Beitrag von Matthias Kampmann Plötzlich Mobile
Im täglichen Projektgeschäft sind die Antworten häufig weniger schwarz-weiß: responsive Layout, klingt ja gut. Aber auf die 20x20-Matrix-Frage, die seit 1999 erhoben wird, können wir dann doch nicht verzichten. Und wer erklärt dem Kunden den Knick in seinen KPIs, wenn wir die Texte einer langzeitigen Befragung zur Mediennutzung kürzen? Da untermauern wir unsere Mobile Kompetenz doch lieber mit einer neuen Studie, in der wir Geolocations erheben; oder irgendwas mit Apps!
Zeitgleich in der echten Welt
Dr. Franzen (52, Zahnarzt) beantwortet fleißig eine 20x20-Matrix-Frage in einer gut incentivierten Produkt-Studie einer großen Pharma-Firma – auf seinem Smartphone. Die Bedienung stört ihn schon, aber die Befragung wurde mit "höchstens 5 Minuten Ihrer Zeit“ beworben. Ein guter Lückenfüller, wenn man Maus und Tastatur hätte.
Seine Tochter Lisa (17, Schülerin) hat sich in einem Online-Panel angemeldet und beantwortet gerade eine Frage zu ihrem Mediennutzungsverhalten: "Denken Sie einmal an Ihren gestrigen Medienkonsum (Damit sind gemeint TV, Radio, Internet, Printpublikationen etc.) auf verschiedenen Endgeräten (zum Beispiel PC, Smartphone, Tablet oder eReader)…“. Leider mehr als 140 Zeichen. Ihr Blick wandert schon weiter zu den Antwortoptionen, von denen nur drei von sieben auf dem kleinen Bildschirm des Kindle sichtbar sind. Lisa fragt sich nur noch kurz, ob ihr Kindle jetzt ein Tablet oder ein eReader ist, bevor sie die nächste Frage beantwortet.
Auch in Ihren Daten steckt Mobile
Die oben beschriebenen Fälle zeigen, was passiert, wenn bestehende Befragungen nicht für den kleinen Screen angepasst werden. Im Zweifelsfall werden Befragungen auch ausgefüllt, wenn sie nur mäßig bedienbar sind oder sich Skalen und Texte nur teilweise im sichtbaren Bereich befinden. Das gilt im besonderen Maße, wenn wir von incentivierten Panelisten sprechen. Diese Endgerät-Effekte fließen im schlimmsten Fall unbeobachtet mit in die Ergebnisse einer Studie ein. Im Gegensatz zu einer bewussten Entscheidung für eine mobile Optimierung, die den gefürchteten Bruch in den Daten zur Folge haben könnte, schleicht sich der unbeobachtete Mobile-Effekt bereits seit Jahren in die erhobenen Daten ein.
Bei Interrogare werden beispielsweise bereits über 60 Prozent der Studien mit einem mobilen Endgerät aufgerufen. Den Befragten ist der Wunsch des Marktforschers nach kontinuierlichen Daten eher egal. Das Smartphone ist schnell zur Hand, und die Fragesteller wollen ja etwas von Dr. Franzen und seiner Tochter wissen.
Gerätenutzung mit erheben
Wenn die mobile Nutzung immer weiter zunimmt und jede Studie beeinflusst wird, stellt sich ganz natürlich die Frage, wie damit umzugehen ist. Das längerfristige Ziel sollte es sein, technische Plattformen weiter zu optimieren und echte responsive Layouts und validierte Mobile-Fragetypen zu nutzen. Dazu gehört auch der Aufbau entsprechender Expertise in den Projektteams, um neue Entwicklungen im Skalendesign und der Frageformulierung nutzen zu können.
Mindestens sollte aber für jede Studienteilnahme erhoben werden, mit welchem Device die Befragung ausgefüllt wird. Viele größere Befragungsplattformen bieten diese Möglichkeit bereits, aber auch Services wie WURFL und 51Degrees können für die Marktforschung verwendet werden. Interrogare setzt seit 2011 auf eine sehr detaillierte Device Detection, die neben dem Gerät auch die ScreenSize, Eingabemethode und sonstige Geräteeigenschaften mit erhebt.
Liegen diese technischen Daten zu den Endgeräten vor, können schon zum Start der Studie Geräte ausgeschlossen werden, die für diese Umfrage nicht geeignet sind. Entscheidet man sich dafür, keine Geräte von einer Studie auszuschließen, kann man über dieselben Daten im Nachgang den vermuteten Bias quantifizieren und in der Auswertung berücksichtigen.
Dann kann ich meine 20x20 Matrix-Batterie weiter verwenden?
Nein. Ziel sollte es immer sein die Umfragen wirklich für Mobile zu optimieren. Über eine Auswertung des Endgerät-Effekts lässt sich aber ein faktenbasierter und ehrlicher Dialog mit Kunden führen, die sich Sorgen um ihre Langzeittracker machen.
Warum kann ich mobile Endgeräte nicht einfach immer aussperren?
Durchaus ein gutes Mittel, um die Datenqualität sicherzustellen. Besonders wenn es um spitze Zielgruppen geht, muss aber die Frage gestellt werden, ob noch ausreichend Experten erreicht werden, wenn 60 Prozent der Teilnehmer auf der ersten Fragebogenseite mit dem Hinweis "Bitte nutzen Sie einen Desktop oder Laptop, um diese Umfrage auszufüllen“ abgespeist werden.
Meine Kunden wollen ihren Fragebogen aber nicht anpassen!
Dann sind ihnen die Folgen wahrscheinlich noch nicht hinreichend bewusst. Solange Institute und Panels versteckte Endgeräteffekte nicht häufiger ausweisen und Probleme in der Datenqualität nicht aktiv aufzeigen, haben Kunden häufig keine ausreichende Informationsgrundlage, um die angedachten Änderungen umsetzen und intern kommunizieren zu können.
Immer die Nutzungsrealität im Blick behalten
Heute stellen wir uns als Branche die Frage, wie wir mit dem mobilen Kanal umgehen können. Die grundsätzliche Frage ist aber vielmehr: "Wie bleibt Marktforschung relevant?“. Marktforschung kann immer nur dann relevant sein, wenn der richtigen Person zum richtigen Zeitpunkt die richtige Frage gestellt wird. Was die richtige Frage und der richtige Zeitpunkt ist, ist in einem stetigen Wandel.
Während nach Aufkommen des Internets noch einige Jahre vergangen sind, in denen die Branche reagieren konnte, ist der mobile Kanal bereits deutlich schneller gewachsen. Schon jetzt kann man sich also die Frage stellen "Was kommt als nächstes?“. Wearables, Virtual Reality oder vielleicht doch eine Smarthome Integration? Die Marktforschung muss hier zunehmend agil auf die sich schnell ändernde Nutzungsrealität reagieren, um die relevanten Zielgruppen zu erreichen und die richtigen Fragen in einem verständlichen Format vorzulegen.
Muss man darum auf jeden neuen Technologietrend aufspringen? Sicher nicht. Aber spätestens wenn ein neuer Gerätetyp in den eigenen Befragungen auftaucht, tut man gut daran, dies zumindest zu erheben und entsprechend zu reagieren.
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