Research Consulting – mehr als nur ein Buzzword…

Von Christian Dössel, Research Director bei MM-Eye.
Um es vorweg zu nehmen: Research Consulting ist gekommen, um zu bleiben! Das Wort "Consulting" ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten in der Marktforschung verankert. In den Stellenangeboten wird nach "Research Consultants" und nicht mehr nach "Marktforschern" gesucht, das Wort "Consulting" ist in den Claim von so manchem Marktforschungsinstitut gewandert, bei einigen ziert es sogar den Firmennamen.
Die Frage ist jedoch, ob es ein einheitliches Verständnis von Research Consulting bei uns als Anbieter der Leistung gibt? Sprechen wir über eine semantische Aufwertung von "Präsentationen mit Handlungsempfehlungen" und "One-Slide-Summary"? Oder meinen wir "Unternehmensberatung mit Marktforschungs-Anhängsel"? Oder ist das alles Marketing, weil wir glauben, dass Consultant-Manntage besser bezahlt werden als Researcher-Tage?
Die zwei Dimensionen von Research Consulting: Beratung bei der Markterfassung und bei der Marktbearbeitung
Ganz grundsätzlich muss Research Consulting zwei Arten von Ansprüchen erfüllen. Am Anfang des Prozesses steht die Beratung über den Einsatz geeigneter Methode zur Beantwortung der Ziele der Studie. Dieser Bereich wird oft ausgeblendet. Research Consulting wird allzu häufig lediglich auf den zweiten Bereich, Analyse und Präsentation, beschränkt. Dies geschieht zu Unrecht, denn gerade für Beratungsleistungen vor der eigentlichen Studie können wir als Branche auf ein ansehnliches Arsenal unterschiedlicher Methoden zurückgreifen. Darauf aufbauend sollten wir beratend tätig werden, welche Methoden in welcher Kombination am geeignetsten sind. Hier nehme ich eine solide Glaubwürdigkeit unserer Branche als Spezialisten wahr.
Dass dabei der Einsatz der Methoden und die Fähigkeit für eine adäquate Empfehlung stark abhängig ist von den Zielen der Studie, macht deutlich, wie wichtig es für eine gute Beratungsleistung ist, die Fragen und Erkenntnisinteressen zu kennen, die mit Hilfe von Marktforschung beantwortet werden sollen. Das setzt ein Verstehen der Herausforderungen der internen oder externen Kunden voraus, das wir uns in den meisten Fällen erarbeiten müssen.
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, die Qualität der Beratungsleistungen zu erhöhen. Die folgenden drei Wege sind m. E. am erfolgversprechendsten:
1) Dem Impuls widerstehen, in jeder Frage und in jedem Erkenntnisinteresse einen Nagel zu sehen, nur weil man gute Hämmer im Portfolio hat
Research Consulting in dieser Phase des Prozesses ist das Gegenteil von Produkt-Standardisierung. Sogenannte "Branchenlösungen" oder mit einem ™ oder ® gekennzeichnete Produkte und Tools haben den großen Nachteil, dass sie oftmals auf die spezifischen Begebenheiten beim Kunden nicht passen.
Kundenindividuelle Marktdynamik (oder -statik), Produktlebenszyklen oder Konsumentenverhalten sind nicht standardisiert, warum sollten es dann ausgerechnet die Erhebungsprozesse und ihre Instrumente sein? Es kann sein, dass ein fertiges Produkt – zufällig – auf die Erkenntnisinteressen passt. Doch wie groß ist die Wahrscheinlichkeit hierfür? Daher: Research Consulting ist immer methoden- und toolneutral.
2) Offenheit gegenüber alternativen Methoden der Datenerhebung, die nicht traditionell in der Marktforschung verankert sind bzw. nicht zu den Kernkompetenzen gehören
Research Consulting ist oft auch das Gegenteil von Methoden-Vertrieb. Zusätzlich zu dem oben gesagten müssen wir es schaffen, die eigene methodische Komfort-Zone zu verlassen. Dazu gehört, alternative Methoden und Wege zu explorieren, zu bewerten und bei Eignung konzeptionell zu berücksichtigen und zu integrieren.
Zu behaupten, dass neue Ansätze die alten Methoden ersetzen, ist ebenso Nonsens, wie darauf zu warten, dass die neuen Ansätze wieder verschwinden werden. Das Leben der Menschen ist heute vielfach anders als vor 15 Jahren. Die Ansätze und Methoden, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen sollten es daher auch sein.
Dabei sollte man jedoch nicht Sklave des eigenen Produktportfolios werden. Ohne die Diskussion über Sinn oder Unsinn der Trennung von qualitativer und quantitativer Marktforschung führen zu wollen, Spezialisierung ist immer dann gut und legitim, wenn sie nicht zu einer einseitigen und damit limitierenden Beratung führt. Offenheit gegenüber einer Kombination von bewährten alten und neuen Ansätzen ist die Grundlage für gehaltvolles Research Consulting.
3) Überwinden von jeglichem Silodenken (intern / extern) hin zu einem partnerschaftlichen und gemeinschaftlichen Ansatz
Für interne sowie externe Research Consulting Prozesse ist es bereits in der Konzeption – und nicht erst für die Analyse – sehr zuträglich, wenn man über den Tellerrand der eigenen Zunft hinausschaut und die verwandten Bereiche erfasst (insbesondere, wenn diese Bereiche einen maßgeblichen Beitrag zur eigenen Income-Situation leisten).
Meinen alle das gleiche, wenn sie dieselben Begriffe verwenden? Sind die Zielsetzungen des Researchs realistisch? Das Timing? Das Budget? Vor welchem Anwendungshorizont sollen die Ergebnisse berücksichtigt werden? Ist Marktforschung überhaupt die richtige Quelle für die Beantwortung der Fragen? Wie kann das Ergebnis in die Prozesse derjenigen integriert werden, die damit arbeiten sollen?
Research Consulting als Implementierungsdisziplin
Es ist schon eine Menge geschrieben worden über die Anforderungen an die Marktforschung, sich stärker als Beratungsdisziplin zu begreifen. Allgemeiner Grundkonsens dieser Diskussionen ist, dass die Marktforschung, um als Partner auf Augenhöhe mit Entscheidern weiterhin ernst genommen zu werden, ihre Beratungsfähigkeiten weiter ausbilden muss. Das hat etwas mit besseren Visualisierungen von Ergebnissen zu tun, mit mehr Mut zu mehr Konkretheit, einem besseren Gespür für Story Telling, mehr strategischer Weitsicht, mehr Pro-Aktivität, etc.
Die meisten dieser Artikel, Posts und Beiträge verwenden jedoch den Konjunktiv: "Marktforschung sollte, müsste, könnte …" Die Formulierung eines neuen Anspruchs ist demnach eher Ausdruck einer Einsicht, die (noch) nicht in ausreichendem Maße in Verhaltensänderungen transformiert wurde. Hier ist eine Reihe von Barrieren für das langsame Transformationstempo verantwortlich, vor allem zu nennen sind:
1) Geringer Kenntnisstand über Grundlagen von Marketing und Strategischer Planung
Marketing und Strategische Planung nehmen nur einen geringen Teil in der universitären Ausbildung für die Marktforschung ein. Gleichzeitig fällt ein wichtiger Teil der Bezieher von Marktforschungsleistungen genau in diese Gruppen. Daher ist es dringend erforderlich, sich mit der Bedeutung von grundlegenden Begriffen, Prozessen und Mechaniken aus diesen Bereichen vertraut zu machen. Was ist ein "Reason to believe?" Welche Medienkanäle können welche Aufgaben übernehmen? Und wie kann man das messen? Welche Markenmodelle gibt es und was sind deren Vor- und Nachteile? Was ist ein Creative Brief und wie schreibt man ihn?
Mit der Sicherheit im Umgang mit dem Instrumentarium benachbarter (oder gar beauftragender) Disziplinen erhöht sich die Fähigkeit zum Research Consulting.
2) Zu viel Fachjargon zur Untermauerung des Spezialistentums
Ja, die Marktforschung ist eine Fachdisziplin, ja viele würden sagen, eine Wissenschaft. Und sie bedarf eines gewissen Grads an Spezialistentum. Aber das ist keine Rechtfertigung, das Wissen nicht adäquat zu teilen. Oder wie es in einer der letzten Ausgaben von Brand Eins stand: "Kauderwelsch braucht keinen Artenschutz". Wir sollten nicht nach dem Weltrekord streben, die einfachsten Sachen möglichst kompliziert auszudrücken. Wenn die Marktforschung weder willens noch in der Lage ist Wissen so zu kommunizieren, dass möglichst viele die Erkenntnisse auch aufnehmen, be- und verwerten können, ist der Weg um "auf Augenhöhe" zu gelangen, zu weit.
3) Die Studie ist nicht mit der Ergebnispräsentation beendet
Das Ziel einer Studie darf nicht die Ergebnispräsentation selbst sein. Die Ergebnisse einer Studie sind nur ein Puzzleteil von vielen, um die Entscheidungen zu treffen, die getroffen werden müssen. Dafür braucht es die Marktforschung mit ihren einschlägigen Fähigkeiten. Ein über die reinen Ergebnisse hinausreichendes Verständnis für Möglichkeiten zur Implementierung dieser Ergebnisse ist erforderlich. Hier hinkt allerdings auch das Geschäftsmodell der Ad-Hoc Forschung. Klassischerweise wird für Konzeption, Durchführung, Analyse und Präsentation bezahlt. Nur wenige Kunden haben gelernt, dass Research Consulting Leistungen im oben beschriebenen Sinne nicht im Umfang eines traditionellen Projekts enthalten sein können.
Eine einheitliche Definition von Research Consulting ist derzeit nicht zu erkennen, was die Erkennbarkeit und damit die Zuschreibung der Leistung erheblich erschwert. Sowohl die Ausgestaltung von Research Consulting als auch das Zuschreiben der Leistung zur Zunft der Marktforschung bleibt die Herausforderung. Als Branche sind wir nicht mehr alleine dazu da, die Vergangenheit auszuzählen. Was heute von uns verlangt wird, ist eine erfolgreiche Zukunft mit zu gestalten.
Research Consulting ist gekommen, um zu bleiben.
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