Research auf sehr verschiedenen Ebenen zu automatisieren. Das fängt bei der Erstellung von Tests an und geht über die Auswahl geeigneter Testteilnehmer bis hin zur Auswertung sowie der Zusammenführung und Cross-Analyse von bereits vorliegenden Test- und Studienergebnissen.

Viele Unternehmen tracken auch quantitative Nutzerdaten, etwa in CRM-Systemen, Google Analytics oder in Fehlerprotokolldateien. Diese Informationen weisen auf bestimmte Zustände hin, etwa dass eine gewisse Zahl von Nutzern in einem User Flow ihre Interaktionen unterbricht. Allerdings beantworten diese Informationen nicht, warum das geschieht. An dieser Stelle kommen dann qualitative Studien ins Spiel.

Wenn man sich diese Wechselwirkung zwischen Datenerhebungen und qualitativen Einblicken vor Augen führt, ist denkbar, dass diese nachgeschalteten qualitativen Studien auch automatisch angestoßen werden könnten. Dann hat man einen noch höheren Grad der Automatisierung.

Ganz konkret: Welche Arbeitsschritte und Aufgaben kann Technologie heute schon übernehmen oder unterstützen?

Thomas Bartsch: In vielen Aspekten des UX-Research und auch in generellen Bereichen zur Erfassung von Nutzerfeedback wurden und werden Arbeitsschritte schon seit geraumer Zeit, nicht erst seit ChatGPT, durch Technologie unterstützt.

Ein Beispiel: Testvorlagen und Testempfehlungen basierend auf vordefinierten Filtern: Was möchte ich untersuchen, auf welchem Endgerät und mit welcher Intention? Diese verkürzen und vereinfachen den ersten Arbeitsschritt, nämlich die Auswahl einer geeigneten Testmethode und der initialen Fragen, die sich dann nach Bedarf abwandeln und anpassen lassen.

Templates zur Zielgruppendefinition können mit anderen im Team geteilt werden. Basierend auf einer Auswahl an demografischen Kriterien und versehen mit zusätzlichen Screener-Fragen sind dann schnell die geeigneten Testpersonen gefunden.

Führt man Remote-Tests durch, verzichtet also auf die direkte Moderation, dann erhält man von der Testplattform sozusagen automatisch die Aufzeichnungen und Daten jeder Testperson.

Sentiment-Analysen ermöglichen es, schnell anhand von semantischen Analysen der aufgezeichneten, gesprochenen oder geschriebenen Texte Nutzermeinungen und Stimmungen zu extrahieren und daraus Einsichten in die Präferenzen der Benutzer zu gewinnen. Wird das emotionale Feedback mehrerer Nutzer betrachtet, dann lassen sich hier Muster visualisieren, die auch komplexere Zusammenhänge einfach darstellen – und aus denen sich Rückschlüsse darauf ergeben, was am Produkt verändert oder verbessert werden muss.

Sind Studiendaten und Informationen aller Art zentral abgelegt – einschließlich Videoaufzeichnungen von Interviews, Transkriptionen, digitalen Texten, Präsentationen und Datentabellen aus Umfragen – dann helfen Regel-Editoren, diese Daten automatisch zu durchsuchen und etwa anhand festgelegter Schlüsselwörter Voranalysen zu generieren, die bei der Erstellung von Testreports helfen. So lassen sich auch über Zeitspannen und Testverläufe hinweg Muster und Referenzen zu bestimmten Sachverhalten aufzeigen. Vorbei sind die Zeiten der verzweifelten Suche nach Dokumentationen zu einer Studie, die ein halbes Jahr zurückliegt!

Welche Rolle spielt dabei künstliche Intelligenz – und wohin geht der Trend?

Thomas Bartsch: Künstliche Intelligenz kann helfen, über Datensätze hinweg Muster und Beziehungen aufzuzeigen und etwaige nächste Schritte vorzuschlagen. Denkbar ist auch, dass die interaktiven Prozesse, einen Test aufzusetzen und Daten aus dem Test zu analysieren, zunehmend natürlichsprachlich getrieben werden können. Momentan werden Studien häufig noch manuell geplant und umgesetzt.

Ein weiterer möglicher Einsatzbereich ist, dass anhand vorab gesetzter Schwellenwerte auf einer Webseite oder App – beispielsweise bei einer bestimmten Anzahl abgebrochener Operationen in einem Registrierungs- oder Suchprozess – automatisch Tests angeboten werden, in denen Nutzer zu den Gründen des Abbruchs befragt werden.

Diese Verbindung von quantitativen Daten und der damit verbundenen qualitativen Befragung macht es deutlich effizienter, hinter das „Warum“ bei bestimmten Nutzerinteraktionen zu kommen.

Wie kann die Automation im Unternehmen Vorteile schaffen?

Thomas Bartsch: Ich denke, es gibt hier zwei wesentliche Momente. Das eine ist, dass sich direkte Erkenntnisse von Nutzern und Kunden viel schneller gewinnen lassen. Hat es vor nicht allzu langer Zeit noch Wochen oder sogar Monate gedauert, Studien umzusetzen und auszuwerten, so kann man heute oft Einblicke aus einer Studie noch am selben Tag, manchmal sogar innerhalb weniger Stunden, erhalten. Das entspricht den Anforderungen agiler Teams, schnell Antworten auf Fragen zu finden und diese Antworten wiederum so schnell wie möglich in den Produktentwicklungsprozess, in die Innovation einfließen zu lassen.

Schnellere Erkenntnisse und damit verbunden auch einfacher aufsetzbare und zu analysierende Prozesse bedeuten zudem, dass mehr Mitarbeiter in komplexen Organisationen direkt mit den Kunden und Nutzern in Kontakt kommen. Damit rückt der Kunde mehr in den Fokus.

Wer schneller und besser auf Kundenanforderungen reagieren kann, wird auch bei der UX die Nase vorn haben – und damit nicht nur mehr Kunden für sich gewinnen, sondern diese auch länger als treue Kunden behalten. Das wird Auswirkungen nicht nur auf Privatunternehmen, sondern auch auf öffentliche Organisationen haben und so nachhaltig alle nur denkbaren Bereiche unseres Lebens beeinflussen.

Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich denn durch den DIY-Ansatz?

Thomas Bartsch: In der traditionellen Berufsrolle des Researchers gibt es schon jetzt den Trend, dass Researcher nicht mehr nur die Ausführenden geplanter Tests sind. Durch die Möglichkeit, dass auch Mitarbeitende ohne Marktforschungshintergrund befähigt werden, Tests durchzuführen, kommt Researchern eine viel größere globale Rolle zu. Sie planen für komplexere Unternehmensbereiche die Ausrichtung bei der Sammlung von User Insights, erstellen Testvorlagen und haben einen edukativen Einfluss.

Entwicklungs- und Produktteams selbst werden thematische Herausforderungen durch die direkte Interaktion mit Kunden und Nutzern anders wahrnehmen. Auf das Gesamtunternehmen bezogen bedeutet dies größere Kundennähe, schnelle Möglichkeiten, Fehler und Probleme wahrzunehmen und unmittelbar darauf zu reagieren.

Gibt es auch Nachteile?

Thomas Bartsch: Ein Risiko wird sicher sein, dass man sich vielleicht zu sehr auf generierte oder vorkuratierte Einsichten verlässt. Diese sollten deshalb niemals aus ihrem Kontext gezogen betrachtet werden. Und sie sollten grundsätzlich eher als Vorschlag gelten, nicht als Gesetz.

Generell gibt es auch technische Limits, die zum einen in Fehlern basierend auf Algorithmen liegen können, zum anderen auch in Grenzen, die im Konzept selbst liegen. Sentiment-Analysen können beispielsweise bei sarkastischen oder ironischen Bemerkungen teilweise gegensätzliche Ergebnisse liefern.

Datensicherheit ist im Zusammenhang mit all diesen Prozessen von hoher Relevanz – wie auch der ethische Umgang mit den Schlüssen aus Untersuchungen.

Wann sollte ein Usability-Test besser „händisch“ durchgeführt werden?

Thomas Bartsch: Direkte moderierte Sessions können, insbesondere durch die adaptiven Möglichkeiten, direkt auf das Testerfeedback zu reagieren, ein besseres Verständnis für die Motivationen und Entscheidungen des Nutzers aufbauen. Oft gibt es auch Szenarien, in denen nach einer unmoderierten Studie weitere Fragen auftauchen, die man dann mit einzelnen Testteilnehmern in einem moderierten Interview tiefer erschließen will.

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Über die Person

Thomas Bartsch ist Senior Solutions Consultant bei UserTesting. Er arbeitet mit CX-Experten aus allen Branchen zusammen und hilft ihnen, ihre Customer-Experience-Initiativen über die UserTesting-Plattform zum Leben zu erwecken.

 

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