Hintergrund Qualtrics-Übernahme: Wird SAP Deutschlands größter Marktforscher?

von Jörg Stroisch
Dass die Marktforschungsbranche dringend auch mal wieder positive Geschichten braucht, steht außer Frage: Abbau bei der GfK, turbulente Zeiten bei WPP, Zerschlagungsfantasien bei Nielsen. Mitten in diese Untergangsstimmung platzt ein Megadeal von ganz unerwarteter Seite: Der deutsche Softwaregigant SAP kauft Qualtrics für ebenso gigantische acht Milliarden US-Dollar. Mit hohen Erwartungen wird also schon mal nicht gespart. Ob sich diese erfüllen lassen, steht auf einem anderen Blatt.
Qualtrics? Wer bitte schön ist Qualtrics? Das fragte sich nämlich zunächst einmal umgehend die Wirtschaftspresse. Die Wirtschaftswoche zum Beispiel listet in ihrem Beitrag eine Reihe von Buzzwords auf, für die das amerikanische Unternehmen steht. Und sieht die Motivation für den Kauf vor allem darin, dass SAP beim Herausfiltern von Kundenwünschen und Mitarbeiterprozessen durch die Akquise zum ewigen Konkurrenten Salesforce aufschließen möchte. Immerhin: Qualtrics ist bereits seit Ende 2016 mit einem Büro in München vertreten, Brancheninsidern sicherlich ein Begriff.
Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang, wie das Unternehmen selbst seinen USP definiert. Auf marktforschung.de hebt es seine leicht zu bedienende und flexible Oberfläche hervor, unter der "Mitarbeiter- und Kunden-Insights, Digital Experience und Marktforschung" gebündelt sind. Die Stärke soll dabei natürlich nicht nur in der Bündelung liegen, sondern auch darin, dass die verschiedenen Datenströme neue Zusammenhänge und vor allem Handlungsanweisungen bieten, eben "Insights", um noch einmal ein beliebtes Buzzword zu nennen.
Bisher keine einfache Schnittstelle zu SAP
Eher die Programmierer von SAP dürfte dabei interessieren, dass Qualtrics seine Daten auch mit anderen Systemen über eine Schnittstelle austauschen kann. Zur Verfügung gestellt wird hierfür eine sogenannte REST-API. Bei dieser Technologieidee ist vor allem interessant, dass sie - basierend auf einigen grundlegenden Funktionen des Webs - sehr einfach für jeden halbwegs versierten Developer anwendbar ist und sich dafür auf der anderen Seite das zur Verfügung stellende Unternehmen mit der Bereitstellung einer umfassenden Dokumentation begnügt, nicht aber in einen aufwendigen gemeinschaftlichen Entwicklungsprozess eintritt. Damit ist Qualtrics State-of-the-Art in diesem wichtigen Bereich.
Mit dieser Technologie oder auch darüber hinausgehend lassen sich natürlich auch sehr weitgehende Integrationen erstellen: Fast ein bisschen ein Treppenwitz ist es, dass ausgerechnet für SAP noch keine komplett fertig entwickelte eigene Qualtrics-API existiert, für diverse Konkurrenten - unter anderem eben für den Konkurrenten Salesforce - aber sehr wohl. Hierauf wird sicherlich ein Hauptaugenmerk der Entwickler bei SAP in den nächsten Wochen und Monaten liegen. Es dürfte sie allerdings auch nicht vor unüberbrückbare Herausforderungen stellen, denn schließlich ist SAP das "Programmier-Unternehmen" schlechthin in Deutschland.
Wirtschaftliche Perspektiven des Deals
Wird nun SAP mit einem Schlag das größte Marktforschungsunternehmen in Deutschland? Davon kann sicherlich noch nicht die Rede sein, denn dem 1,5 Milliarden-Euro-Umsatz der GfK - wenn auch nach diversen Verkäufen mit abnehmender Tendenz - stehen etwa 400 Millionen Dollar Umsatz von Qualtrics gegenüber. Allerdings: Qualtrics strebt nach eigenen Angaben eine Umsatzsteigerung von sage und schreibe über 40 Prozent an. Klappt das auch? Schon diese Frage lässt sich natürlich nicht eindeutig beantworten, denn das, was sich Unternehmen wünschen, muss ja nicht unbedingt Realität werden. Sollte das Wachstum sich aber in den beschriebenen Regionen bewegen, dann wird es eng für den bisherigen Primus GfK.
Technologisch ist zudem Qualtrics da, wo die GfK erst noch hin muss: sie ist eine integrierte Datasuite mit Anbindung an die Außenwelt. Interessanterweise ist nämlich die einzige API, die die GfK derzeit - zumindest öffentlich - anbietet (neben ein bisschen was auf Github), eine Schnittstelle zu einer Produktdatenbank, mit der E-Commerce-Shops eben Produktbeschreibungen automatisiert integrieren können - von echten und nahtlos integrierten Insights ist das allerdings noch meilenweit entfernt.
Vielmehr treibt die Branche und auch die Aktionäre aber derzeit die Frage um, ob sich dieser Deal für SAP wirklich rentiert. Die Stimmung bei den Aktionären ist hier zunächst alles andere als zuversichtlich, was die Erfolgsaussichten der Akquise betrifft. Das spiegelte sich deutlich im Aktienkurs wider, der nach der Bekanntgabe des Deals kräftig Federn ließ. SAP-Finanzchef Luka Mucic betonte deshalb auch ein paar Tage später vorsorglich, dass die Marge bei SAP 2019 dennoch steigen soll, möchte einen genauen Ausblick aber erst nach dem Abschluss der Akquise im ersten Halbjahr 2019 verraten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Gastbeitrag von Simon Chadwick bei Greenbook. Er rechnet vor, dass acht Milliarden US-Dollar sich nur schwerlich durch die derzeitige unternehmerische Situation bei Qualtrics und auch in Anbetracht von vorausgesetzten Steigerungsraten von 40 Prozent finanziell rechtfertigen lassen. Er rätselt über die Motivation von SAP, über verborgene Erkenntnisse, die die Waldorfer Softwarespezialisten eventuell haben.
Motivation für den Deal
Und diese Erkenntnis könnte in dem Wunsch nach einer großen Datenmacht bestehen, die sich aus dem Zusammenschluss ergibt. Bill McDermott, Vorstandssprecher von SAP, kommentierte die Übernahme ja auch genauso: "Bereits 77 Prozent der weltweiten Transaktionen durchlaufen SAP-Systeme", so McDermott. Die Kombination mit den Erlebnisdaten von Qualtrics würde hier neue Vorteile für das Experience Management eröffnen.
Ob allerdings die Kombination verschiedener Datenströme - Stichwort: Wem gehören die Daten? - auch angesichts weitergehender Regulierungen im Datenschutz in Zukunft so einfach möglich sind, ist fraglich.
Ganz interessant ist in diesem Zusammenhang ein Interview, welches just in diesen Tagen Apple-Chef Tim Cook zum Thema Datenschutz gab. Da fordert er eine deutliche staatliche Regulierung beim Datenschutz, lobt ausdrücklich die DSGVO in Europa, unterstellt der Branche ein Versagen in dieser Frage. Ein bisschen wirkt eine solche Äußerung wie die des Wolfs im Schafspelzes, denn gerade auch Apple profitiert massiv von Nutzungsdaten, auf der anderen Seite aber offensichtlich nicht so massiv, wie die großen Wettbewerber.
Vielleicht ist diese Einsicht so auch eher das strategische Eingeständnis, dass Apple im Kampf um die Datenmacht keinen der vorderen Plätze einnehmen wird - und so durch striktere Datenschutzbestimmungen auf eine einfache Art und Weise das Geschäftsmodell der Konkurrenz angekratzt werden könnte.
Die SAP-Akquisation von Qualtrics bleibt so ein positives Leuchten in einer derzeit gebeutelten Branche. Ob sie am Ende aber eher eine Glühbirne wird oder sich wirklich zum Feuerwerk entwickelt, kann niemand mit Gewissheit vorhersagen.
Kommentare (2)
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden