Rochus Winkler, concept m Packen wir’s ein – aber wie?

Rochus Winkler, concept m
Spätestens, wenn im Internet einmal mehr das Foto vorgeschälter Bananen in einer Klarsichtbox kursiert, wird klar, wie vielschichtig das Thema "Verpackung" ist – insbesondere von Lebensmitteln. Einerseits erscheint es wie die absurde Zuspitzung von Convenience, dem Verbraucher das lästige Schälen zu ersparen, andererseits liefert die Natur hier eine perfekte Verpackung, die das Fruchtfleisch schützt und zugleich durch die frische, gelbe Farbe auf sich aufmerksam macht. In einer Welt, in der Authentizität lange Zeit auf dem Rückzug war und durch die Maskeraden von Social Media verdrängt zu werden schien, ist wieder Platz für Echtheit und Unverfälschtheit.
Immer noch ist die Verpackung bei schnelldrehenden Produkten ein entscheidender Touchpoint, der wesentlichen Einfluss auf die Einschätzung des Produkts und auf die Kaufentscheidung ausübt. Trotzdem war die Beschäftigung mit der Hülle eines Produkts lange Zeit aus der Mode gekommen oder verlor sich im Kleinklein der Erforschung von Designvarianten. Die Digitalisierung dominierte das Denken im Marketing. Die reale, anfassbare Welt geriet in den Hintergrund. Nun aber ist zu beobachten, dass sich die Hersteller wieder auf dieses essenzielle Element des Vermarktungsprozesses fokussieren – Zeit also, sich wieder der grundlegenden Psychologie der Verpackung zuzuwenden, um Verbraucherärgernisse abzubauen.
Psychologische Funktionen von Verpackungen
Verpackung ist so alt wie das Leben selbst, streng genommen begann das Leben an sich mit einer Verpackung, nämlich mit der Membran, die sich um die Bestandteile einer Zelle legte und somit das Innere vom Äußeren schied. Was vor ca. drei Milliarden Jahren eine substanzlose Ursuppe war, wurde somit unterscheidbar und konnte eigene Charakteristiken entwickeln.
Unter den objektiven Funktionen von Verpackung ist die Schutzfunktion die elementarste. Sie bildet gewissermaßen die basale Ebene, von der aus sich weitere Ausprägungen entwickeln. Zu nennen sind die Lagerfunktion, die Transportfunktion, die Dosierfunktion sowie auf einer weiteren Ebene die Informations- und die Werbefunktion (Storytelling zum Geschmack, zum Produkt, zur Marke o.a.). Optimal ist eine Verpackung dann, wenn alle Funktionen bestmöglich genutzt werden. Eine solche Verpackung wird in der Realität aber nie erreicht. Hier müssen Kompromisse gemacht werden: Beispielsweise kann die Werbefunktion beeinträchtigt werden, wenn das Hauptaugenmerk auf den Schutz der Ware gelegt wird und nicht auf ökologische Schwerpunkte.
Die Grundfunktionen sind in aller Regel durch die Logik des Produktes und seiner Verwendung determiniert und sollen hier keiner weiteren Betrachtung unterzogen werden. Die Informations- und Werbefunktionen der Verpackung sind hingegen diejenigen, die entscheidend dafür sind, wie die Konsumenten die Warenwelt wahrnehmen und einschätzen. Gleichwohl sind beide Ebenen nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden. Eine der Verfassung des Produktes geschuldete stabile Verpackung kann zugleich die psychologische Funktion der Stabilität einer Marke und deren Wertigkeit betonen.
Die Form-, Farb-, Bild- und Textwelten einer Verpackung bewegen sich in einem Spannungsfeld, das von vier Kräften bestimmt wird. Erstens gibt es die grundsätzliche Gattungssprache der Produktkategorie, zweitens die Kommunikation der Marke bzw. der Markengeschichte, drittens sollte die Verpackung kongruent zu den Verwendungsmotiven des Produktes sein, und viertens schließlich spielen auch der Kulturbezug und übergreifende gesellschaftliche Trends bei der Gestaltung einer Verpackung eine wichtige Rolle.
Gelungene Verpackungen vermitteln Sehnsüchte und werten unser Leben auf
Aus psychologischer Sicht ist die Stimmigkeit von Verpackung und Verwendungsmotiven der entscheidende Faktor. Idealerweise greifen die Verpackungen psychologische Insights auf, die mit den Mitteln der Marktforschung zuvor validiert worden sind. Packungen können Geschichten erzählen, zwischen Motivspannungen vermitteln, Lifestyle-Wünsche versinnbildlichen oder kulturelle Brechungen inszenieren.
Insbesondere im Food-Sektor erzählen beispielsweise dampfende Pizzen auf einem weißen Teller mit einem Rotweinglas im Hintergrund (wie bei den Kartons der Tiefkühlwaren von Dr. Oetker zu sehen) die Geschichte einer ersehnten Esskultur, die vermutlich der Wirklichkeit in den Küchen der Konsumenten nicht standhält. Die Bandbreite der verfügbaren Reinigungsmittel – um ein anderes Beispiel zu nennen – greift das beim Putzen stets vorhandene psychologische Spannungsfeld zwischen kompromissloser (General-)Reinigung und nachgiebigen Rückzugsgefechten im ewigen Kampf gegen den Schmutz auf.
Die exemplarische Aufwertung des Lebensstils lässt sich sehr gut anhand der Nespresso-Kapseln nachvollziehen, die dem Nutzer eines industriell konfektionierten Kaffeeprodukts den Eindruck vermitteln, in die erhabene Welt eines Koffeingourmets aufgestiegen zu sein. Das Thema „Brechung“ wiederum tritt markant zu Tage bei vielen Bio-Lebensmitteln, deren in aller Regel frugales Packungsdesign das Signal setzt, kein Bestandteil des Massenmarktes zu sein. Auch damit wird dem Konsumenten zugleich in Bezug auf die Selbstwahrnehmung seines Lebensstils in die Karten gespielt.
Nachhaltig soll die Verpackung werden – tiefenpsychologische Forschung zeigt wie
In diesem Bezugssystem kommt aktuell dem Faktor Nachhaltigkeit auch bei der Verpackung selbst eine zunehmend wichtige Rolle zu. Das Unbehagen, welches Biomarktbesucher beschleicht, wenn sie eine in Plastikfolie eingeschweißte Gurke sehen, ist ein Grundsätzliches. Die Verpackung als wichtiger Touchpoint setzt gewissermaßen den Ton, mit dem das ganze Produkt wahrgenommen wird.
Da Nachhaltigkeit als großer Gesellschaftstrend immer mehr die Produktwelt beeinflusst, sollte sie auch bis in die Umhüllung der Waren fortgedacht werden. Der Handel scheint dazu bereit, mit auf den Zug aufzuspringen, wie die jüngsten Meldungen der Discounter zeigen. Ziel ist es, die Plastikverpackungen im Lebensmittelbereich weitestgehend zurückzudrängen.
Skandale wie die Müllaufkommen in den Weltmeeren wurden von Adidas mit einem Schuhmodell aus Plastikmüll (zumindest anteilig) geschickt aufgegriffen (das Thema erhielt zusätzlichen Rückenwind bei adidas). Bei der Verpackung haben Hersteller wiederum die Wahl, auf recycelte oder ökologisch verträgliche Materialien zu setzen. Immer weniger Verbraucher goutieren Exzesse in Plastik, und sie tragen auch nicht unbedingt dazu bei, die Wertigkeit von Produkten zu vermitteln.
Aufgabe der Marktforschung in diesem Zusammenhang muss es sein, das Spannungsfeld zu beschreiben, das Produkt und dessen Verpackung darin stimmig zu positionieren und die dem Produkt innewohnenden Wirk-Versprechen auf den verschiedenen Ebenen fassbar und erfahrbar zu machen.
Verpackungsforschung mithilfe von tiefenpsychologischer Methodik, auch unter Einsatz von Virtual Reality (VR), kommt dabei eine immer größere Bedeutung zu. Reale Verpackungen oder VR Darstellungen sind erfolgsversprechend, da diesen Formen eine unmittelbarere Erfahrung mit dem Produkt obliegt als beispielsweise die Betrachtung von zweidimensionalen Dummys.
Durch VR lässt sich die Wechselwirkung zwischen Hülle und Inhalt präziser analysieren und beschreiben, sodass am Ende des Prozesses idealerweise eine psychologisch-stimmige Passung der Verpackung steht. Die Umsetzbarkeit gesamtgesellschaftliche Trends, wie die Sehnsucht nach Authentizität und Reduktion für die Produktverpackung, kann variantenreicher und zugleich effizient getestet werden.
Der Einsatz von Virtual Reality im Packaging Lab führt zu mehr Effizienz im Designprozess, vermittelt den Testpersonen einen realistischeren Eindruck der Verpackungen und ist zudem in der Lage, die Packungen im relevanten Kontext zu zeigen. Gerade für das Story-Telling zur Vermittlung zentraler Produktbotschaften ist die VR-Technologie ein idealer Ansatz.
Trotz der technischen Möglichkeiten, ein ideales Forschungssetting für Verpackungen zu entwickeln: Nachhaltige Verpackungen sind auf dem Vormarsch und sinnstiftend bleibt am Ende der tiefenpsychologische Blick und die morphologische Forschungsmethode.
Zum Autor
Rochus Winkler ist Gesellschafter und Managing Partner bei concept m research + consulting seit der Gründung des Unternehmens 2008. Zuletzt erschien von ihm gemeinsam mit Marco Ottawa der Band "Kompetenzen für die Marktforschung" (2018).
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