Florian Klaus, K&A BrandResearch Psychodrama am Esstisch

Herr Klaus, K&A hat das Psychodrama in die Marktforschung gebracht. Was ist ein Psychodrama?
Florian Klaus: Das klingt nach einer einfachen Frage, und vermutlich hat jeder, der zum ersten Mal von Psychodrama hört, schnell Bilder im Kopf. Viele davon haben wahrscheinlich mit Filmen wie ‚Shining‘ zu tun und sind glücklicherweise völlig falsch.
Psychodrama ist der Name für einen psychotherapeutischen Ansatz, der Menschen als soziale Wesen und ihr Verhalten als miteinander und mit der Umwelt interagierend versteht. Der Blick des Therapeuten richtet sich nicht in erster Linie auf den Einzelnen und auch nicht auf dessen frühe Kindheit, sondern auf das soziale System, die verschiedenen Bühnen des Alltags und das zukünftig (besser) Machbare. Ein therapeutisches Psychodrama kann man sich als Gruppenveranstaltung vorstellen, bei der die Beteiligten ihre eigenen Rollen nach-erleben, tauschen und neu zu gestalten lernen.
Wir als Institut hatten das Glück, dass einer der ersten K&A-ler mit einer psychodramatisch arbeitenden Psychotherapeutin verheiratet war. Am Esstisch, so die Legende, entstand die Grundidee, Psychodrama auf die Marktforschung anzuwenden. Aus dem Prototypen ganztägiger Veranstaltungen mit etwa 10 Teilnehmern, die im Gegensatz zu klassischen Fokusgruppen nicht miteinander diskutieren, sondern eine gemeinsame Expedition in ihren Alltag unternehmen, entstanden über die Jahre verschiedene Formate für unterschiedliche Anwendungsbereiche. Heute findet sich das grundlegende Menschenbild in allen unseren Beratungsprojekten und Studien wieder, egal ob qualitativ oder quantitativ.
Es gibt wenig Branchen, die von der Marktforschung untersucht werden, in denen das Psychodrama populär ist. Wie erklären Sie sich die Popularität der Methode in den Bereichen Healthcare und OTC?
Florian Klaus: Zum einen wird das Psychodrama seit über 30 Jahren mit K&A als Erfinder psychodramatischer Marktforschung verbunden. Das kommt nun mit unseren Branchen-Schwerpunkten zusammen, die seit Gründung vor allem in FMCG und Rx/OTC liegen, sowie seit einigen Jahren im eBusiness. Das allein erklärt die Popularität der Methode in Healthcare aber natürlich nicht.
Unsere Kunden überzeugt der radikale Fokus auf das echte Leben und das dynamische, intuitive Verhalten der Menschen. Die wissenschaftliche Psychologie weiß heute, dass wir vor allem von unseren Verhaltens-Umfeldern – wir sagen dazu ‚Kontexte‘ – und nicht von Ratio oder irgendwelchen inneren Kindern geprägt werden. Ich formuliere es gerne so: Psychodrama diskutiert nicht, es lässt Menschen Menschen sein. Wir schaffen Raum für authentisches Verhalten, indem wir es nicht zerreden, rationalisieren oder psychologisieren.
Nehmen Sie das Rollenspiel als zentrale psychodramatische Technik. Damit stellen wir im Kern Alltags-Kontexte wieder her und beobachten den System 1-Autopiloten bei der Arbeit. Jetzt können wir mit ihm experimentieren, testen wie er auf neue Themen, Verhaltensweisen, Produkte, Präparate reagiert und wie sie sich effektiv in den Alltag einbauen lassen. Wir halten uns also nicht mit Stochern in der Vergangenheit auf, sondern entwickeln gemeinsam mit der Zielgruppe und im besten Sinne spielerisch zukünftige Themen und Verhaltens-Alternativen für Neues.
Das gilt für alle Domänen menschlichen Entscheidens. Es wirkt aber dann ganz besonders eindrucksvoll, wenn wir es mit Menschen zu tun haben, denen man ein außergewöhnlich faktenorientiertes, professionelles Verhalten unterstellt. Und da sind wir nun bei B2B Entscheidern, Ärzten, oder auf die Spitze getrieben: spezialisierten Facharzt-Gruppen.
Das Psychodrama wird im Vergleich zu Gruppendiskussionen oder Tiefeninterviews in der Marktforschung sehr viel seltener eingesetzt. Warum ist die Methode nicht viel verbreiteter?
Florian Klaus: Sehr gute Frage! Vielleicht wirken wir dem gerade in diesem Moment entgegen. Aber im Ernst: Psychodramatische Forschung ist aufwändiger als Standard-Gruppen oder Einzelexplorationen. Wir verstehen uns als Übersetzer von Marketing-Fragen in den Lebensalltag der Menschen und zurück in ganz konkrete Erkenntnisse und Empfehlungen. Dafür muss man seine Zielgruppen maximal ernst nehmen und sie nicht als Pseudo-Experten des eigenen Verhaltens missbrauchen. Das braucht Spezialisten im Consulting und im Umgang mit den Menschen, von denen wir lernen wollen.
Wir arbeiten bei Psychodramen etwa mit externen Moderatoren, die Psychodrama-Qualifikationen aus der Psychotherapie oder dem Coaching mitbringen. Damit beantworten wir allerdings auch in erster Linie echte, offene ‚Warum?‘-Fragen zum Marktverständnis, Treibern, Barrieren und Marken-Strategien. Das ist nicht gerade das tägliche Brot der Gruppendiskussionen.
Worauf achten Sie bei der Rekrutierung von Probanden für Psychodrama-Gruppen besonders?
Florian Klaus: Das hängt stark vom jeweiligen Format ab. Klassische Psychodramen sind bei uns 8-stündige Ganztagesveranstaltungen für ein wirklich grundlegendes Verstehen. Psychodramatische Workshops sind kompakter gestrickt und benötigen weniger Zeit. Das K&A Monodrama als psychodramatische Methode im Einzelsetting braucht in der Regel etwa 90 Minuten. Das Videodrama, dessen Bedeutung in Pandemie-Zeiten deutlich gewachsen ist, liegt bei rund einer Stunde mit bis zu 4 Teilnehmenden. Je nach Intensität der Sessions sind wir also per Definition unterschiedlich anspruchsvoll was die Bereitschaft zum Engagement für unser Thema angeht. Abgesehen davon müssen Teilnehmer und Teilnehmerinnen Lust darauf haben, sich und ihr Verhalten gemeinsam auszuprobieren. Und sie müssen psychologisch repräsentative Vertreter der relevanten Zielgruppen sein. That’s it. Der Vater des therapeutischen Psychodramas, J.L. Moreno traute jedem Menschen zu, sich auf seine Methode einzulassen. Weil sie letztlich nur ein Hilfsmittel ist, um ganz gewöhnliches Alltagsverhalten sichtbar und veränderbar zu machen. Mit der richtigen Moderation können wir das alle.
Welche Psychodrama-Übungen setzen Sie besonders gerne in Healthcare-Projekten ein?
Florian Klaus: Da muss ich zuallererst das Rollenspiel in allen seinen Varianten nennen. Mit spontanen Rollenwechseln, die Fachärzte in die Haut verschiedener Patiententypen, Kollegen oder Außendienstler schlüpfen lassen, mit der Übernahme kognitiver und emotionaler Anteile der Protagonisten durch die Moderation oder andere Teilnehmer, der Besetzung unausgesprochener Erwartungen und Befürchtungen etc. Daneben hilft uns die Verbildlichung von Therapiepfaden und projektive Darstellung der wichtigsten Wegmarken oft sehr. Oder Zeitreisen zur Exploration von Verordnungshistorien. Sorry, es fällt schwer sich festzulegen. Je nach Fragestellung gleicht kein Psychodrama-Leitfaden dem anderen. Weil wir viel mit externen Praktikern zusammenarbeiten, entstehen außerdem immer wieder neue Techniken, die dann Einzug in andere Projekte halten.
Gibt es Fragestellungen, bei denen die Methode des Psychodramas besonders naheliegt? Für welche Zielsetzungen bietet sich der Einsatz besonders an?
Florian Klaus: Wir setzen im MaFo-Alltag selbstredend auch Einzelinterviews und Gruppendiskussionen ein, wenn wir zum Beispiel eine erste Hypothesensammlung brauchen oder sehr konkrete Stimuli checken wollen. Psychodramatisch arbeiten wir am Herzen der qualitativen Forschung, den wirklichen ‚Warum?‘-Fragen. Wenn also – um beim Beispiel Healthcare zu bleiben – der aktuelle Stand einer Indikation in der Ärzteschaft erhoben werden soll, die Penetration neuer medizinischer Erkenntnisse und ihr Einfluss auf ärztliches Handeln verstanden werden will, oder das Warum und Warum-Nicht der Verordnung einer bestimmten Präparateklasse beziehungsweise eines einzelnen Präparats zur Diskussion steht. Dann schlägt lebensnahes Menschen-Verstehen jede andere Herangehensweise.
Durch die Corona-Pandemie hat die qualitative Online-Forschung deutlich zugelegt. Inwiefern konnten Sie auch Elemente des Psychodramas virtuell durchführen?
Florian Klaus: Wir hatten schon vor Corona laufend mit der Herausforderung zu tun, Psychodramatik in sehr speziellen Populationen umzusetzen. Natürlich können Sie eine Gruppe von Koryphäen am Frankfurter Flughafen zusammenziehen und dort für einen Workshop motivieren. Die effizientere Alternative ist das K&A Monodrama, also die Anwendung psychodramatischer Methoden mit einer/m Ansprechpartner/in, etwa mit Hilfe von Spielfiguren als Projektionsfläche.
Soweit Zielgruppen digital erreichbar waren, haben wir das auch vor der Pandemie in Videocalls umgesetzt und vorab Spielpakete per Post versandt. Corona ist eine globale Tragödie. Es gibt aber auch Lichtblicke. Ganz egoistisch haben uns die Lockdowns mit der Digitalisierung und digitalen Erreichbarkeit sprichwörtlich jeder Zielgruppe sehr geholfen. Jetzt arbeiten wir auch mit Ü70 Korn-Trinkern in NRW via Webcam. Oder mit hochdekorierten Kardiologen in den USA.
Wenn Sie von skeptischen Kunden zur Psychodrama-Methode befragt werden: Welche Argumente führen Sie für die Methode besonders häufig an?
Florian Klaus: Je nach Quelle der Skepsis helfen unterschiedliche Argumente. Ich erinnere mich gut an einen Kunden, dessen Vorstand mit dem Begriff Psychodrama nichts anfangen konnte: ‚Psychodrama?! Das habe ich schon jeden Tag im Office!!‘. Er brachte uns anonym ins Spiel, das Wort Psychodrama tauchte auf keinem Slide auf. Bis sich genau dieser Vorstand für unser Konzept ausgesprochen hatte.
Häufiger entstehen Fragezeichen aber an derselben Stelle wie bei Ihnen. Wer nimmt denn an so etwas teil? Wie repräsentativ sind diese Leute und Eure Spielchen? Meine Antwort in dem Fall ist: Experten für unser Bauchgefühl sind wir alle, unsere Moderatoren sind Experten im Bauch-Kitzeln.
Wer Skepsis am Nutzen des größeren Aufwands spürt, dem hilft seit ein paar Jahren die Arbeit der Behavioral Economics und von Nobelpreisträgern wie Daniel Kahnemann und Richard Thaler. Offenbar ist wirklich etwas dran am spielerischen Erkunden von intuitivem Verhalten.
Ob der Homo Oeconomicus oder die Tiefenpsychologie, die an unseren Universitäten übrigens längst nicht mehr gelehrt wird und in der wissenschaftlichen Psychologie als überholt gilt, aber wirklich überwunden werden kann, da habe ich so meine Zweifel. Gewohnheit gibt nun mal Sicherheit (familiarity bias) und ist im Fall von Freud auch noch unterhaltsam.
Kurzvita:

Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

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