Lukas Steinberg, PRS IN VIVO Reflexionen über 2021 – Wohin wird die Reise gehen?

Wie wird die Zukunft der Qualitativen Marktforschung aussehen? Welche Trends bahnen sich an? Welche Veränderungen werden nachhaltig bestehen bleiben? Um diese Frage zu beantworten, nimmt Lukas Sternberg von PRS IN VIVO einen Blick auf das vergangene Jahr.

Karawane (Bild: picture alliance / Zoonar | Walter G Arce Sr Grindstone Media Group/ASP Inc)

Nach zwei Jahren Pandemie fragen wir uns also auch bei PRS IN VIVO: Wohin geht die Reise mit unserer qualitativen Forschung und wie wird qualitative Forschung in Zukunft durchgeführt? (Bild: picture alliance / Zoonar | Walter G Arce Sr Grindstone Media Group/ASP Inc)

Ohne Zweifel hat Corona für viele von uns maßgeblich Einfluss darauf genommen, wie wir unsere Freizeit gestalten, arbeiten und als Konsumierende mit Marken interagieren. Für viele Menschen hat sich der Lebensmittelpunkt zumindest vorübergehend komplett in die eigenen vier Wände verlagert: Homeoffice, der ständige Spagat zwischen Kinderbetreuung und Beruf durch Schul- und Kitaschließungen, beschränkte Freizeit- und Shoppingangebote – es dürfte niemanden überraschen, dass virtuelle Räume und Kommunikationsmittel über fast alle Altersgruppen hinweg eine (noch zentralere) Rolle in der Organisation unseres Lebens eingenommen haben.

Berufliche Meetings wie auch private Zusammenkünfte wurden und werden über Video-Anrufe organisiert, Social Media dient vermehrt als Inspirations- und Kommunikationsplattform, und nicht zuletzt wächst der Marktanteil von Online-Shopping weiter. So verzeichnet Amazon zeitweise ein fast explosives Wachstum und auch Online-Supermärkte (z.B. Rewe, Bringmeister, picnic), Essenslieferdienste (Lieferando & Co.) sowie Quick-Commerce-Startups (Gorillas, Flink, Knuspr & Getir) sind im Bewusstsein vieler Konsumierenden fest angekommen. 

Temporäre Einschränkungen auch in 2022

Nach zwei Jahren Pandemie fragen wir uns also auch bei PRS IN VIVO: Wohin geht die Reise mit unserer qualitativen Forschung? Und wie wird qualitative Forschung in Zukunft durchgeführt? Im Laufe der Pandemie haben lokale Lockdowns In-Situ-Forschung z.B. bei Konsumierenden zuhause, in Ladengeschäften, in Betrieben oder am Arbeitsplatz häufig unmöglich gemacht. Qualitative Online-Studien über Kommunikationsplattformen, Social Media und Communities diente in vielen Fällen als Plan B, um überhaupt Insights aus qualitativer Forschung generieren zu können. Und obwohl jüngste Erfolge bei der Impfstoffentwicklung sowie verbesserte Hygienekonzepte Anlass für Optimismus bieten, rechnen wir auch 2022 damit, dass temporäre Einschränkungen bzw. Vorsichtsmaßnahmen durch ein in der Gesellschaft gesteigertes Hygienebewusstsein uns vor die Herausforderung stellen werden, flexible Lösungen und Methodikansätze zu finden. 

Online-Qual als Konsequenz des Wandels

Online-Qual wurde jedoch nicht nur eine notwendige Alternative zu traditionellen F2F-Ansätzen, sondern ist auch eine logische Konsequenz des Wandels. Wenn sich Lifestyles und Konsumverhalten unserer Studienteilnehmer immer stärker auf digitale Angebote ausrichten: Macht es nicht Sinn, ihnen dorthin zu folgen? Sind wir mit Online Qual mitunter nicht näher an den Konsumierenden, wenn digitale Schnittstellen die im jeweiligen Kontext gesehen natürlichere Plattform zur Generierung von Shopper- & Consumer-Insights sind?  

Wir stellen fest, dass die wahre Entwicklung von Online Qual in den letzten zwei Jahren nicht unbedingt die Weiterentwicklung unserer Tools zur Datenerhebung ist, sondern vielmehr der Paradigmenwechsel bzw. der veränderte Blick unserer Kunden und der gesamten Branche auf existierende onlinebasierte Methodikansätze. 

Doch verwässert Online-Datenerhebung nicht das Beobachtungselement unserer Studien? 

Bei PRS IN VIVO legen wir in unseren Studien seit jeher besonderes Augenmaß auf Verhaltensbeobachtung. Die meisten unserer Denkvorgänge und Wahrnehmungen sind von unterbewussten (System 1) Prozessen gesteuert, die nicht immer objektiv von Konsumierenden kommuniziert oder überhaupt nachvollzogen werden können. Was also tun, wenn wir nicht bloß daran interessiert sind, was Konsumierende sagen, sondern insbesondere auch daran, was sie tun? Berechtigterweise müssen wir uns die Frage stellen, inwiefern qualitative Online-Forschung unsere Behavioral-Science-Ansätze und die Differenzierung zwischen System 1 und System 2 berücksichtigen kann. Tatsächlich ist online aber nicht zwangsläufig ein Kompromiss zu Verhaltensbeobachtungen und Ethnographie, sondern kann je nach Studienschwerpunkt einen echten Mehrwert bedeuten. 

Ein offenes Fenster – Online-Einblicke in Consumer Lifestyles ohne Bias 

Nicht nur Gen Z, sondern auch Millennials und Generationen darüber hinaus sind es mittlerweile gewohnt, Empfindungen, Eindrücke und Emotionen über Bilder und Videos einzufangen und mitzuteilen. Die neuen Online-Tools, wie Video-Blogs und Communities ermöglichen es uns, bewusst das Benutzererlebnis einer Social Media App zu imitieren und so Geschichten, Momentaufnahmen und Eindrücke aus dem Leben der Konsumierenden live und auf natürliche Art und Weise einzufangen. Als Nebeneffekt sind Moderatoren dabei Nebendarsteller statt Akteure – Studienteilnehmer führen die Regie und werden zu Geschichtenerzählern statt Befragten. Und wie wir wissen, bedeutet minimale Präsenz und Einflussnahme auf das Erlebte im Moment eine Verringerung des Bias. Dies ist umso mehr relevant, wenn es um das private Produkterlebnis im Second Moment of Truth geht oder um persönliche Shopper Journeys auf Websiten und Apps. 

Bildschirmaufzeichnungen als Basis für Tiefeninterviews

Bei In-Home-Produkttests haben wir die Möglichkeit, Usage Occasions neben der Selbstdokumentation durch Studienteilnehmer über mitgelieferte Smart Labels quantitativ zu erfassen und zu protokollieren. Online-Shopping Journeys können über Bildschirmaufzeichnung sowohl auf Smartphone-Apps wie auch Desktop Sites auf natürliche Weise beobachtet werden und damit die Grundlage für ein anschließendes Tiefeninterview bieten. 

Und wie könnte man die User Experience einer Make-up-Produktinnovation besser mit der Generation TikTok erforschen als mit Self-Ethno-Produkttests in Form von TikToks und Instagram Stories? Wenn Influencer und Gen Z-Konsumierende sich ganz selbstverständlich Social Media zuwenden, um ihren Freunden und Bekannten ihre Eindrücke von einem neuen Produkt mitzuteilen: Sollten wir ihnen dann nicht auch als Studienteilnehmern die Möglichkeit bieten, sich ihrer natürlichen Ausdrucksweise zu bedienen und so gleichzeitig Erkenntnisse über neue Trends gewinnen? 

So fern, und doch so nah: Warum auch unsere Kunden von Online Qual profitieren  

Traditionell ist es oftmals nur einem begrenzten Personenkreis vorbehalten, Feldbesuche von Face-2-Face Fokusgruppen, Co-Creation Workshops und Ethnographien zu planen. Zu hoch sind die Reisekosten, der logistische Aufwand, und nicht zuletzt das hohe zeitliche Investment über mehrere Tage. Mit Online Plattformen fallen diese Barrieren automatisch weg, sodass auch „Marktforschungsfremde“ in die Welt ihrer Konsumierenden eintauchen können. 

Ob Online Community, Online Fokusgruppe oder digitales Videotagebuch – wir haben großartige Erfahrungen damit gemacht, Stakeholdern aus unterschiedlichen Bereichen wie Category Management, Marketing, R&D und natürlich Consumer Insights die aktive Teilnahme an unseren Studien zu ermöglichen. Die bemerkenswerteste Auswirkung, die wir in den letzten 24 Monaten dabei gespürt haben, ist jedoch nicht bloß ein gesteigertes Interesse von Stakeholdern, Studien aktiv zu verfolgen. Die Art und Weise, wie Online das Involvement von Beobachtern verändert, schlägt sich auch auf die Generierung von Insights selbst nieder. 

Online ermöglicht es unseren Kundenunternehmen, trotz der Distanz näher an Konsumierenden zu sein und selbst temporär in die Rolle der Marktforschenden zu schlüpfen. Über digitale Plattformen ist es uns ohne künstliche Unterbrechungen möglich, dynamische Diskussionen zu führen, in denen Moderatoren Live auf „unsichtbare“ Fragen und Kommentare aus dem digitalen Beobachtungsraum eingehen können. Gerade spontane Beobachtungen inspirieren Experten aus Produktentwicklung, wie auch Brand Management, ganz neue Perspektiven einzunehmen, wodurch sich ganz neue, unerwartete Fragestellungen ergeben. Im Ergebnis generieren wir so in Zusammenarbeit mit Kundenteams starke Insights, die auch auf die Bedürfnisse bestimmter Stakeholder direkt eingehen und Co-Creation Elemente selbst in Online Interviews und Communities einfließen lassen. 

Die Reise von Online-Qual geht weiter 

Nachdem sich Online-Qual durch die Pandemie zwangsläufig von der notwendigen Alternative zur angesehenen und richtigen Methodik entwickelt hat, wird sie sich aus oben genannten Gründen noch mehr sowohl auf Institutsseite als auch auf Kundenseite etablieren. Hierbei werden Online-Qual und F2F-Ansätze sich weniger substituieren, sondern vielmehr ergänzen und abhängig von der Fragestellung den Werkzeugkoffer der Marktforscher erweitern. Das (teils pandemiebedingte) gesteigerte Interesse an unseren Online-Lösungen wird perspektivisch auch in der Weiterentwicklung von Methodiken und Tools resultieren, die zukünftig noch viel detailliertere Einblicke in das Leben der Zielgruppen zulassen. 

Über Lukas Steinberg:

Lukas Steinberg, PRS IN VIVO (Bild: PRS IN VIVO)
Lukas Steinberg, MSc Psychological & Behavioral Science, LSE, ist seit 4 Jahren Teil von PRS IN VIVO und betreut global die Durchführung von qualitativen Marktforschungsprojekten. Er ist Senior Insights Manager Behavioral Qualitative bei PRS IN VIVO. 

 

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