Pharma- vs. Consumer-Marktforschung

Von Peter Herzog, Vorstand der EUMARA AG, International Marketing Research

Der Pharma-Markt ist für mich das NewYork des Marketing. Schließlich heißt es "Wer es in New York schafft, der schafft es überall". Und das gleiche kann man vom Pharma-Markt sagen, insbesondere wenn es um verschreibungspflichtige Medikamente (Rx-Markt) geht. Denn in keinem anderen Markt sind die Bedingungen für das Marketing so hart wie im Pharma-Markt. Und dies betrifft natürlich auch die Pharma-Marktforschung.

In Deutschland gibt es mit dem Arzneimittelgesetz (AMG) und dem Heilmittelwerbegesetz (HWG) sogar zwei eigene Gesetze, die dem Marketing zusätzlich enge Grenzen setzen. Von dem komplizierten Zusammenspiel zwischen Leistungserbringern, Kostenträgern und Patienten ganz zu schweigen. 

Kleine Anmerkung am Rande: Versuchen Sie mal einem Engländer das deutsche Krankenkassenwesen mit den verschiedenen Kostenerstattungen zu erklären. Da haben Sie tagelang damit zu tun.

Wer es unter diesen Bedingungen schafft, eine Marke aufzubauen, dem käme der weniger reglementierte Consumer-Markt vermutlich wie eine Oase vor, in der er/sie die Kreativität voll ausleben könnte. 

Im Folgenden nur zwei der größten Unterschiede zwischen Pharma- und Consumer-Marktforschung, die es uns "Pharma-Leuten" besonders schwer machen.

Höhere Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter

Die Unterschiede zwischen Pharma und Consumer betrifft weniger die Instrumente oder Tools, denn z.B. Markenkernanalysen wie den EUMARA Profiler oder Kundenzufriedenheitsstudien wie den EUMARA SatisQuest gibt es auch für andere Branchen.

Entscheidend in der Pharma-Marktforschung ist die Qualifikation der Mitarbeiter in Datenerhebung, Auswertung und nicht zuletzt in der Kundenberatung. Hier stellt die Pharma-Marktforschung noch höhere Anforderungen als ich es aus anderen Branchen kenne.

Im ethischen Pharma-Markt, wie der Markt für verschreibungspflichtige Medikamente noch genannt wird, hat man es mit Probanden zu tun, die sehr gut informiert sind und die erwarten, dass der Interviewer sich ebenfalls gut auskennen. 

Oder glauben Sie, dass z.B. für eine Positionierungsstudie eines Müsliriegels die Mitarbeiter eines Marktforschungsinstituts die chemische Zusammensetzung des Riegels kennen müssen? In der Pharma-Marktforschung müssen die Beteiligten das. Für eine aktuelle Erhebung der EUMARA für ein Mittel zu Behandlung von Inkontinenz musste unser Interviewer schon die Unterschiede zwischen anticholinerger und spasmolytischer Wirkung kennen, ebenso die verschiedenen Substanzen, die diese Wirkung erzeugen. 

Der Pharma-Marktforscher muss Irrtümer der Probanden sofort erkennen, damit er nachfragen kann. Und der Berater/Account Manager muss neben den Positionierungen der einzelnen Marken im Wettbewerbsumfeld auch das Produkt genau kennen, damit er kompetente Hinweise zur Weiterentwicklung der Marketing-Strategie geben kann.  

Doch nicht nur auf der rationalen Ebene müssen Pharma-Marktforscher höchste Qualitätsanforderungen erfüllen. Sie müssen auch über ein sehr hohes Maß an Einfühlungsvermögen verfügen. Sehr schnell bewegt sich der Interviewer in Tabuzonen wie z.B. erektile Dysfunktion oder in menschlich sehr belastende Bereiche, wie z.B. die Befragung von Krebspatienten. Klar dass man hier eine höhere Empathie mitbringen muss, als wenn man nach dem Geschmackserlebnis eines neuen Erfrischungsgetränks fragt. 

In diesen Momenten wird man sich bewusst, dass man als Pharma-Marktforscher immer wieder mit menschlichen Schicksalen und auch Schicksalsschlägen zu tun hat. 

Zu alledem kommen auch hier noch Kenntnisse über das Gesundheitssystem: die Marktforscher müssen auch wissen, wie es um die Erstattungsfähigkeit der Präparate bestellt ist, also ob die Krankenkassen das Präparat immer zahlen, unter bestimmten Bedingungen zahlen (z.B. als Second-Line-Therapie) oder gar nicht zahlen. Womit wir wieder bei der Komplexität des Zusammenspiels zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern sind.

Ach ja, fast vergessen: Höher qualifizierte Mitarbeiter bedeuten natürlich auch höhere Kosten in der Datenerhebung, Auswertung und Beratung. Dies erschrickt zu Beginn manche betrieblichen Marktforscher, die aus dem Consumer-Bereich in ein Pharma-Unternehmen gewechselt haben.

Probleme der Internationalisierung

Gigantische Merger sorgen dafür, dass immer mehr Medikamente in immer weniger Unternehmen konzentriert werden. Für die deutsche Wirtschaft und für den Arbeitsmarkt bedauerlicher Weise spielen deutsche Konzerne in diesem Konzert der Großen nur noch eine untergeordnete Rolle, sozusagen nur noch die zweite Geige. 

Für die deutschen Pharma- Marktforscher bedeutet dies, dass Internationalität eine unabdingbare Voraussetzung ist. Die Kunden werden dahingehend immer anspruchsvoller:

  • Westeuropa, USA und Japan sind schon jetzt ein "Muss" und werden standardmäßig erwartet.
  • Studien zusätzlich zu den Kernmärkten auch in entwickelten Märkten von Südamerika und Osteuropa durchführen zu können, ist ein großer Wettbewerbs-Vorteil.
  • Risings Stars China und Indien abzudecken, sind große Herausforderungen, denen sich nur wenige Institute stellen können.
  • Marktforscherische "Exoten" wie z.B. Usbekistan anbieten zu können, ist die hohe Schule der globalen Pharma-Marktforschung.

Die Entwicklung zur stärkeren Globalisierung gilt sicherlich auch für die Consumer-Marktforschung, da auch hier die Globalisierung im vollen Gange ist. 

Doch sind die nationalen Unterschiede im Pharma-Markt größer als im Consumer-Markt, in dem die Anforderungen und Erwartungen der Zielgruppen durch global ausgestrahlte TV-Serien, Blockbuster-Kinoerfolge und zunehmend durch Social Networks wie Facebook international vereinheitlicht werden.

Im Pharma-Markt halten sich nationale Unterschiede hartnäckig, z.B. durch die eingangs erwähnte unterschiedliche Gesetzeslage. Mitarbeiter international agierender Unternehmen unterschätzen dies leider noch oftmals.  Insbesondere Controller übersehen dies gerne mal, wenn sie in der internationalen Vereinheitlichung von Marketingstrategien Potentiale zur Kosteneinsparung wittern. 

Wir erfahren diese Einstellung immer wieder in den Ergebnispräsentationen. Es fällt den Beteiligten dann schwer zu akzeptieren, dass eine Marketingstrategie, die in den USA sehr erfolgreich ist, in Europa zum Scheitern verurteilt ist. Auch fällt es den immer stärker dominierenden US-amerikanischen Pharma-Unternehmen schwer zu verstehen, dass es auch innerhalb Europas große Unterschiede gibt. Die Märkte in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten unterscheiden sich zum Teil erheblich, trotz des einheitlichen Wirtschaftsraumes und der einheitlicher Währung.

So kann es sein, dass in dem einen EU-Land ein Präparat von Ärzten verordnet werden darf und auch von den Krankenkassen erstattet wird und in dem anderen Land die Patienten sich dieses Präparat selbst kaufen müssen bzw. überhaupt kaufen dürfen. Dadurch ändern sich die Zielgruppen für das Marketing und natürlich auch für die Markforschung, was internationale Studien sehr erschwert.

Fazit: Pharma-Marktforschung ist was für Spezialisten

Neben den oben genannten Unterschieden zwischen Pharma- und Consumer-Marktforschung gibt es noch eine Reihe weiterer Unterschiede, z.B. dass es immer schwieriger wird, Ärzte und Apotheker zu finden, die überhaupt bereit sind, an einer Erhebung teilzunehmen. Denn die Zahl der infrage kommenden Probanden ist eng begrenzt und im Falle der Apotheker sinkt in Deutschland sogar die Zahl.

Doch über allem thronen die Schlüsselfaktoren:

  • die Fähigkeit des Instituts, internationale Studien durchführen zu können und
  • vor allem die spezielle Qualifikation der Mitarbeiter in Erhebung, Auswertung und Beratung.

Und diese beiden Anforderungen erfüllen nur einige Spezialisten.

 

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