Raus aus dem Glashaus: Marktpsychologie auf neuen Wegen - Ein Kommentar von Dr. Daniel Salber

Dr. Daniel Salber, Salber Psychologisches Entwickeln
Köln - Die Krise hat auch ihr Gutes: sie zwingt zu längst überfälligen Veränderungen. Die Budgets zu großvolumigen "Studien" sind nicht mehr da. Und jetzt fällt auf: es geht auch ohne 18 Gruppen in 4 Ländern. Ein Dutzend Intensiv-Interviews reichen, um große Marken in die richtige Richtung zu bringen und ihnen eine Menge Scherereien zu ersparen. Wie das geht? Durch eine Neu-Definition "psychologischer" Arbeit.
In den vergangenen Jahren hat sich der Mainstream qualitativer Mafo zu einer Art universalem Glaskasten entwickelt. Wie durch Glas soll das Treiben der Menschen objektiv durchschaut werden. Ob CAPI oder die berühmte Couch: das Wissenschaftsideal der Psychologen war dasselbe. "Ohne uns zu bewegen, können wir das Weltganze aneignen." Derselbe Glastraum fesselt heute die Online-Forscher und ihre Kunden: ihr Traum ist, die ganze Welt durch’s Glasfaser-Kabel der Rechner zu "scannen" - die ganze Welt als gläserner, in allen Atomen durchsichtiger Kasten, als ein digitaler Schneewittchen-Sarg. Da der zeitgeistige Zahlenglaube die Internet-Verfahren begünstigt, geriet die Psychologie ins Hintertreffen - und manches "Institut" in rote Zahlen.
"Qualitativ" stand früher für psychologisches Handwerk, für Sich-Zeit-Nehmen, für ein Sich-Einlassen auf das Fremde, das einem im menschlichen Leben begegnet. Früher hatten die Leute, die jetzt im Glashaus sitzen, ihren Spaß daran, raus zu gehen und die komische Wirklichkeit zu berühren - zu beschnuppern, zu behandeln, zu verwandeln. Wo blieb dieser Spaß, dieser lebendige Umsatz mit der Welt?
Der lebendige Umsatz schrumpfte um die Jahrtausendwende zum Geld-Umsatz. Viele Psychologie-Betriebe verfielen dem Größer-Weiter-Schneller. Am besten klappte das, je mehr man sich von der störenden, verqueren Wirklichkeit abschottete. Das Gerade, Berechenbare, Widerspruchsfreie erschien (mal wieder) als Muster des "Wahren". Da man aber irgendetwas über die Wirklichkeit sagen wollte - damit verdient man ja schließlich sein Geld - begann man, die Glaswand zwischen Forschung und Gegenstand zu errichten. Durchs Glas ist alles zu sehen, alles zu haben - ohne in Berührung mit der "krummen" Wirklichkeit zu kommen.
Cool! Das fanden auch viele Kunden. Kein Rätseln und Deuten mehr, kein Irrtum, kein Probieren - die neue psychologische Forschung serviert die kristallklare Wahrheit. Im Glashaus herrscht Tag und Nacht die gleiche Helligkeit. Das Dunkel, das Geheimnis, der Mythos sind abgeschafft. Allwissende Psychologen erklären die Welt - in 15 Minuten, dann springen sie zur nächsten Sitzung. Ein selbstverliebtes Lächeln gehört zum Auftritt - und zur unfehlbaren Methode, denn im Glashaus ist man stets mit den eigenen Spiegelungen beschäftigt.
Im Glaskasten wurden die Psychologen reich. Ihre Umsätze stiegen exponentiell, Filialen in aller Welt wurden eröffnet. Endlich durfte dieser etwas anrüchige Berufsstand mit den Großen und Mächtigen an einem Tisch sitzen - und sogar in Talk Shows auftreten. Doch was war der Preis?#break#
Anfangs kaum bemerkt: der Schatten verschwand. Der gläserne Konsument wirft ebenso wenig einen Schatten wie der allwissende Psychologe. Nichts entzieht sich dem Licht der Zahlen-Psychologie, und wo sie nicht weiter weiß, haben wir ja noch die "Tiefen-Psychologie". Das ist, wenn Interviews länger dauern. Nahmen Psychologen früher für die unfassbaren und unheimlichen Seiten des Lebens Partei, so sorgen sie jetzt für ein schattenfreies Dasein - sogar in der "Tiefe" - ohne Kehrseiten, ohne Zweifel oder unbequeme Konsequenzen. Der Kunde freut sich und zahlt - noch.
2009 begann das Erwachen aus dem Glastraum. Die Krise zeigte sich in Umsatz-Einbrüchen. Doch trotz der Risse hielten große Forschungs-Fabriken eisern und verbissen am Glaskasten fest: "Jetzt müssen wir um jeden Preis drin bleiben - denn wer raus geht, fällt in Scherben!" So verband sich die System-Krise mit tatkräftiger Verleugnung: Mehr desselben! Mehr Globalisierung, mehr "Tools", mehr Quantifizierung, mehr Tempo, mehr Charts, mehr Bequemlichkeit der Ergebnisse! Und vor allem: mehr Catering für die Kundschaft.
Gleichzeitig Lähmung und Stagnation. Dieselben Fragebögen für TV-Shows, Schokolade und Klopapier. Bleierne Meetings, langweilige Befragungen und fade Ergebnis-Charts, da vor der Untersuchung schon feststeht, was rauskommt.
Wer aus dem Glaskasten will, greife zum Nothammer. Das bedeutet, das aus Sicht des Systems völlig Falsche zu tun - die scheinbar sichere und lukrative Form der Psychologie aufzugeben, ungeachtet aller Vernichtungsdrohungen. Ist denn Psychologie überhaupt das Glashaus des Seins, der Durchblick in die Tiefe, das Hell-Sehen, der Insight-Generator, die unfehlbare Sinn-Instanz der Republik? Die Frage, wie es mit den Glashäusern der Psychologie weitergeht, führt letztlich auf die Frage, was Psychologie ist. Nicht diese oder jene Firma, sondern die Markt-Psychologie selbst befindet sich in der Krise.
Meine These: Psychologie ist gar kein Wahrheits-Bringer. Sie beschaut nicht das Leben aus einer Glas-Kanzel mit Rundumsicht. Sie kann auch die Schatten nicht abschaffen. Sondern Psychologie ist selber Teil des Lebens, eine besondere Lebensäußerung. Ihre Besonderheit liegt nicht darin, dass sie den "Durchblick" hat, sondern einfach einen "anderen Blick" - einen "schrägen Blick", der Menschen einen Anstoß liefern kann, die Dinge mal anders zu machen. Mehr nicht! Psychologie ist weder Ersatz-Kirche noch Glücksmaschine.
Die gaffende Markt-Psychologie im Glaskasten ist passé. Das machen jetzt die Online-Gucker besser. Doch Markt-Psychologie im Sinne des Agent Provokateur, im Sinne des Suchers und Versuchers, des Wandlungs-Scouts - das werden die Computer nie können. Sie können sich die beiden Sorten der Marktpsychologie auch durch eine Disko veranschaulichen: Da gibt es immer eine große Masse Jungs, die am Rande stehen und bloß gaffen. Und es gibt andere (eher Mädels), die nicht so überlegen tun, sondern sich ins Getümmel stürzen und heftig abrocken. Das ist zwar anstrengender, sieht manchmal auch schräg aus, bewegt aber letztendlich mehr – auch auf Seiten der Kundschaft. An die Stelle des Glastraums tritt die Freude am eigenen Werk, am Wirken in einer struppigen Wirklichkeit. Statt die Welt glatt und glasklar zu heucheln, lassen wir uns auf das Leben ein und tanzen fröhlich mit - ist das nicht die schönere Psychologie?
Ihre Dienstleistung ist das systematische Finden und Versuchen neuer Lösungen auf empirischer Basis - sie ist keine Datensammlung und auch keine Videothek für Gruppendiskussionen. Zur Orientierung in der Wirklichkeit reicht eine begrenzte Anzahl von Intensiv-Explorationen aus, die uns mit Träumen, Ängsten und Mythen der Konsumenten bekannt machen. Strategische Drehpunkte und Neuland für Marken und Produkte lassen sich dann in gemeinsamer schöpferischer Arbeit mit dem Hersteller und anderen Experten entwickeln. Diese Kunst der Entwicklung ist ebenfalls psychologisches Handwerk. So dass die "neue" Marktpsychologie auf pragmatische Weise die Bereiche umfasst, die bisher getrennt liefen: Forschen, strategische Markenberatung, Kreativ-Workshops und Unternehmens-Entwicklung. Ein ganzheitlicher Ansatz, der ein gewisses Umdenken erfordert, unter dem Strich aber wesentlich effektiver arbeitet als der große Glaskasten.
Dr. Daniel Salber
Geschäftsführer Salber Psychologisches Entwickeln
Quelle: Salber Psychologisches Entwickeln
Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden