Frank Drewes, Harris Interactive AG Preisforschung im Zeitalter des Direktvertriebs – Conjointanalytische Optimierung von unverbindlichen Preisempfehlungen

Im Direktvertrieb konkurrieren Hersteller nicht mehr nur gegeneinander, sondern auch mit ihren Handelspartnern um Endkunden. Die Festlegung einer unverbindlichen Preisempfehlung wird dadurch nochmals anspruchsvoller. Harris Interactive stellt einen Preisforschungsansatz vor, der Unternehmen bei der Suche nach der optimalen UVP unterstützt.

Frank Drewes: Preisforschung im Zeitalter des Direktvertriebs (Bild: SNFV GmbH)

Mit Etablierung des Onlinehandels ist es für Hersteller und Marken deutlich einfacher geworden, ihre Produkte direkt an Endkunden zu vermarkten. Anstelle eines kostspieligen eigenen Filialnetzes reicht ein einzelner Onlineshop aus, um Kunden und Konsumenten landesweit zu erreichen. Onlinemarktplätze wie Ebay und Amazon bieten Unternehmen, die die Entwicklung eines eigenen Onlineshops scheuen, Direktvertriebskanäle mit enormer Reichweite an. Dementsprechend gibt es heutzutage kaum noch eine Branche ohne eine Vielzahl von Direct-to-consumer-Angeboten: Durch Tesla fiel der Handel mit Neuwagen, eine der letzten Bastionen gegen den Onlinedirektvertrieb. Am anderen Ende des Spektrums von langlebigen Gütern zu Konsumgütern des alltäglichen Bedarfs stehen Markenshops wie der von Nivea, in dem viele Pflegeprodukte angeboten werden, die auch im Drogeriemarkt vor Ort erhältlich sind.

E-Commerce: Höhere Margen durch Wegfall der Absatzmittler

Trifft eine starke Marke mit versandfreundlichen Produkten auf eine onlineaffine Zielgruppe, kann der Onlinedirektvertrieb für Hersteller und Marken schnell zu einem bedeutenden Absatzkanal werden. So erzielte Adidas 2019 mit konzerneigenen E-Commerce-Angeboten einen Umsatz von 2,6 Milliarden Euro weltweit, der 2020 auf rund 4 Milliarden Euro gesteigert werden soll. Aber auch Unternehmen, die keinen solch hohen Umsatz im Direktvertrieb erreichen, profitieren von höheren Margen durch Wegfall der Absatzmittler.

Neben diesen direkten ökonomischen Vorteilen eröffnet der Direktvertrieb auch neue strategische Optionen:

  • Hersteller gewinnen im Direktvertrieb die uneingeschränkte Kontrolle über die Vermarktung von Marken und ihren Produkten, insbesondere über die Preissetzung.
  • Hersteller und Marken schaffen einen direkten Zugang zu ihren Kunden, den sie zu Marketing-, aber auch R&D-Zwecken nutzen können.
  • Hersteller und Marken können mit erheblich vermindertem Aufwand und Risiko Produkt- und Dienstleistungsinnovationen testen und einführen.
  • Hersteller und Marken können viel einfacher und autonomer in neue Märkte expandieren.

Letzten Endes entscheidend für den Erfolg eines Direktvertriebs sind aber seine Vorteile aus Kunden- und Konsumentensicht:

  • die Wahl aus einem umfassenden Angebot jederzeit und allerorten
  • der Schutz vor dem Erwerb minderwertiger Waren und Produktfälschungen
  • über den Produktkauf hinausgehender Service, beispielsweise die Bereitstellung von Ersatzteilen oder das Angebot von Reparaturen
  • und nicht zu vergessen: der ideelle Wert einer direkten Interaktion mit der präferierten Marke

Aus Hersteller- wie Kundensicht bietet der Direktvertrieb also eine Vielzahl von Vorzügen. Wo aber bleibt der Handel?

Trotz der hohen Steigerungsraten im Onlinehandel wird weiterhin oft und gerne vor Ort eingekauft. Ein starker lokaler Handelspartner bietet Herstellern wie Kunden Vorzüge, die im Direktvertrieb kaum realisierbar sind, von der persönlichen Produktansicht bis hin zur zügigen Ausführung von Reparaturen. Im Gegenzug kann aber auch der Handel von einem starken Markenauftritt im Internet profitieren, wenn Hersteller Storefinder in ihre Onlineshops einbinden und den direkten Wettbewerb durch ein gegenüber dem Handel differenziertes Produktsortiment vermeiden.

Im Hinblick auf die Preissetzungsmacht ist schließlich die Möglichkeit hervorzuheben, die Produkte möglichst lange zur unverbindlichen Preisempfehlung anzubieten. Dies ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, denn einerseits ermöglichen eigene Onlineshops, unverbindliche Preisempfehlungen im Markt als Verbraucherpreise zu verankern. Andererseits kann die Einhaltung der UVP die Wettbewerbsfähigkeit eines Markenshops in einem Maße vermindern, dass der Direktvertrieb ökonomisch nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Dies gilt umso mehr, je häufiger und deutlicher der Handel die unverbindliche Preisempfehlung zu Lasten der eigenen Marge unterschreitet.

Die bereits angesprochene Differenzierung zwischen Direktvertriebs- und Handelssortiment vermeidet eine direkte Preiskonkurrenz zwischen Hersteller und Handel. Modellwechsel bieten Herstellern zudem die Gelegenheit, Auslaufmodelle vergünstigt abzuverkaufen und die eigene Preisattraktivität dadurch zu erhöhen. Aber in vielen Markenshops wird ein guter Teil des Sortiments immer aus aktuellen Produkten bestehen, die zur UVP angeboten werden müssen. Hier gilt es für Hersteller, bei der Preissetzung einen guten Kompromiss zu finden zwischen der möglichen attraktivitätssteigernden Wirkung der UVP auf übliche Preise im Handel und der Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Direktvertriebs.

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Verlieren unverbindliche Preisempfehlungen an Bedeutung?

Die Erwartung, dass unverbindliche Preisempfehlungen Produkte einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, wenn diese im Handel zu niedrigeren Preisen angeboten werden, spiegelt sich in der Rechtsprechung wider, nach der werblich genutzte UVP auf Grundlage einer ernsthaften Kalkulation als angemessene Verbraucherpreise ermittelt worden sein müssen (Bundesgerichtshof, Az.: I ZR 131/97). Verbraucherschutz und Handel scheinen diese Erwartung zu teilen, geht man von den regelmäßigen Überprüfungen der UVP-Angaben aus, die ebenso regelmäßig hohe Fehlerraten aufdecken. Daher überrascht zunächst, wie selten in empirischen Studien der Einfluss der unverbindlichen Preisempfehlungen auf das Konsumentenverhalten untersucht wurde. Dabei stellt sich durchaus die Frage, ob durch den Onlinehandel die Preistransparenz nicht mittlerweile so hoch ist, dass unverbindliche Preisempfehlungen in der Wahrnehmung von Konsumenten an Bedeutung verloren haben.

Beispielaufgabe aus der Kategorie Saugroboter (Bild: harris interactive).

Diese empirische Prüfung ist mit einem speziellen, von Harris Interactive entwickelten Conjointdesign möglich. Im Auftrag eines weltweit führenden Herstellers von Elektrogeräten wurde für neun Kategorien von Haushaltsgeräten festgestellt, wie groß der Einfluss der unverbindlichen Preisempfehlung auf das Auswahlverhalten von Konsumenten ist. Die Untersuchungsteilnehmer sollten zwischen konkreten Produkten zu unterschiedlichen Preisen und unverbindlichen Preisempfehlungen auswählen. Die Höhe der jeweiligen UVP wurde dabei nur zwischen den Teilnehmern variiert, sodass sie für ein konkretes Produkt aus Teilnehmersicht über alle Aufgaben konstant blieb. Zusätzlich unterstützt wurde die Verankerung der unverbindlichen Preisempfehlung dadurch, dass der Verkaufspreis nicht nur im marktüblichen Rahmen verändert wurde, sondern gelegentlich auch einmal die Höhe der UVP annehmen konnte. Da die Preisunterschiede zwischen den Produkten in der Realität teilweise erheblich sind, wurden die Preise und unverbindlichen Preisempfehlungen im Test produktweise festgelegt. In einem Teil der Aufgaben wurde zusätzlich die Möglichkeit geboten, eines der Produkte über den herstellereigenen Onlineshop zu beziehen, um die vom Preis unabhängige Attraktivität eines Direktbezugs aus Konsumentensicht einschätzen zu können. Zusatzinformationen zu den jeweiligen Produkten in der Aufgabe konnten sich die Teilnehmer jederzeit als Mouse-Over-Effekt anzeigen lassen. Alles in allem wurde inhaltlich wie formal ein für Conjointanalysen hoher Realitätsgrad erzielt.  

Gemäßigte Absenkung der UVP wird empfohlen

Herausragendes Ergebnis: Über alle neun Kategorien hinweg war der Einfluss der unverbindlichen Preisempfehlung auf die Präferenzen signifikant! Für Wettbewerbsprodukte zum derzeit üblichen Marktpreis erhöhte sich die Auswahlwahrscheinlichkeit durch zusätzliche Angabe der aktuellen unverbindlichen Preisempfehlung im Durchschnitt um rund fünf Prozent. Der Zuwachs war dabei umso stärker, je größer die Diskrepanz war zwischen dem marktüblichen Preis und der aktuellen UVP: Ein Wettbewerbermodell mit einem Marktpreis von 250 Euro wurde bei Nennung der aktuellen unverbindlichen Preisempfehlung von 630 Euro rund 30 Prozent häufiger gewählt.

Von solchen Extremfällen abgesehen, war der Verkaufspreis des Produkts deutlich bedeutsamer als die unverbindliche Preisempfehlung. Im Durchschnitt erhöhte eine Preissenkung vom marktüblichen Preis auf den aktuellen Angebotspreis die Auswahlwahrscheinlichkeit um die Hälfte, während eine Preiserhöhung auf die aktuelle unverbindliche Preisempfehlung sie halbierte.

Die Markenshop-Option ermöglichte schließlich, den optimalen Kompromiss zu finden zwischen dem Absatzpotenzial des Produkts zur UVP im Direktvertrieb und der attraktivitätssteigernden Wirkung der UVP auf marktübliche Preise im freien Handel. Auf Basis umfangreicher Simulationen wurde eine moderate Absenkung der unverbindlichen Preisempfehlungen in den meisten Kategorien empfohlen.

Fazit:

Tatsächlich zeigt sich in unseren Daten, dass herstellereigene Markenshops ein effektives Preissteuerunginstrument sind. Produkte, bei denen die aktuelle UVP deutlich höher als der Marktpreis ist, stammen häufig von Herstellern ohne eigenen Onlineshop. Für Hersteller mit ernsthaften Ambitionen im Direktvertrieb sind überzogene unverbindliche Preisempfehlungen offensichtlich nicht mehr länger eine Option. Conjointbasierte Marktsimulationen unterstützen bei der Suche nach optimalen UVP, die aus Herstellersicht wettbewerbsfähig sind, ohne dem Handel den Raum für attraktive Angebote zu nehmen.

Über den Autor

Frank Drewes, harris interactive AG (Bild: harris interactive)
Frank Drewes verantwortet als Director Marketing Science der Harris Interactive AG seit 2008 die Entwicklung und Vermarktung innovativer Marktforschungsansätze und unterstützt das Projektmanagement in allen methodischen Fragen. Der Diplom-Psychologe verfügt über rund zwanzig Jahre Institutserfahrung mit den Branchenschwerpunkten Finance, Automotive, Agrar und FMCG.

 

mvw

 

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