Wahlforschung Phänomene, die es so wohl nur in Bayern gibt

Bayern hat gewählt. Und die beteiligten Demoskopen haben den Wahlausgang ziemlich exakt vorhergesagt. Ganz vorne diesmal das Berliner Institut Civey. Dennoch gab es zwei interessante Phänomene zu beobachten, die so wahrscheinlich nur in Bayern stattfinden.

Frau im Dirndl an der Wahlurne

In Bayern geht man auch gerne mal in der Tracht zur Wahlurne. Das ist aber nicht das Einzige, was bei der Bayernwahl 2023 auffällig war (Bild: picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand).

Die deutsche Parteienlandschaft ist in Bewegung. Einige Parteien werden stärker, andere scheinen langsam zu verschwinden, wie „Die Linke“ bei der diesjährigen Landtagswahl in Bayernwahl. Ein Vorgang, der in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel bei der Piratenpartei zu beobachten war, die 2012 in den NRW-Landtag einziehen konnte, dann aber sukzessive wieder von der Bildfläche verschwand. 2018 erreichte die Linke zwar nur 3,2 Prozent in Bayern, dennoch wurde die Linke bei den meisten Wahlumfragen aber noch separat ausgewiesen. Civey, Insa und GMS wiesen bis zur Bayernwahl, die am 8. Oktober stattfand, gesonderte Werte für die Linkspartei aus. Nicht so aber Infratest Dimap und die Forschungsgruppe Wahlen.

Seit Januar 2022 wurde die Linke in Bayern das erste Mal von Infratest Dimap zu „Sonstige“ subsummiert. Die Forschungsgruppe Wahlen führte laut Wahlrecht.de im Zeitraum von 2018 bis September 2023 überhaupt keine Vorwahlumfrage für den bayrischen Landtag durch. Erst Anfang September gab es von der FGW für das ZDF wieder Werte für Bayern, aber auch hier ohne gesonderte Werte für die Linke. Auch bei den beiden 18h-Prognosen am Wahlabend wurden keine Werte für die Linken veröffentlicht.

Mit oder ohne Linkspartei?

Warum ist dieser Vorgang hier überhaupt relevant?

Dadurch, dass zwei von fünf Instituten keine Werte mehr für die Linkspartei berichten, ist der Vergleich der Vorwahlumfragen untereinander schwieriger geworden. Würde man die fehlenden Werte für die Linkspartei als 0 Prozent erfassen, so schneiden die beiden Fernseh-Wahlforscher im Vergleich zu den anderen Instituten deutlich schlechter ab. Deshalb haben wir uns entschieden zwei gesonderte Berechnungen für die Summe der quadrierten Abweichungen durchzuführen: Bei Insa, Civey und GMS werden alle Parteien berücksichtigt, bei Infratest Dimap und der FGW wird die Linke unter die „Sonstigen Parteien“ subsummiert.

Civey ganz vorne in Bayern

Wie man es auch rechnet: In Bayern liegt diesmal das Berliner Institut Civey mit einer quadrierten Abweichungssumme von 3,01 auf Platz eins. Die Abweichungen sind minimal, lediglich die Freien Wähler wurden leicht unterschätzt. Durch die gesonderte Behandlung der Linkspartei schafft es aber Infratest Dimap auf Platz 2 der besten Vorwahlumfragen. Ansonsten wäre lediglich Platz vier drin gewesen. Die größte Abweichung war das Abschneiden der CSU, das bei 36 statt 37 Prozent gesehen wurde.

Alle Vorwahlumfragen mit Ausnahme derjenigen von Civey wurden hier entnommen: https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/bayern.htm. Die Umfrage von Civey wurde hier entnommen:  https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bayern-wahl-csu-verteidigt-vorsprung-afd-gruene-und-freie-waehler-kaempfen-um-platz-zwei-a-87a78d6c-8721-4f8f-ab21-dc7569c214d7. (Stand jeweils: 10.10.23, 12h) *Für die Berechnung wurde die Linkspartei zu "Sonstige" hinzugerechnet, die in der Summe dann bei 6,7 Prozent lagen.

Ein Vorwurf, der Civey von Kritikern gerne gemacht wird, ist das Abschreiben der Werte von anderen Instituten. Zeitlich kann dies zumindest in Bayern nicht der Fall gewesen sein. Civey veröffentlichte laut Spiegel Online bereits am ersten Oktober und damit vier Tage früher als die FGW und ein Tag vor Insa, die in Bayern die drittbeste Vorwahlumfrage vorlegen konnten. Knapp vor dem Hamburger Institut GMS, die bereits am 18. September und damit drei Wochen vor der Wahl ihre letzte Umfrage veröffentlichten.

Ganz ungewohnt auf dem letzten Platz im Ranking ist diesmal die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, die aber mit einer Abweichungssumme von 4,41 immer noch knapp am Wahlausgang dran war. Die FGW war auch das Institut, dass am 5. Oktober, das heißt am Donnerstag vor der Wahl, noch eine neue Umfrage kommuniziert hat.

Gab es das Phänomen des Shy-Aiwangers bei den Exitpolls?

Spannend ist auch der Blick auf die Güte der beiden Exitpolls, die von den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern um 18h veröffentlicht wurden. Zur Erinnerung: Exitpolls werden unmittelbar nach der Wahlhandlung noch im Wahllokal durchgeführt. Laut dem Chef von Infratest Dimap, Dr. Roland Abold, sind Exitpolls der Kernbeweis für die Leistungsfähigkeit der Institute. Fast immer sind Exitpolls deutlich näher dran am Wahlausgang als Vorwahlumfragen.

Die beiden 18 Uhr-Prognosen zur Bayernwahl 2023 im Vergleich. Die Daten wurden den Livetickern, beziehungsweise dem Live-Blog von ARD & ZDF zur Bayernwahl entnommen. *Für die Berechnung wurde die Linkspartei zu "Sonstige" hinzugerechnet, die in der Summe dann bei 6,7 Prozent lagen.

Aber in Bayern ist offensichtlich einiges anders: Nimmt man die Summe der quadrierten Abweichungen als Maß für die Qualität, so schneiden beide bayrischen Exitpolls schlechter ab als die Vorwahlumfragen. Vielleicht gab es hier ein ähnliches Phänomen zu beobachten wie das des „Shy-Trumpers“. Dieses Phänomen wurde als eine Erklärung dafür herangezogen, dass Hillary Clinton 2016 in den Vorwahlumfragen bereits wie die sichere Siegerin aussah, da offensichtlich nicht jeder Trump-Wähler seine Affinität in Umfragen outen wollte.

In diesem Fall wäre das dann der „Shy-Aiwanger“, da die Werte der Freien Wähler von beiden Instituten um 1,8 Prozent unterschätzt wurden.

Fazit: Hervorragende Vorwahlumfragen in Bayern

Böse Zungen könnten sagen, Wenn die Vorwahlumfragen bei Landtagswahlen immer so hervorragend abschneiden würden wie bei der Bayernwahl 2023, könnten sich die beiden Öffentlich-rechtlichen Sender die teure Beauftragung von Exit-Polls sparen, könnten böse Zungen jetzt behaupten.

In Bayern durften wir das seltene Phänomen beobachten, dass die zeitliche Nähe zum Wahltag zu unpräziseren Prognosen führte.

Das dürfte aber vor allem dem Zufall geschuldet sein. Die beiden Exit-Polls und die Vorwahlumfrage der Forschungsgruppe Wahlen, die am Donnerstag vor der Wahl veröffentlicht wurde, waren weiter entfernt vom Wahlausgang entfernt als die Umfrage des kleinen Hamburger Instituts GMS, das seine Feldarbeit bereits am 18. September, sprich drei Wochen vor der Wahl, beendet hatte. Aber wenn viele Umfragen vor einer Wahl veröffentlicht werden, dann kann eben auch eine Umfrage, die drei Wochen vor der Wahl erhoben wurde, zufälligerweise mal ziemlich nahe am Wahlausgang dran sein.

Hinweis: Der Nachbericht zur LTW in Hessen erscheint am morgigen Donnerstag.

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