Interview mit Prof. Dr. Stefan Tuschl Pendler zwischen den Rändern Deutschlands

Prof. Dr. Stefan Tuschl ist nicht nur Geschäftsführer der komma Forschungs- und Beratungsgesellschaft in München, sondern auch Professor in Hamburg. Im Gespräch mit marktforschung.de berichtet er von seinem Pendlerleben zwischen Nord und Süd und dem Wert dieser unterschiedlichen Erfahrungswelten.

Prof. Dr. Stefan Tuschl (Bild: komma Forschungs- und Beratungsgesellschaft)

Prof. Dr. Stefan Tuschl ist Geschäftsführer von komma und Professor an der HAW Hamburg. (Bild: komma)

marktforschung.de: Herr Prof. Dr. Tuschl, Sie führen mit der komma Forschungs- und Beratungsgesellschaft einerseits in München ein Unternehmen, sind andererseits aber auch Professor für Quantitative Methoden an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Konstellation?

Stefan Tuschl: Nach meiner Promotion an der Universität Passau am Lehrstuhl für Statistik und meinem Einstieg in die Praxis wollte ich immer gerne eine Verbindung zur akademischen Lehre aufrechterhalten, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ich habe deswegen seither regelmäßig als Lehrbeauftragter an verschiedenen Unis und Hochschulen im Bereich der quantitativen Methoden und der Statistik gearbeitet. Nach über 10 Jahren bei TNS Infratest, wo ich den Bereich Applied Marketing Science geleitet habe, war es dann für mich an der Zeit, über eine berufliche Neuausrichtung nachzudenken. Da habe ich für mich festgestellt, dass ich gerne wieder "richtig" an einer Hochschule tätig wäre, wo ich die Erfahrungen, die ich in der Marktforschungspraxis über viele Jahre sammeln konnte, in die Lehre und die (Aus-)Bildung von Studierenden, unseren Arbeitnehmern von morgen, einbringen kann. Im Jahr 2011 kam dann der Ruf der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg und ich bin dort nun seit März 2012 ordentlicher Professor für Quantitative Methoden am Department Wirtschaft. Allerdings wollte ich auch den Kontakt zur Praxis nicht verlieren. Daher kam mir das Angebot meines ehemaligen TNS-Infratest-Kollegen Uwe Braun sehr gelegen, als Mit-Geschäftsführer gemeinsam die Firma komma in München zu gründen. Hier habe ich die Gelegenheit methodisch bei Marktforschungsprojekten zu beraten bzw. auch zu unterstützen und – was mir besonders wichtig für meine Lehrveranstaltungen ist – "an der Front" die aktuellen Entwicklungen und Bedürfnisse der Marktforschungsbranche kennenzulernen und mitzuerleben.

marktforschung.de:
Ihre zwei beruflichen Karrieren führen Sie regelmäßig in vollkommen unterschiedliche Regionen Deutschlands. Welche Vorzüge bringen München auf der einen und Hamburg auf der anderen Seite in Ihr persönliches Leben ein?

Stefan Tuschl: Ich sage in meinem Freundes- und Bekanntenkreis immer, dass ich das Privileg besitze, in den beiden schönsten Städten Deutschlands zu wohnen. In Hamburg unter der Woche, in München am Wochenende und in den Semesterferien. München ist seit mittlerweile 20 Jahren mein Lebensmittelpunkt und hier fühle ich mich – als Bayer – in meinem Viertel Neuhausen auch zu Hause. Hamburg auf der anderen Seite ist eine Metropole und weltoffene Hafenstadt mit vielen "Multi-Kulti-Facetten", die es in München so nicht gibt und in der es mir Spaß macht, einen Einkaufsbummel zu unternehmen, auszugehen und neue Restaurants oder Bars auszuprobieren, insbesondere in Ottensen, meinem Wohnviertel dort.

In welcher Hinsicht sich Hamburger und Münchner ähneln

marktforschung.de: Man sagt Hamburgern und Münchnern ja gemeinhin auch äußerst verschiedene Charaktere nach – auf der einen Seite die kühlen Norddeutschen, auf der anderen die lebensfrohen Bayern. Können Sie diese angeblichen Mentalitätsunterschiede aus Ihrer eigenen Erfahrung heraus bestätigen oder sitzt man mit diesen Klischees einem gewaltigen Irrtum auf?

Stefan Tuschl: Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass sich Münchner und Hamburger so stark unterscheiden. Auch der Münchner kann abweisend sein und "granteln". Und die Hamburger habe ich selbst auch als lebensfroh erlebt, die es wirklich verstehen zu feiern. Gemeinsam ist beiden, dass sie an den Rändern von Deutschland leben, ich glaube, das verbindet doch irgendwie! Und beide brauchen auch relative lange, bis sie wirklich "auftauen" und echte Freundschaften schließen.

marktforschung.de: Ihre beiden Tätigkeiten an den beiden Enden der Republik erfordern mit Sicherheit auch viele langwierige Reisen. Wie bewältigen Sie diese regelmäßige Odyssee durch ganz Deutschland?

Stefan Tuschl: Ich bin in der Vorlesungszeit von Montag bis Donnerstag in Hamburg, freitags in der Regel im Büro in München. Ich pendele zwischen beiden Städten mit dem Zug, die Fahrt zwischen München und Hamburg dauert ca. fünfeinhalb Stunden. Diese Zeit nutze ich meistens zur Vor- oder Nachbereitung von Vorlesungen, für Korrekturen von Arbeiten oder das Entwerfen oder Überarbeiten von Präsentationen. Das Fliegen würde mir keine deutliche Zeitersparnis bringen und ich bin immer wieder überrascht, wie schnell man doch von einem Ende der Republik ans andere kommen kann.

marktforschung.de: Gab es dennoch schon einmal Momente, in denen Sie sich gefragt haben: "Warum tue ich mir diese Mühen eigentlich an?"

Stefan Tuschl: Ehrlicherweise nein. Ich kann in meinen beiden beruflichen Tätigkeiten genau das tun, was mir am meisten Spaß macht: lernen, lehren und forschen. Ich bin in der akademischen Welt und mit einem Standbein in der Marktforschungspraxis unterwegs. Eine Tätigkeit kann von der anderen profitieren bzw. lernen und umgekehrt.

Zwischen Forschungstätigkeit und Unternehmertum

marktforschung.de: Ihre Tätigkeiten in Hamburg und München führen Sie zudem in das Spannungsfeld zwischen Forschung und unternehmerischer Tätigkeit. Wie muss man sich dieses Zusammenwirken der beiden Felder vorstellen? Nehmen Sie aktuelle Forschungsergebnisse auch in die Arbeit bei komma mit – oder umgekehrt Ihre unternehmerischen Erfahrungen an den Lehrstuhl?

Stefan Tuschl: Dadurch, dass ich wieder näher an der akademischen Forschung bin, kann ich mich natürlich auch intensiver mit neuen, innovativen Modellen oder Methoden beschäftigen, die sich für Fragestellungen in der Marktforschungspraxis eignen könnten. Innovative Methoden müssen sich in der Praxis aber auch immer erst bewähren und müssen vorher "auf Herz und Nieren" hinsichtlich ihrer Eignung, für bestimmte Fragestellungen eingesetzt zu werden, geprüft werden. Auf der anderen Seite kann ich aber auch Bedürfnisse oder Fragestellungen aus der Praxis mit an die Hochschule nehmen und dort im Rahmen von Bachelor- oder Masterarbeiten oder auch als Forschungsprojekte idealerweise auch in Zusammenarbeit mit einem Unternehmen bearbeiten lassen, allerdings dann unabhängig und losgelöst von den Projekten bei komma. Insbesondere dieses stark praxis- und anwendungsorientierte Arbeiten ist für Studierende eine ideale Vorbereitung auf die Anforderungen, die im späteren Berufsleben auf sie warten, wenn sie in der Marktforschung oder damit nah verwandten Bereichen arbeiten wollen.

marktforschung.de: Sie haben komma 2012 gemeinsam mit Ihrem Kollegen Uwe Braun in München gegründet. Warum haben Sie sich für diesen Standort entschieden? Welche Vorteile hat er Ihrer Meinung nach gegenüber anderen Regionen Deutschlands?

Stefan Tuschl: Uwe Braun und ich leben und arbeiten seit vielen Jahren in München, haben dort Familie, also ist es für uns selbstverständlich gewesen, auch hier unsere Firma zu gründen. Darüber hinaus besitzt München eine hohe Lebensqualität und ist als Wirtschaftsstandort besonders attraktiv, hat es doch ein breites Spektrum von Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor, insbesondere im IT-Bereich, zu bieten. Viele zieht es zum Arbeiten nach München, was die Rekrutierung neuer Mitarbeiter erleichtert. Die Infrastruktur ist hervorragend und man ist von Münchens Flughafen aus auch überall schnell in Deutschland oder im europäischen Ausland bei Kunden.

marktforschung.de: Haben Sie seit der Gründung auch Nachteile des Standorts festgestellt? Beispielsweise dass er nicht so zentral in der Republik liegt wie beispielsweise Frankfurt oder Mannheim?

Stefan Tuschl: Nein, überhaupt nicht. Wie gesagt, Münchens Infrastruktur ist hervorragend, München hat den zweitgrößten Flughafen in Deutschland, die Bahnanbindung in andere Großstädte von München aus ist ebenfalls sehr gut, sodass wir einen etwaigen Zentralitätsnachteil damit locker ausgleichen können und in puncto Lebensqualität zum Beispiel von der Nähe zu den Alpen oder zu Italien profitieren können.

marktforschung.de: Neben Ihrem Unternehmen hat in München mit Kantar TNS auch eines der größten Marktforschungsunternehmen Deutschlands seinen Sitz in München. Wie wirkt sich die Präsenz dieses Big Players auf den Marktforschungsstandort München aus, beispielsweise in Bezug auf das Recruiting?

Stefan Tuschl: Ich würde sagen, Konkurrenz belebt das Geschäft. Wir bekommen viele Anfragen von unseren Kunden, die sie lieber in einer kleinen "Boutique"-Marktforschungsagentur bearbeiten lassen als bei einem Big Player, da wir aufgrund unserer Größe eine individuellere Betreuung bei der Konzeption und Durchführung von Projekten bieten können und sehr flexibel auf kurzfristige Modifikationen im Projektablauf reagieren können. Beim Rekrutieren neuer Mitarbeiter haben wir bisher eine sehr hohe Resonanz für eine Position in einem kleinen Unternehmen feststellen können. Auch die außergewöhnlich gute Qualität der Bewerbungen hat uns bisher die Auswahl des/der geeignetsten Kandidaten/-in nicht immer einfach gemacht. Und schließlich haben wir ja auch vom Big Player unsere dritte Geschäftsführerin, Gerhild Abler, gewinnen können, die seit Anfang 2016 bei uns ist.

Das Interview führte Thorsten Treder.

 

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