Aus dem wahren Leben - Kolumne von Jens Krüger Qualitative Forschung als Häppchengeber – von Sushi bis Insights

Warum sich gerade die qualitative Forschung im Kontext anderer Disziplinen trotz Covid-19 so schwer tut und warum ein Blick auf UX hilft zu verstehen, woran es aktuell fehlt. Vielleicht zumindest.

Ines Imdahl (rheingold salon) und ein leidenschaftlich formulierter Artikel über die Bedeutung von qualitativer und quantitativer Forschung hat mich zu diesem Text inspiriert. Sie schließt ihren Artikel - richtigerweise mit dem Hinweis, dass es keine Grabenkämpfe der beiden Disziplinen braucht - beide haben natürlich ihre Berechtigung.

Dachte ich auch immer - auch ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter und Verbinder beider Disziplinen. Und auch jetzt, liefert die qualitative Forschung die wichtigen Antworten auf das Warum? Covid-19 hat vieles verändert. Konsumverhalten. Die gesamte Customer Journey. Eigentlich Alles. Wir müssen mehr und das auch besser verstehen, warum was da draußen passiert.

Warum steigt der Umsatzanteil der qualitativen Forschung nicht?

Hier hat sich insbesondere die tiefenpsychologische Forschung in den letzten Monaten klar positioniert.

Aber warum gewinnt die qualitative Forschung in Summe nicht viel mehr an Bedeutung, v.a. auch bei den Budgets?

Seit Jahrzehnten hat sich an der Ausgaben-Formel vieler Unternehmen, 80% Quant und 20% Qual nicht viel verändert. Ebenso laufen aktuell - das zeigt auch das Instituts-Ranking - die Geschäfte in diesem Bereich mit wenigen Ausnahmen eher dürftig. Klar, Forschung in Gruppen - zumindest live -sind nicht oder nur unter enormen Aufwand möglich, Einzelinterviews nur eingeschränkt machbar. Die Branche hat zwar weitestgehend auf Remote umgestellt, aber viele tun sich noch immer schwer mit neuen Formaten. Aber das allein kann nicht der Grund sein.

Also, zurück zu meiner Frage. Warum wird gerade die Qualitative Forschung so unterschätzt?

Vielleicht, weil sie noch immer nicht ihre Rolle gefunden hat und sich immer wieder legitimieren will oder muss.

Wie soll Qualitative Forschung sein?

Qualitative Forschung - wenn sie gut gemacht ist - muss "inspirierend und erfrischend sein". So eine Reaktion auf den Artikel von Ines Imdahl. Genau. Qualitative Forschung ist Entertainment, mit Sushi und Lachs hinter der Scheibe im Studio. Manchmal reicht auch ein 5 Kilo Eimer Haribo. Früher gingen wir zur After-Work-Party, heute ins Teststudio.

Ein paar Happen von der kalten Platte und noch ein paar Häppchen Insights vor dem Weg nach Hause. Nein! Qualitative Forschung ist kein Entertainmentprogramm.

Dennoch zeigt diese Reaktion auch, dass sie immer noch falsch wahrgenommen, vielleicht auch falsch eingesetzt wird. Schuld daran sind natürlich die Anderen - die Bösen, die Quantis, die die Qualis nicht richtig verstehen oder verstehen wollen. Oder? Ok, keine Grabenkämpfe ...

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Vielleicht hat ja diese Wahrnehmung auch etwas mit den Qualis selbst zu tun?

Taugt UX Forschung als Role-Model?

Gerade in der Digitalisierung liegt jetzt auch eine neue Chance, die Profession anders "aufzuladen" - und ihr einen erweiterte, neuen Mehrwert zu geben. Sich neu zu positionieren. Dass dies schon in einigen Bereichen gelungen ist, zeigt die Forschung im Bereich UX. Niemand würde behaupten, dass UX Forschung Unterhaltung ist. Aber auch nicht, dass es sich "nur" um Forschung handelt. UX ist ein ganzheitlicher Prozess. Ein Framework. Etwas, was ganze Organisationen und Abläufe verändern kann.

Die UX Forschung hat die Brücke vom reinen "Verstehen" in Richtung "Machen" -also, eingebunden in Umsetzung und Prozesse auf Seiten der Kunden - geschafft.

Vielleicht liegt genau in diesen Diversifikationen für die Qualitative Forschung und einem neuen Narrativ die Chance. Als Sprungbretter für diese Diversifikation bieten sich eine Menge Schlagwörter und die dahinterliegenden Prozesse an - CX, Co-Creation, Design Thinking und Scrum. Das sind - wenn auch zunehmend inflationär gebraucht, die immer noch spannenden Methoden und Techniken, die man besser und stärker miteinander verbinden kann.

Was Qualitative Forschung mehr gelingen sollte

Genau hier liegt die Chance, den eigentlichen und originären Wert der Qualitativen Forschung zu erhöhen, wenn es gelingt die Forschung mit Innovations- und Marketing-Prozessen besser zu verbinden. Und damit neben dem „Verstehen“ auch einen Beitrag für das „Machen“ liefert. Z.B. im Rahmen von großen gesellschaftlich relevanten ThinkTanks, in denen Qualis den externen Lead einnehmen – zwar für und mit ihren Kunden. Aber als zentrale Instanz den Prozess der Meinungsbildung mit allen Stakeholdern anführt und hilft als „Netzwerker“ die unterschiedlichen Perspektiven von internen wie externen Stakeholdern miteinander zusammenzubringen.

Dafür wird es nicht reichen, sich wie bisher auf die Rolle des Insights-Gebers zurückzuziehen. Es muss mehr in Richtung Umsetzungsbegleitung gehen. Mehr darum sich als Partner abseits der klassischen Marktforschung anzubieten.

Über den Autor:

Jens Krüger ist seit 2019 CEO von Bonsai Research. Der Consumer-Experte war zuvor über zehn Jahre Geschäftsführer bei Kantar/TNS Infratest. Der studierte Soziologe und Sozialpsychologe engagiert sich in mehreren Beiräten (u. a. im Zukunftsforum und dem VKE-Kosmetikverband), ist Speaker und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen gesellschaftlicher Wandel, Consumer-Trends, Ernährung und Handel der Zukunft.

/jr

 

Diskutieren Sie mit!     

  1. Jan Strasser am 25.02.2021
    Danke für diesen wichtigen Blog Post, Herr Krüger. Ich sehe das genauso. Eine Idee: Warum erfinden wir nicht einen eigenen Ansatz und ein eigenes Buzzword für das Qualiresearch-gestützte "Machen"? Dies wäre vielleicht reizvoller als das Zitieren von Allerwelts-Begriffen wie "Design Thinking", "Co-Creation", usw.?
  2. Denise Glasemann am 25.02.2021
    Wo genau sieht man denn anhand der von Ihnen verlinkten Daten, dass es speziell im qualitativen Bereich „dürftig“ läuft? Ist das nicht generell eine, vor allem pandemiebedingte Entwicklung der Gesamtbranche die hier abgebildet wird?
  3. Jens Krueger am 26.02.2021
    @Denise Glasemann: danke für die Nachfrage. Zur Verteilung der Budgets Qual/Quant - hier gibt es diverse Quellen - BVM und ADM - auf die Schnelle gibt es auch etwas auf Statista - da sind es nach Erhebungsmethoden ca 16% für Qualitative ausgewiesen. Der Wert wird sicher schwanken, aber ist deutlich und seit Jahren relativ stabil. Sicher richtig, dass die Pandemie v.a. auch die Studiobetreiber schwer getroffen hat, Wohlgleich sich da einiges In Richtung Online-Methoden (Communities) verschoben haben dürfte. Mir ging es ja darum, eine Diskussion anzustoßen - warum - Gerade jetzt das Volumen und die Bedeutung von Qual nicht stärker wächst. Ich lesen jeden Tag von unsicheren Unternehmen, dass die Frage nach dem Warum? Immer wichtiger wird. Also viele Lippenbekenntnisse von alles Seiten. Auch bei den Prognosen (auch habe habe vor 10 Jahren und dem Merger von RI und TNS geglaubt, dass die qualitative Forschung deutlich an Bedeutung gewinnen müsste. Zumal die gesellschaftliche Transformation. der Wertewandel und die Digitalisierung in dem letzten 10 Jahren massiv Konsumverhalten, Wissenstransfer, Kommunikation und Medien massiv verändert haben - ich hätte erwartet, dass die damit verbundenen und oft als disruptive beschriebenen Veränderungen doch zu einem mehr (hinter-)fragen geführt hätten -
    zumindest zu einer stärkeren Verzahnung der Disziplinen. Ist aber so nicht passiert. Warum eigentlich? Genau diese Frage beschäftigt mich. Lg, Jens
  4. Stephan Teuber am 26.02.2021
    Auch wenn vor dem Hintergrund des Narrativs, dass Design Thinking, UX & Co erst die Implementation von Insights auf die Tagesordnung gebracht hätten, die Argumentation schlüssig scheint und der Appell an die qualitative Forschung, doch mehr in diese Richtung zu gehen, einleuchten mag, so sehr zementiert diese Argumentation das - mit Verlaub - Vorurteil gegen qualitative Forschung als reiner Insightgenerator. Vielmehr war die Implementation doch schon seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil zahlreicher qualitativer Forschungsprozesse. Ich erinnere nur an Formate wie Concept Labs, Co-Creation, Innovationlabs u.a. Es mag ja sein, dass Design Thinking und UX etwas zeitgemäßer "klingen" und ihr häufiger Verzicht auf Tiefe manch schnelllebigen Trends entgegenkommt, doch weigere ich mich (als qualitativer Forscher) das Narrativ zu akzeptieren, erst jetzt käme die Dimension der Implementation des "Machens" hinzu.
  5. Jens Krueger am 26.02.2021
    Lieber Stephan Teuber,
    Danke für den Impuls und die Einordnung. Sehe ich grundsätzlich ähnlich - das „Machen“ ist nicht erst jetzt Thema, eigentlich schon seit immer. Aber wirklich immer selbstverständlich? Das glaube ich nicht; ich kann mich an Diskussionen mit Forschern und auch mit Kunden erinnern. Wie häufig sind beiden mit der Überlassung der Ergebnisse wieder auseinandergegangen. Obwohl man hätte noch viel mehr aus den Ergebnissen in der operativen Umsetzung draus machen können. Das krasseste Erlebnis hatte ich mal mit einem Kunden, der uns bzw. die Qualis nach der Ergebnis-Präsentation wieder rausgeschickt hat - mit dem Hinweis - das klären wir jetzt erstmal intern .... Erst mit den beschriebenen und ja, den künstlich gehypten Stichwörtern (und hörnest UX sicher das beste Beispiel) hat sich die Bereitschaft zur echten und nachhaltigen, prozessgetriebenen Co-Creation doch erst etabliert. Klar, Ausnahmen gab es natürlich immer. Wie sagt mein Kollege immer - in der Übertreibung liegt die Kraft de Verdeutlichung.

    Und hier bleibt das aktuelle Gefühl, dass qualitative Forschung in der Breite unter ihren Möglichkeiten bleibt.
    Vg, Jens Krueger
  6. Stephan Teuber am 03.03.2021
    Lieber Jens Krüger,,
    in der Sache, glaube ich, sind wir uns eigentlich einig. Und dass Qual häufig nicht einbezogen wurde, obwohl die Kompetenz und Bereitschaft vorhanden war, kann ich leider gar nicht bestreiten. Bei Anflügen von Vorschlägen zu kreativen Umsetzungsideen konnte es schon mal zum Eklat kommen, da haben Sie Recht. Worauf ich im aktuellen "Streit der Paradigmen" aber immer hellhörig reagiere, ist der Versuch der Erringung von Deutungshoheit von Paradigmen, die auftreten, als hätte es Marktforschung oder Consumer Understanding niemals gegeben, und einen Neuanfang propagieren, den es so freilich nicht gibt. Aber insofern ist es ja auch eine Chance für die Marktforschung, wenn die neuen Paradigmen die Beteiligung erwirken, die der Marktforschung zuvor teilweise versagt blieben.

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