Martin Einhorn, Astrid Wagner, Christian Kapitz Repräsentativität: Blick in die betriebliche Marktforschungspraxis

Zahlreiche wissenschaftliche und theoretische Beiträge wurden im Themendossier "Repräsentativität und Zufallsstichprobe" bereits veröffentlicht. Nun äußern sich drei betriebliche Marktforscher zum Repräsentativitätsbegriff in der betrieblichen Mafo-Praxis.

Martin Einhorn (Beirat martkforschung.de)

Martin Einhorn, Porsche AG

Martin Einhorn: "Für uns sind Glaubwürdigkeit, Umsetzungserfolg und Effizienz die wichtigsten Ziele von Customer Insight. Das heißt, wir stellen uns die Fragen: Können wir zuverlässig UND inspirierend Fragen über unsere Kunden beantworten? Geben wir das Feedback unserer definierten Zielgruppen richtig wieder? Und können wir das mit möglichst geringem Aufwand in möglichst kurzer Zeit umsetzen? Repräsentativität ist keine Selbstzweck. Methodisch kann das heißen, dass wir uns nicht in jedem Fall sklavisch an tradierte Regeln halten. Inhaltlich heißt es jedoch, dass wir in jedem Fall mehr Verantwortung übernehmen, als "Repräsentativität" im engeren Sinne bedeutet. Repräsentativität richtig verstanden, ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, um für die Richtigkeit und Nachhaltigkeit unserer Aussagen und Prognosen einzustehen und die Stimme von Kunden und potenziellen Kunden zuverlässig zu vertreten."

Martin Einhorn ist betrieblicher Marktforscher bei der Porsche AG.

Astrid Wagner: "Repräsentativität sollte eigentlich die Basis der Marktforschung darstellen. Es ist jedoch kein einfaches Unterfangen, diese auch auf solide Beine zu stellen. Aus Kostengründen wird bei uns häufig die Online-Methode präferiert. Doch haben wir es hier mit Panel-Teilnehmern zu tun, die täglich mehrere Befragungen erhalten. Früher versuchte man bei Studiotests, bei Straßenrekrutierungen, die sogenannten Berufsprobanden zu vermeiden, heute haben wir es fast ausschließlich mit ihnen zu tun. Also kann man nur versuchen, die Zielgruppe so genau wie möglich abzugrenzen, aber immer mit dem Wissen, dass es sich unter anderem um Online-affine Personen handelt. Gerade im Gesundheitsbereich ist dies ein Problem, weil viele Ältere, über 60-Jährige, sich nicht in diesen Paneln befinden. Eine Interpretation der Ergebnisse muss daher diesen Hintergrund mit einbeziehen. Bei besonders heiklen Themenbereichen ziehen wir daher persönliche Interviews vor. Die Schnelligkeit der Ergebnisse ist für unser Unternehmen wichtig, aber nicht auf Kosten valider Daten. Daher ist es bei jeder Studie ein Abwägen, mit welcher Methode gearbeitet wird."

Astrid Wagner arbeitet als betriebliche Marktforscherin bei WindStar Medical.

Christian Kapitz: "Ich persönlich bin der Meinung, dass es DIE Repräsentativität im klassischen Sinne heutzutage gar nicht mehr gibt, weder über Offline- noch über Online-Methoden, da es mittlerweile keinen Kanal mehr gibt, über den man die gesamte Bevölkerung oder Zielgruppe repräsentativ erreichen kann. Vielmehr ist es m.E. wichtig, sauber zu dokumentieren, über welche Grundgesamtheit man spricht, welche Rekrutierungsmethode angewandt wurde und dass dann innerhalb dieser Grundgesamtheit wiederum die Regeln der Repräsentativität eingehalten wurden. Für sehr aufmerksamkeitsstarke Themen wie z.B. die Messung der Kundenzufriedenheit mit dem eigenen Unternehmen oder auch im Bereich der Wahlforschung oder des Zensus sind natürlich repräsentative Methoden deutlich wichtiger als für Themen, wo es zwar um grundsätzliche Entscheidungen und Richtungsweisungen geht, diese aber nicht von der Dezimalen hinter dem Komma abhängen. Für erstere stellt sich dann schon die Frage, wie man möglichst repräsentativ die Grundgesamtheit erreichen kann. Hybride Ansätzen aus mehreren Methoden verringern zwar nicht unbedingt die Komplexität einer Studie, sorgen am Ende aber häufig für ein maximal valides Bild auf die Fragestellung, die man beantwortet haben möchte. Aus meiner Erfahrung heraus spielt die Repräsentativität zwar eine grundsätzlich wichtige, aber bei weitem nicht die einzige Rolle, um eine Studie qualitativ hochwertig werden zu lassen. Die Qualität in der Studienkonzeption, Rekrutierung der Probanden, Fragebogengestaltung und Datenanalyse sind häufig die dominanteren Erfolgsfaktoren. Gerade für qualitative Studien, wo man eh nur "pseudorepräsentativ" vorgehen kann, ist eine saubere Auswahl der Teilnehmer von Bedeutung, um valide Erkenntnisse zu bekommen. Repräsentativ heißt daher für mich nicht unbedingt, dass die Studie am Ende auch gut ist - wenn die falschen Fragen gestellt oder Daten falsch analysiert werden, nützt die beste Repräsentativität am Ende nichts!"

Christian Kapitz ist betrieblicher Marktforscher bei der Versicherungskammer Bayern.

 

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