Personalisierte Kundenansprache mit Echtzeitanalytics

Peter von Tessin (IBM Software Group)

Von Dr. Peter von Tessin, Technical Specialist Predictive Analytics Business Analytics IBM Software Group 

Wer als Kunde in ein beliebiges Geschäft geht und von einer lächelnden Verkäuferin bzw. einem lächelnden Verkäufer begrüßt wird ist gleich besserer Laune. Die Vermutung liegt nahe, dass wir, wenn die Verkäuferin dann auch noch zumindest ein wenig  Geschick in der menschlichen Interaktion mit uns beweist, vielleicht auch das ein oder andere nicht wirklich Notwendige kaufen werden. Wer aber mal wieder längere Zeit in einer telefonischen Warteschleife hängt und immer wieder dieselbe automatische Ansage zu hören bekommt, dürfte sich in einer ganz anderen Stimmung befinden. In einer solchen Situation verbinden nur sehr wenige Kunden positive Emotionen mit einem solchen automatisierten Systemen und den dahinter zu vermutenden Algorithmen.

Foto: IBM
Der persönliche Kontakt mit der Verkäuferin ist immer noch der Maßstab aller Ansätze der personalisierten Kundenansprache. Diese Art der „Personalisierung“ ist so alt wie der Handel selbst.

Die große Aufgabe der nächsten zwei bis drei Jahre ist es, Systeme der personalisierten Kundenansprache zu entwickeln und einzuführen. Sie sollen das positive Verkäufererlebnis in allen Situationen sicherstellen, in denen ein Kunde mit dem Händler in Berührung kommt, Im Webshop, auf dem Smartphone, in der Werbung und was auch immer uns demnächst als Kanal beschäftigen wird. Ja sie sollen sogar die lächelnde Verkäuferin noch kompetenter machen, damit sie noch besser auf den Kunden eingehen kann. Dies ist eine enorme Aufgabe und sie richtet sich nicht nur an die Mitarbeiter in den einzelnen Verkaufs- und Marketingabteilungen, sondern auch an die Entwickler von digitalen Systemen der Kundeninteraktion. Wir alle haben hier noch eine lange Liste von Hausaufgaben vor uns, deren Erledigung die kommenden Jahre in Anspruch nehmen wird.

In dem vorliegenden Artikel will ich deshalb auch nur auf einen kleinen Ausschnitt dieser Anforderungen eingehen, und die Möglichkeiten darstellen, welche fortgeschrittene analytische Methoden bieten, diese Kundenansprache besser zu gestalten. Dies ist die Grundlage um später die richtige Nachricht auf dem jeweils gewählten Kanal auszuspielen.

Die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt

Eine erfahrene Verkäuferin sieht natürlich schon an so äußerlichen Dingen wie Kleidung, Gesichtsausdruck und Verhalten des Kunden, wie sie die Interaktion am vernünftigsten gestalten sollte. All dies sind Signale, welche weder einer Telefonhotline noch einer Webseite zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite verfügen diese technischen Systeme über detaillierte Informationen über den Kunden. Allerdings oft nur als anonymer Kunde im Rahmen einer gerade stattfindenden Transaktion. Wenn dieser Kunde sich dann aber auf die ein oder andere Weise identifiziert hat, dann steht natürlich mit einem Schlag die gesamten Historie zur Verfügung. Das sind dann Informationen, welche eine Verkäuferin vielleicht nicht immer im Kopf haben kann, Dinge wie Kaufhistorie, Retourenverhalten oder auch die Zahlungsmoral des einzelnen Kunden. Das könnte eine Verkäuferin durchaus wissen, es ist aber, zumindest in relativ großen Geschäften, wohl doch etwas viel verlangt, diese Dinge ohne technische Unterstützung für jeden Kunden immer im Kopf zu haben. Und es liegt auch durchaus nahe, dass diese Informationen in der direkten zwischenmenschlichen Interaktion gar nicht so relevant sein dürften, um die oben genannte „positive Stimmung“ zu erzeugen. Aber für technische Systeme sind es oft die einzigen Informationen über den Kunden, die zur Verfügung stehen.

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Für die automatisierte Analyse stehen nur Daten zur Verfügung die irgendwann einmal eingegeben worden sind und nun auch in den Systemen gespeichert vorliegen.

Nun ist es Aufgabe der automatisierten persönlichen Kundenansprache diese Informationen so zu nutzen, dass jedem einzelnen Kunden ein Gefühl vermittelt wird, welches vergleichbar mit der persönlichen Ansprache einer Verkäuferin in einem Geschäft ist. Und das sowohl für outbound (ein Kunde wird vom Unternehmen angesprochen) als auch inbound (ein Kunde spricht das Unternehmen an) Kundeninteraktionen und auch über alle Kanäle (Web, Telefon, Ladengeschäft, und so weiter) hinweg. 

Die Systeme, welche im Zentrum einer solchen Betrachtung stehen, sind natürlich die Schnittstellen zum Kunden bzw. zum Mitarbeiter der gerade im direkten Kundenkontakt steht. Diese Systeme müssen, vielleicht mit Ausnahme des Mailingsystems für outbound Kampagnen, immer auch eine gewisse Echtzeitfunktionalität anbieten. Echtzeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine Aktion auf Benutzerseite eine Gegenreaktion des Systems innerhalb von wenigen Millisekunden bis Sekunden erzeugt. Beispielsweise muss die Webseite eines Modehauses auf eine Suchanfrage des Kunden nach einem bestimmten Kleidungsstück sofort anzeigen können, ob das Kleidungsstück auch noch in der passenden Größe des Kunden vorhanden ist.

Das ist Echtzeit im üblichen Sinne des Wortes. Das müssen alle an der Interaktion beteiligten Systeme können. Doch, wie nicht zuletzt bereits in der Überschrift dieses Artikels angekündigt, interessiert uns die Ausspielung der Echtzeitinteraktion hier nur sekundär. Im Zentrum des vorliegenden Artikels steht Echtzeitanalyse.

Anspruchsvolle Analytik um Daten in situationsrelevante Informationen zu verwandeln

Analytics ist ein Begriff, der für sehr viele verschiedene Dinge verwendet wird. Von simplen Berichten mit Tabellen und Graphiken, bis hin zu fortgeschrittenen Methoden der Statistik und des Data-Minings. Wenn es nun um die automatisierte Steuerung von Systemen der Kundeninteraktion geht, so stehen natürlich die fortgeschrittenen Methoden der Statistik und des Data-Minings im Vordergrund. Die Abgrenzung zwischen Statistik und Data-Mining ist nicht immer ganz einfach, doch eine für den praktischen Einsatz sinnvolle Definition von Statistik ist die folgende: Statistik befasst sich mit der Art und Weise in der die Eigenschaften der Elemente einer Stichprobe verwendet werden können um Rückschlüsse auf die Eigenschaften der Grundgesamtheit zu tätigen. Das ist natürlich für den Erkenntnisgewinn über eine gewisse Situation absolut notwendig. Nur selten gelingt es uns Informationen über die vollständige Grundgesamtheit zu erhalten, deshalb bedürfen wir ständig statistischer Verfahren um Erkenntnisse über gewisse Situationen zu gewinnen. Aber im Zusammenhang mit automatisierten Systemen des personalisierten Marketings, interessieren wir uns mehr für Data-Mining. Data-Mining wird in der Praxis meist wie folgt definiert: Data-Mining bezeichnet die Ermittlung von Mustern in historischen Daten, die dann dazu verwendet werden Unternehmensprozesse besser zu steuern. 

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Welches Produkt welchem Kunden wann anzubieten ist die Leitfrage aller Interaktionssysteme.

Welches sind nun diese Unternehmensprozesse im Rahmen der personalisierten Kundenansprache, welche wir mit Hilfe von Data-Mining besser steuern wollen? Das ist natürlich von Kanal zu Kanal verschieden, aber zentral dürfte immer der Produktvorschlag sein. Nicht immer muss es dann das direkte Anzeigen eines Produktes sein. Oft können auch Inhalte angezeigt werden, die sich nur indirekt auf ein Produkt beziehen. Aber irgendwie müssen die dem Kunden angebotenen Produkte natürlich immer auch dem Kunden vorgeschlagen werden, sonst ist langfristig auch kein Abschluss denkbar. Auf welche Weise auch immer dieser Vorschlag gemacht wird, dem Kunden in einer bestimmten Situation genau das richtige Produkt anbieten zu können, ist auf jeden Fall eine der Schlüsselfähigkeiten der personalisierten Kundenansprache. 

Analytische Modelle des überwachten Lernens und Assoziationsanalysen

Um herauszufinden, welches Produkt einem Kunden in einer gewissen Situation angeboten werden sollte, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass es dann auch gekauft wird, möglichst hoch ist, gibt es zwei unterschiedliche Ansätze. Zum einen den produktindividuellen Ansatz, der für jedes einzelne Produkt ermittelt, wie hoch die Kaufwahrscheinlichkeit der einzelnen Kunden ist. Und dann wird dem Kunden in der jeweiligen Situation natürlich das Produkt mit der höchsten Kaufwahrscheinlichkeit angeboten. Zum anderen den assoziativen Ansatz, der ermittelt, welche Produkte häufig gemeinsam bzw. in einer gewissen Reihenfolge von denselben Kunden gekauft werden und dann die Vorschläge danach ausrichtet, welches dieser meist gemeinsam erworbenen Produkte dem einzelnen Kunden noch fehlt.

Für den ersten, den produktindividuellen Ansatz, werden Methoden des überwachten Lernen mit einer dichotomen abhängigen Variable verwendet. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Parameter einer Gleichung geschätzt werden, auf deren linken Seite eine Variable mit nur zwei Ausprägungen steht. Die Variable hat den Wert 1, wenn das Produkt in der Vergangenheit gekauft wurde und eine 0 wenn dem nicht so ist. Auf der rechten Seite der Gleichung stehen die möglichen Einflussvariablen, meist in einer nichtlinearen Beziehung. Einflussvariablen sind alle zur Verfügung stehenden Informationen über den jeweiligen Kunden und über die jeweilige Situation des Einkaufs. Beispiele für solche Methoden sind die Logistische Regression, Support Vektor Maschinen und gewisse Formen von Entscheidungsbäumen und neuronalen Netzen.

Für den zweiten, den assoziativen Ansatz, werden die Methoden der Warenkorbanalyse, die sogenannten Assoziationsmodelle verwendet. Diese existieren in verschiedenen Ausprägungen, aber eine wichtige Unterscheidung in dieser Familie von Modellen ist, ob die Reihenfolge, in der die Produkte gekauft werden, eine Rolle spielt, oder nicht.

Die Frage, wann der produktindividuelle Ansatz, und wann der assoziative gewählt werden sollte, ist so pauschal leider nicht zu beantworten. Das hängt sehr stark von der jeweiligen Situation ab. Aber das naheliegende Kriterium für diese Entscheidung ist natürlich wie eng einzelne Kaufentscheidungen miteinander verbunden sind. Wenn eine enge Beziehung zwischen einzelnen Kaufentscheidungen besteht, wie dies beispielsweise bei gewissen Sortimenten im Einzelhandel (Damenmode, Lebensmittel) der Fall ist, dann ist ein assoziatives Modell natürlich wesentlich geeigneter. Besteht dagegen kein enger Zusammenhang zwischen einzelnen Kaufentscheidungen, in vielen Fällen vor allem weil das Sortiment einfach viel zu groß ist oder die zeitliche Distanz zwischen den Einkäufen entsprechend lang, dann sind produktindividuelle Methoden sinnvoller. Denn in diesem Fall ist die Beziehung zwischen Produkt und Kunde einfach näher als die Beziehungen zwischen den einzelnen Produkten. Und dass wirkt sich dann direkt auf die Auswahl des passenden Algorithmus aus.

Wann brauchen real-time Systeme real-time Analytik? 

Wir erinnern uns an die am Anfang des Artikels erwähnte direkte Interaktion der Verkäuferin mit dem Kunden, welche ich weiter als Vorbild und Maßstab für die automatisierte Kundeninteraktion verwenden will. Natürlich muss diese Interaktion in Echtzeit ablaufen, was nichts anderes bedeutet, als dass die Verkäuferin direkt auf die Kundenaktionen reagieren muss. Nicht auf alle Kundenaktionen muss direkt mit einem Produktvorschlag reagiert werden, aber zur Veranschaulichung des dahinter liegenden Prinzips sind Produktvorschläge ein sehr gutes Beispiel. Die Interaktion der Verkäuferin mit einem Kunden steht ja auch nur stellvertretend für alle möglichen Interaktionen, die wir mit Hilfe von automatisierten Systemen durchführen werden. 

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Produktvorschläge auf Websiten unter Beachtung des Clickstreams sind der klassische Anwendungsfall für Real-Time Analytics.

Im vorangegangenen Abschnitt habe ich bereits Modelle vorgestellt, die es ermöglichen immer den jeweils besten Produktvorschlag für eine bestimmte Situation zu ermitteln. Nun ist die Frage, wann diese einzelnen Produktvorschläge berechnet werden müssen. Zu groß darf der zeitliche Abstand zwischen der Berechnung der Kaufvorhersage und der Verwendung dieser Vorhersage im Rahmen der Kundeninteraktion nicht sein. Sonst besteht die Gefahr, dass die zur Berechnung der Vorhersage verwendeten Informationen nicht mehr aktuell genug sind, und dass somit die Vorhersagen selbst nicht mehr korrekt sind. Aber auf der anderen Seite stellt es natürlich sehr hohe Ansprüche an die dahinterliegenden Systeme, wenn jede Berechnung erst zu dem Zeitpunkt ihres Einsatzes vorgenommen wird. Da innerhalb einer Kundeninteraktion eine Verzögerung von einer halben Sekunde schon als recht störend wahrgenommen werden kann, müssten die technischen Kapazitäten zur Berechnung der Produktvorschläge, die Netzwerkverbindungen zu ihrer Übertragung und die Systeme zu deren Ausspielung extrem großzügig dimensioniert sein, um einen vertretbare zeitliche Verzögerung zu gewährleisten.

Deshalb dürfte es sich für die meisten Situationen anbieten die Berechnungen in regelmäßigen Abständen durchzuführen. Das kann vielleicht einmal in der Woche oder einmal am Tag sein, um dann den jeweiligen Produktvorschlag vorberechnet für die einzelne Kundeninteraktion im Zugriff zu haben. Aber es gibt durchaus Situationen, in denen dieses Vorgehen nicht ausreicht, sondern in denen tatsächlich eine Echtzeitberechnung der Produktvorschläge notwendig ist. Doch beschränken sich diese Situationen auf die wenigen Fälle in denen Informationen, die zur Anwendung des jeweiligen Modells notwendig sind, erst genau zu dem Zeitpunkt der Kundeninteraktion zur Verfügung stehen. Das klassische Beispiel für eine solche Situation ist die Verwendung der aktuellen Click-Historie des Kunden durch die verschiedenen Webseiten des Anbieters um vorherzusagen, welches Produkt denn nun als nächstes Angezeigt werden soll. Hier ist es unumgänglich das vorbereitete Modell mit den aktuellen Daten in Echtzeit anzuwenden, um den passenden Produktvorschlag zu erhalten. Allerdings erhöht gerade das die Chancen immens, mit der Vorhersage genau die momentanen Interessen des Kunden zu treffen. In den letzten Informationen des Kunden verstecken sich sein derzeitiges Interesse und seine Befindlichkeit zu diesem Zeitpunkt. 

Anwendung der Echtzeitanalyse in der Praxis

Die Kombination von anspruchsvollen analytischen Methoden mit anspruchsvollen technischen Lösungen, um die Interaktion mit Kunden über alle Kanäle hinweg sinnvoll und ansprechend zu gestalten ist, wie bereits erwähnt, eine der großen anstehenden Aufgaben für Marketing und Lösungsanbieter. Bisher ist nur eine kleine, elitäre Gruppe von Anbietern, darunter nicht zuletzt auch die IBM, der Arbeitgeber des Autors dieser kurzen Darstellung, in der Lage diese anspruchsvolle Aufgabe zu meistern. Doch auch wir Lösungsanbieter sind noch nicht in allen Situationen und in allen Kanälen in der Lage die direkte Interaktion mit dem Kunden so zu gestalten, wie es gute Verkäufer und Verkäuferinnen seit Jahrhunderten in Ladengeschäften beherrschen. Doch genau das ist unser aller erklärtes Ziel und ich bin der festen Überzeugung, dass es uns, nicht zuletzt durch eine immer weiter voranschreitende Entwicklung der technischen Systeme und der analytischen Algorithmen, immer besser gelingen wird. Doch ist es sicher noch ein weiter Weg, bis eine Telefonwarteschlange sich genauso individuelle und persönlich um einen Anrufer kümmern wird, wie es eine Verkäuferin in einem Ladengeschäft völlig intuitiv jederzeit tun kann.

 

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