Hannah Rexroth, SKOPOS VIEW Personal- und Organisationsforschung: Was gibt es Neues?

Hannah Rexroth, SKOPOS VIEW
Alles was die Arbeitswelt beeinflusst, beeinflusst unsere Arbeit als Personalforscher. Das ist potenziell sehr viel. Aber es gibt einige zentrale Treiber der Veränderung, dies sind unter anderem der technologische Fortschritt, die zunehmende Globalisierung und der demographische Wandel.
Unser Kerninteresse ist ganz einfach: herauszufinden, wie man die Bedürfnisse der Mitarbeiter und die Bedürfnisse der Unternehmen näher zusammenbringen kann. Insgesamt beobachten wir, dass den Bedürfnissen der Mitarbeiter zunehmend mehr Beachtung geschenkt wird. Unter anderem, weil Mitarbeiter durch den Fachkräftemangel gerade immer wertvoller werden. Ein Aufbruch ist spürbar.
Genau wie in der Marktforschung, ist die Personalforschung jedoch nicht die eigentliche Veränderung, sondern nur der erste Schritt. Wir helfen den Unternehmen sich selbst zu helfen, indem wir die richtigen Fragen stellen, uns bestimmter Forschungsmethoden bedienen und damit Daten, Auswertungen und Interpretationen liefern. Den allerersten Anstoß in Form von Workshops leisten wir noch und dann müssen die Unternehmen ihren Weg selbst weitergehen.
Personalforschung beschäftigt sich also mit Trends in der Arbeitswelt, mit modernen Forschungsmethoden und hilfreicher Unterstützung. Das beliebteste Instrument ist nach wie vor die klassische Mitarbeiterbefragung, aber das könnte sich bald ändern.
Hat die klassische Mitarbeiterbefragung bald ausgedient?
Es gibt eine breite Spanne von ganz unterschiedlichen Unternehmen. Die Unternehmen werden unter dem Druck der Digitalisierung nicht nur untereinander immer unterschiedlicher, sondern auch in einem Unternehmen entstehen Subsysteme. Jedes Unternehmen ist daher sehr individuell und wir müssen der spezifischen Situation Rechnung tragen.
Es gibt zum Beispiel Unternehmen, die sich komplett agil organisieren. Ganz ohne Führungskräfte oder Abteilungsstrukturen. Die brauchen natürlich kein Führungskräftefeedback mehr und auch keine Abteilungsberichte. Unternehmen, die sich in einer Kulturtransformation befinden, brauchen hingegen Daten in kürzeren Abständen um Veränderung zu messen. Unternehmen, die einen Startpunkt oder einen Anlass für eine Initiative (zum Beispiel ein neues Karrieremodell) brauchen, können auch von einer einmaligen Befragung profitieren, aber vielleicht reicht die Befragung einer Stichprobe.
Um neuen Unternehmensformen einen Mehrwert durch unsere Forschung bieten zu können, müssen Personalforscher ihren Methodenkoffer erweitern. Sie müssen jetzt zum Beispiel stärker auf qualitative Erhebungsmethoden (zum Beispiel Gruppendiskussionen oder strukturierte Interviews) setzen und mit ganz neuen Methoden und Themen experimentieren.
Welche neuen Methoden sind jetzt gefragt?
Nehmen Sie zum Beispiel den "New Work" Gedanken. Es geht um sinnstiftende Formen der Zusammenarbeit um Selbstorganisation um Transparenz und Beteiligung. In einem solchen Unternehmen ist "psychologische Sicherheit" ganz entscheidend. Das bedeutet, jeder muss sich sicher fühlen, seine Meinung sagen zu können ohne negative Konsequenzen zu erfahren, sonst funktioniert das System nicht. Eine Mitarbeiterbefragung wird um dieses Thema ergänzt und bekommt so neue Schwerpunkte.
Methodisch können Personalforscher mit Netzwerkanalysen experimentieren. Wir wollen wissen: wie sieht die Zusammenarbeit tatsächlich aus? Wir können damit ein realistisches Bild neben die "offizielle" Struktur legen. Wer arbeitet mit wem zusammen, wer stimmt sich mit wem ab, wer bekommt Arbeit von wem? In der Auswertung kann man die einzelnen Personen nicht mehr identifizieren, das Instrument bleibt also anonym. Aber man sieht auf einer Grafik viele Punkte (das sind die Mitarbeiter) und viele Linien (das sind die Verbindungen zu anderen Mitarbeitern). Dieses Bild hat an sich bereits einen informativen Wert, es lassen sich Erkenntnisse aber auch über Netzwerkparameter ausdrücken (Dichte, des Netzwerkes, Länger der Verbindungen, Anzahl der Knotenpunkte etc.)
Sollte ein Unternehmer sich um den Abbau von "Abteilungssilos" bemühen wollen, also mehr übergreifende Zusammenarbeit und effizientere, kürzere Wege, dann kann er im Netzwerk und anhand der Parameter sehen, wie weit er damit tatsächlich ist.
In klassischen Organisationen sieht man, dass es wenige Verbindung zwischen den Abteilungen gibt, das Bild sieht aus wie eine Schneeflocke, alles läuft in der Mitte zusammen. In agilen Unternehmen gleicht die Zusammenarbeit eher einem Netz. Die Wege sind kürzer und vielfältiger. Da will man hin, wenn das Geschäft zunehmend kürzeren Zyklen unterworfen ist und der alte Apparat zu langsam geworden ist.
Welche Möglichkeiten für Veränderungen haben Unternehmen?
Es kommt aktuell zunehmend von einer "Arbeit im System" zu einer "Arbeit am System". Hier kann man wieder eine Parallele zur Marktforschung ziehen. Nehmen Sie zum Beispiel einen Supermarkt. Lange hat man sich im System kontinuierlich verbessert. Gemüsetheken, die aussehen wie Marktstände, Laufwege, die an vielen Produkten vorbeiführen, schnelleres kassieren für kürzere Schlangen. Genauso haben es Unternehmen intern gemacht: Schönere Möbel und netterer Umgangston für zufriedenere Mitarbeiter, schnellere Prozesse und modernere Technik für höhere Produktivität. Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und neue Erwartungen der Menschen, reicht es nicht mehr, sich im alten System zu perfektionieren, es muss ein anderes, ein neues System her.
Wieder das Beispiel Supermarkt: Neben dem klassischen Filialgeschäft entstehen zum Beispiel Onlineangebote mit Lieferdienst. Marktstände, Laufwege, Kassen etc. spielen dort keine Rolle mehr, es ist ganz anders. Es wurde am System gearbeitet.
Das gleiche gilt für Unternehmen intern. Statt die Hierarchie oder den Prozess weiter zu polieren, wird sie abgeschafft. Das ist kein Hype und kein Buzzwort, Agilität ist in der Realität vieler Unternehmen angekommen.
Pioniere dieser Veränderung sind hauptsächlich IT Unternehmen, denn dort ist sowohl der Mitarbeiter eine rare Ressource als auch die Veränderung im Markt sehr schnell. In Projekten wird statt nach dem Wasserfallprinzip (man macht einen Plan und arbeitet ihn ab) nach agilen Prinzipien gearbeitet.
Arbeit am System - am Beispiel Agilität
Das Wasserfallprinzip kann nicht gut auf Veränderungen reagieren. Man fängt an, eine Software zu bauen und auf halber Strecke gibt es schon ganz andere Möglichkeiten, das ursprüngliche Problem zu lösen, die im Plan nicht vorhanden sind. Es können sich auch die Bedürfnisse der Kunden in der Zwischenzeit verändert haben. Dann wird entweder einfach weitergemacht oder alles Bisherige weggeworfen und neu angefangen, das kostet Zeit und Geld und Nerven.
Agile Prozesse sind von Anfang an iterativ angelegt, die Lösung des Problems (der Kundennutzen) steht im Vordergrund und nicht der Plan. Man hat das Problem oder die Vision vor Augen und macht sich Schritt für Schritt auf den Weg. Das bedeutet knallharte Priorisierung und lokale Entscheidungskompetenz. Zum Beispiel: Man möchte einen Supermarkt-Onlineshop bauen, das Ziel ist, frische, schnelle, einfache Lieferung. Der "Wasserfall-Planer" würde die Webseite und den Bestellprozess und alles Weitere planen. Erst wenn der Plan steht, fängt man an zu bauen. Agil fängt man mit einem "Minimum viable product" an. Man versucht möglichst schnell, die Basisbedürfnisse zu befriedigen: Ein Shop, in dem man etwas bestellen kann. Danach wird das Monat für Monat verbessert und jeweils direkt "life" geschaltet, um mit dem direkten Feedback bzw. Ergebnis weitermachen zu können. Man sieht dadurch sofort, ob etwas funktioniert.
Wie funktioniert Agilität im Unternehmen?
Mit Hierarchie funktioniert Arbeit wie eine Ampelkreuzung: Man kommt an die Ampel und muss warten bis sie grün ist (bis der Chef entschieden hat), bevor es weitergeht. In agilen Unternehmen wird mit Regeln gearbeitet, dadurch funktioniert Arbeit wie ein Kreisverkehr: Man kennt die Regeln (hier: Vorfahrtsregeln) und reagiert auf die aktuellen Umstände. Wenn frei ist, kann ich fahren. Dadurch ist die Kreuzung nie leer, ein kontinuierlicher Durchfluss ist gewährleistet. Eine der größten Kreuzungen Europas, am arc de triomphe in Paris, ist übrigens ein Kreisverkehr, es hat sich als effektiver herausgestellt. Nichts desto trotz gibt es Umstände, in denen eine Ampel sinnvoll ist, genauso ist es mit Hierarchie bzw. Führung oder einer letzten Entscheidungsinstanz.
Unternehmen finden oftmals eigene Wege, um agiles arbeiten zu implementieren. Es gibt bekannte Frameworks, wie zum Beispiel SCRUM oder Holacracy, aber eben auch Ideen, die sich aus der jeweiligen Firmenkultur entwickelt haben. Grundsätzlich geht es um eine höhere lokale Autonomie, stärkere Vernetzung und Zusammenarbeit, Arbeit mit sinnvollen Regeln, Methoden und Tools und eine Steuerung über Visionen.
Was bedeuten neue Organisationssysteme für die Personalforschung?
Für die Personalforschung bedeutet das zweierlei: Zum einen versuchen wir zu messen, wie Mitarbeiter und Unternehmen gerade im jeweiligen und häufig sehr unterschiedlichen System klarkommen und wo es Unterstützungs- oder Handlungsbedarf gibt. Zum anderen organisieren wir die Forschung selbst agil, indem wir nicht alles durchplanen und durchführen, sondern Schritt für Schritt die wichtigsten Erkenntnisse sammeln, auswerten und die daran anschließenden Methoden und Inhalte optimieren oder verändern.
Es ist besonders schön, wenn unsere Ergebnisse genutzt werden können, um etwas grundsätzlich zu hinterfragen und die Mitarbeiter spüren, dass ihre Stimme gehört wird bzw. zu einer spürbaren Entwicklung führt. Die Ergebnisse können dem Management vor Augen führen, dass das gegenwärtige System an seine Grenzen geraten ist oder dass es an konkreten Punkten hakt.
Auch wenn ganz konkrete Anforderungen verstanden werden, führt dies zu einem Mehrwert: Dann gibt es eben nicht einen weiteren Obstteller oder eine neue Büropflanze, sondern eine einfachere Schichtorganisation oder eine transparentere Kommunikation, mit der die Arbeit leichter wird.
Unternehmen können damit für Mitarbeiter attraktiver werden! Es macht den meisten Menschen mehr Spaß, in agilen Unternehmen zu arbeiten bzw. in Unternehmen, in denen ihre Stimme gehört wird. Unternehmen, die attraktiver für (potentielle-) Mitarbeiter sind, haben einen Wettbewerbsvorteil, da Sie leichter Fachkräfte finden und binden können. Wenn die Digitalisierung richtig genutzt wird, kann es außerdem mehr Partizipation, Humanisierung und Inklusion in Unternehmen geben können.
Die Personalforschung hilft, Arbeits- und Organisationsformen zu finden, die dem Menschen gerechter werden. Das ist notwendig, denn das Kapital der Unternehmen steckt zunehmend in den Köpfen der Mitarbeiter.
Zur Autorin:
Hannah Rexroth ist Diplom-Psychologin mit einem Schwerpunkt in Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie arbeitet als "Leading Expert" bei SKOPOS VIEW und berät und begleitet Unternehmen bei Projekten der Personalforschung. Ihre Leidenschaft ist die Untersuchung von agilen Methoden und deren Einfluss auf die Zusammenarbeit und Zufriedenheit der Mitarbeiter. Sie ist ausgebildet in systemischer Organisationsentwicklung und kann Unternehmen dabei unterstützen, Veränderungen anzustoßen.
Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden