Problemstellung Marktgröße in der B2B-Marktforschung

Was macht die B2B-Marktforschung so besonders?

Die Marktforschung entstand aus dem Konsumgütermarketing, da die Notwendigkeit bestand eine immer anonymere Kundengruppe zu verstehen. Bis jetzt liegt hier der Hauptfokus der Marktforschung.

Im B2B Bereich ist die Kundengruppe aber oft nach wie vor weder anonym noch emotional. Darüber hinaus besteht ein großer Unterschied in der Erhebungsmethodik. Die Frage nach der Größe des Marktes wird in vielen B2C-Märkten über Handelspanels gelöst. Eine Methodik, die im B2B-Bereich oft gar nicht möglich ist. Drittens stellen sich die Fragen der Internationalisierung im Bereich des B2B-Marketing oft wesentlich früher als im B2C-Bereich.

Unterschiede im Überblick:

B2B (Business to Business) Konsumentenforschung (B2C)

  • Fokus Marktgröße
  • Fokus Kundenverhalten
  • Internationalisierung
  • "Multilocal"
  • Herstellerbefragung "Sell In"
  • Panels ("Sell Out")
  • Einzelne Projekte
  • Laufende Projekte
  • Wie tickt der Markt?
  • Wie tickt der Kunde?

In Summe gibt es somit im B2B Bereich andere Fragestellungen und andere Tools; vor allem was die Frage der Marktgrößenberechnung anbelangt.

Ich greife an dieser Stelle die Ermittlung von Marktgrößen heraus und erkläre die prinzipielle Vorgehensweise und neuralgische Punkte, die den Erfolg ausmachen.

Wie groß ist der Markt?

Basisfrage jedes Unternehmen ist die Größe des relevanten Marktes, idealerweise pro Region, Produktgruppe, Anwendung usw. Die Frage stellt sich in allen Stadien der Marktentwicklung. Beim Eintritt als Feasibility, beim Wachstum in Bezug auf die Suche nach Potenzialen und schließlich im Reifestadium als Benchmarking.

Aber wie lassen sich überhaupt die Marktgrößen ermitteln? Im simpelsten Fall lassen sich Marktgrößen aus vorhandenen Faktoren und beschafftem Datenmaterial überschlagsmäßig errechnen:Marktvolumen (Q) = Anzahl effektiver Käufer (n) x durchschn. gekaufte Menge pro Käufer (q) x Durchschnittspreis pro Mengeneinheit (p)

Also z.B. das Marktvolumen für Reisebusse ergäbe sich nach dieser Formel aus der Anzahl der Reiseunternehmen, die Reisebusse kaufen x durchschnittlich gekaufte Anzahl Reisebusse x Durchschnittpreis eines Reisebusses. Dieses muss für jedes Teilsegment berechnet werden und dann zum Gesamtmarkt aggregiert werden. Simpel. Das Problem ist allerdings die Erhebung der benötigten Daten für solche Berechnungsmodelle.

Zweitens könnte man alle Abnehmer eines Produktes nach den gekauften Mengen innerhalb eines Betrachtungszeitraums befragen und die ermittelten Absätze zu einem Gesamtmarkt aufsummieren. Wenn die Anzahl der Abnehmer sehr groß ist reicht unter Umständen eine repräsentative Stichprobe aus, um valide Gesamtrechnungen durchführen zu können.

Eine andere Vorgehensweise besteht in einem Top-Down Ansatz, bei dem Herstellerumsätze aggregiert werden, um Gesamtumsätze zu eruieren. Dazu müssen alle Hersteller ihre Umsätze offen legen. Da dieses nur selten der Fall ist, wird nahezu immer ein Methodenmix aus unterschiedlichen Ansätzen die beste Vorgehensweise sein.

Ich muss vorausschicken, dass trotz Methodenmix Marktgrößenbestimmungen immer unter einer relativ großen Unschärfe leiden. Die Ergebnisse sind in den seltensten Fällen so sicher wie klassische Projekte im Konsumentenbereich ohne an dieser Stelle näher auf die zahlreichen Gründe eingehen zu wollen. Lassen Sie sich von Nachkommastellen bei der Angabe von Marktgrößen nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine solche exakte Ermittlung quasi unmöglich ist.

Man nähert sich im Methodenmix den tatsächlichen Marktgrößen von unterschiedlichen Seiten. Im Zentrum steht die Befragung von Herstellern. Es werden also Hersteller direkt nach Ihren Umsätzen in verschiedenen Regionen und Segmenten gefragt. Dieses erfolgt in der Regel über schriftliche Fragebögen. Bei unzureichender Beantwortung wird versucht, die Fragebögen durch telefonische Interviews zu komplettieren.

Parallel dazu wird Desk Research betrieben, d.h. es wird vorhandenes Datenmaterial (offizielle Statistiken, Fachartikel, wissenschaftliche Veröffentlichungen, bestehende Studien, etc.) gesichtet, auf Seriosität der Quelle geprüft und die relevanten Daten verdichtet. Als Quellen kommen das Internet, Fachzeitschriften, Geschäftsberichte, Datenbanken, Statistische Ämter, etc. in Frage.

Drittens werden Händler und Distributoren befragt. Sie sollen eine Einschätzung über die Marktgrößen und die Umsätze einzelner Herstellern, bzw. deren eigene Absatzaufteilung abgeben, bzw. kommentieren.

Je nach Projekt werden ausgewählte Kunden befragt, um zusätzlich Preis- und Produktinformationen zu bekommen.

Fünftens werden Experteninterviews geführt, um Einschätzung über den Status Quo und die Entwicklung des Marktes von Insidern zu generieren. Experten können bei Verbänden, bei Herstellern, bei Händlern, an Universitäten, in der Presse, etc. gesucht werden.

Prinzipiell sollte das Desk Research und die Interviews mit Händlern, Kunden und Experten der Validierung der primär erhobenen Daten dienen. Hier spielt allerdings das Auskunftsverhalten der Hersteller eine entscheidende Rolle. Wenn Hersteller keine Zahlen liefern, müssen Umsatzgrößen über die anderen Quellen gewonnen bzw. geschätzt werden. Dieses kann in einem schwierigen Drahtseilakt münden und benötigt viel Erfahrung und Kenntnis im Umgang mit gewonnenen Informationen. Prinzipiell muss man immer davon ausgehen, dass es unter Umständen einfach nicht möglich ist den Markt hinreichend valide zu ermitteln. In diesem Fall sollte man bestenfalls großzügige Bandbreiten für Umsätze angeben (z.B. Markt ist zwischen 2,5 und 3,5 Mio. Euro groß).

Falls Umsatzgrößen geschätzt werden müssen, ist es sinnvoll die geschätzten Zahlen Herstellern zur Kommentierung und eventuellen Anpassung zurück zu übermitteln.

Um Umsätze prognostizieren zu können, bieten sich grundsätzlich immer quantitative und qualitative Methoden an. Die Wahl der richtigen Methode richtet sich meist nach der Qualität und der Quantität der vorhandenen Daten. Wenn ich valide Daten aus der Vergangenheit für den Absatz und für Inputfaktoren über mehrere Perioden habe funktionieren quantitative Modelle wie Regressionsrechnungen. Welches quantitative Modell im Einzellfall benutzt wird richtet sich nach Komplexität und Niveau (metrisch, ordinal, nominal) der erhobenen Daten und nach zu prognostizierendem Zeitraum. Die Palette reicht von einfachen Regressionsmodellen bis zu neuronalen Netzen. Falls diese Daten nicht zur Verfügung stehen kommt man bei der Prognose nicht um eine qualitative Einschätzung durch Experteninterviews herum. Sinn macht eine Kombination von quantitativen Prognosemodellen mit qualitativen Einschätzungen.

Eine typische grafische Darstellung von Ergebnissen sieht z.B. folgendermaßen aus:

Abbildung 1: Beispielergebnisse (Bild: IC Consulting)
Abbildung 1: Beispielergebnisse (Bild: IC Consulting)


Trotz der Verschiedenartigkeit eines jeden Projektes, bei dem Marktgrößen ermittelt werden sollen, gibt es einige Faktoren, die entscheidend für den Erfolg sein können:

Experten treffen auf Experten. Studienleiter auf Seite des Marktforschungsinstitutes sollte ein Branchenexperte sein. Es gibt immer wieder die Diskussion was wichtiger ist: Sich in der Branche extrem gut auszukennen (also z.B. Consultant hat früher bei einem Unternehmen aus der Branche gearbeitet) oder methodisch viel Erfahrung zu haben. Eine richtige Antwort gibt es nicht. Beides ist wichtig und der Schwerpunkt richtet sich nach dem jeweiligen Projekt.

Der Markt wird immer aus mindestens 2 Blickwinkeln betrachtet. Man sollte sich den Marktzahlen aus Herstellersicht nähern, d.h. Herstellerumsatzzahlen in Erfahrung bringen. Darüber hinaus sind aber auch Betrachtung von Händlerumsätzen, Unternehmensbefragungen und eine Metabetrachtung durch Experten wichtig. Diese dienen dann oftmals als Cross Checks.

Wichtig ist trotz aller quantitativen Erhebung die Plausibilisierung von Marktzahlen, vor allem von Prognosen. Lassen sich die Prognosen, die sich durch ein quantitatives Modell ergeben auch inhaltlich vollkommen erklären?

Zum Autor

Holger Sicking, IC Consulting GmbH (Bild: IC Consulting)
Holger Sicking, IC Consulting GmbH (Bild: IC Consulting)

Autor: Mag. Holger Sicking

Holger Sicking ist seit 2001 statistischer Leiter bei der IC Consulting GmbH in Wien und als Dozent für Marktforschung und Statistik an der Fachhochschule Wien tätig. Themenschwerpunkte sind Preisanalysen mittels Conjoint Analyse und Studien im B2B-Bereich. Kontakt: sicking@interconnectionconsulting.com www.interconnectionconsulting.com

 

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