Christian Dössel, PRS IN VIVO Nutzbarmachung von Künstlicher Intelligenz für die Verpackungsforschung

Künstliche Intelligenz ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Industriezweig geworden. Mehr als 1.600 KI-Startups integrieren alleine in Europa KI in unterschiedlichste Softwarelösungen. Die Versprechen der KI(-Unternehmen) sind gewaltig vor dem Hintergrund des Paradigmas, dass alles automatisiert werden wird, was automatisiert werden kann. Kosten- und Zeitersparnis sind dabei mögliche Benefit-Felder, mit denen auch die Marktforschung tagtäglich zu tun hat. Was also ist KI derzeit in der Lage für die Marktforschung, genauer für die Verpackungsforschung, zu leisten?

Christian Dössel, PRS IN VIVO

 

Christian Dössel, PRS IN VIVO

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde, nicht nur in der Marktforschung. Experten wie die Londoner Investmentfirma MMC Ventures rechnen vor, dass vor drei Jahren nur eine Firma aus 25 eine KI-Initiative gestartet hat während es derzeit eine aus drei Firmen ist. Eine jüngste Studie von Gartner unter CIOs kommt zu dem Schluss, dass sich in zwei Jahren ca. 2/3 aller großen Firmen intensiv mit KI und einem Nutzen für ihr Geschäftsmodell beschäftigt und KI implementiert haben werden.

Gründe für den rasanten Anstieg des Interesses sind zurückzuführen auf leichtere Verfügbarkeit von Hardware und Software, Open Source und nicht zuletzt Venture Kapital. Und tatsächlich begegnet uns KI jeden Tag, auch wenn wir es nicht immer merken:

  • Investmentstrategien im Bereich Asset Management
  • Gesundheitsdiagnosen
  • Risikoabwägungen von Versicherungen
  • Frühzeitige Erkennung von Kreditkartenmissbrauch
  • Vorhersagen für Maschinenwartung in der Produktion
  • Automatische Preisoptimierungen im Handel
  • Planung von Flottenmanagement

Diese Bereiche und noch viele andere arbeiten zunehmend in für bestimmte Fragestellungen mit KI, immer dort, wo es einen konkreten Anwendungsbereich gibt. Oder denken wir an Internet of Things oder Autonomes Fahren, wo KI eine entscheidende Rolle spielt.

Ungefähr im Zeitraum der letzten drei Jahre hat das Interesse an KI das Interesse an Marktforschung überstiegen, zumindest auf Basis von Google Trend Daten:


Abbildung 1: Suchvolumen bei Google in den letzten drei Jahren

Höchste Zeit also, dass sich auch die Marktforschung aktiv mit KI auseinandersetzt.

Regeln für die Erfolgsprognose von Verpackungsdesigns

In Zeiten, wo immer noch weit mehr als 50 Prozent aller Redesigns von Verpackungen daran scheitern, echte Verbesserungen zu erzielen geschweige denn die Ziele von Marketing annähernd zu erreichen, in Zeiten, in denen gleichzeitig der Druck auf Time-To-Market und Budgets ständig steigt, in Zeiten, in denen Konsumenten von neuen Produkten primär über die Verpackung im Regal erfahren, in diesen Zeiten lohnt es sich, über KI in der Verpackungsforschung nachzudenken. Und das haben wir getan.

Wenn man Regeln aufstellen könnte für den Erfolg von Verpackungsgestaltung, wäre das ein großer Vorteil. Was passiert, wenn ich die Größe des Markenlogos verändere, wenn ich die Farbe austausche, wenn ich die Variantenbezeichnung weiter unten auf der Verpackung anordne, etc. Regelbasierte Systeme sind jedoch begrenzt, weil viele der existierenden Herausforderungen zu komplex oder zu subtil sind, um von Programmen, die bestimmten von Menschen geschriebenen Regeln folgen, gelöst zu werden. Das trifft auch auf die Vorhersage von Änderungen der Verpackungsdesigns auf den Erfolg am Regal zu.

Die Lösung dieser konkreten Fragestellung bedarf der Verarbeitung großer Datenmengen mit zahlreichen Variablen und nichtlinearen Beziehungen zwischen Input (Veränderung am Pack) und Output (Erfolg am Regal). Unsere Entwicklungsarbeit hat gezeigt, dass es unpraktisch und häufig unmöglich ist, ein Set aus Regeln aufzustellen wie zum Beispiel eine Reihe von "Wenn… dann"-Anweisungen, die nützliche und konsistente Ergebnisse für die Erfolgsvorhersage von Verpackungen liefern können.

Also haben wir uns mit Machine Learning beschäftigt. Machine Learning gibt Computern die Fähigkeit zu lernen, ohne explizit Regeln zu programmieren. Algorithmen für Machine Learning lernen bekanntlich anhand von Trainingsdaten, je mehr Trainingsdaten zur Verfügung stehen, desto besser ist die Prognosegüte. Je mehr "Erfahrung" der Algorithmus hat, desto höher ist die Qualität seiner Vorhersagen. Woher aber die Trainingsdaten nehmen?

Auf der Suche nach einem Anwendungsbereich für die Marktforschung

Wir führen jährlich weltweit ca. 1.000 Studien im Bereich Verpackungsforschung durch und das seit über 40 Jahren. Diese Daten sind gespeichert zur Berechnung von Kategorie- und Ländernormen für unterschiedliche Parameter.  Wir sitzen also auf einem großen Berg an Daten. Diese Daten beinhalten die Leistung unterschiedlichster Designsysteme im Hinblick auf den Produktkauf von Shoppern am Regal (in einer ShopperLab Testumgebung). Da alle von uns durchgeführten Verpackungstests monadischer Natur sind und wir das aktuelle Verpackungsdesign als relative Benchmark mittesten, ist ein Abgleich von einzelnen Designveränderungen und ihrem Beitrag zur Bestimmung der Leistungsstärke des Design-Systems möglich – ideale Trainingsdaten für einen KI-Algorithmus also.

Dennoch müssen Designveränderungen übersetzt werden. Dafür haben wir diese Veränderungen mit Hilfe eines externen Partners in einer neuen Art und Weise kodiert und klassifiziert. In einem ersten Schritt wurde unsere Testdatenbank bestehend aus über 35.000 Studien mit Hilfe von Data Mining analysiert:

  • Welche KPIs und Kennziffern stehen im Zusammenhang mit dem Markterfolg? Z.B. Sichtbarkeit im Regal, Shopability, Kaufrate vorm Regal etc.
  • Wie sind die Beziehungen innerhalb und zwischen den wichtigsten Kennzahlen? Welche Kennziffern zeigen einen linearen Effekt? Welche sind miteinander verbunden, und wie?
  • Wie groß beeinflussen unterschiedlicher Markt- und Markenbedingungen die Vorhersage? Gilt das gleiche für Marken mit einem großen Share of Shelf wie für kleine Marken? Sind die Ergebnisse anders in Märkten und Kategorien, die schnell wachsen, als in solchen, die saturiert sind?

In einem zweiten Schritt haben wir auf Basis der Ergebnisse Verpackungsdesigns in der Datenbank  dezidiert beschrieben, um die Veränderungen vom jeweils jetzigen Design zu den Designalternativen  zu dokumentieren. Der Katalog der Beschreibungsmerkmale ist sehr lang und ausführlich. Er reicht unter anderem von Textelementen auf der Verpackung (Marke, Sub-Marke, Produkttyp, Produktzusammensetzung, Gewicht, Benefit-Auslobung etc.) über die Farbgestaltung, visuelle Elemente auf der Verpackung (z.B. Produkt-Abbildung, Visuals von Inhaltsstoffen, Piktogramme und Symbole, bildhafte Elemente, etc.) bis hin zu Material, Form und Größe der Verpackung etc.

Erfolgswahrscheinlichkeit einer Vorhersage ausschließlich auf Basis der KI

Auf Basis dieser Trainingsdaten, angereichert mit Informationen zu Kategorie und Geographie haben wir die prognostizierten Vorhersagen des KI-Algorithmus mit der tatsächlichen Leistung von Designalternativen – gemessen auf Basis unserer Studien – verglichen. Die Ergebnisse waren auf der einen Seite sehr motivierend, da wir tatsächlich in der Lage waren, den Erfolg bzw. Misserfolg in Teilen zu prognostizieren. Sie waren aber auch ein wenig desillusionierend, weil wir gemerkt haben, dass die KI alleine nicht ausreichen wird, um wirklich alle Facetten abzudecken, die verantwortlich sind für einen Erfolg von Verpackungen am Regal.

Einsatz von "Human Expertise", um die Schwachpunkte der KI auszugleichen

Der KI-Algorthmus ist (noch) weitestgehend blind für die Situation und Positionierung einer Marke in ihrem Wettbewerbsumfeld. Er ist auch (noch) nicht sensitiv genug für die Berücksichtigung der "Brand Objectives", die mit einem Design-Relaunch erreicht werden wollen (z.B. Forcierung Brand-Image, Steigerung Sales, Cut im Assortment-Planning, etc.).

Dieser Teil wird von einem Experten-Panel abgedeckt, das aus erfahrenen und speziell geschulten PRS IN VIVO-Mitarbeitern besteht. Ihre Aufgabe ist es, die Designalternativen auf fest definierten und hochgradig prädiktiven Dimensionen wie z.B. Sichtbarkeit im Regalkontext, Spontaner Eindruck, Kommunikation etc. zu bewerten und eine holistische Perspektive auf die Designalternativen zu geben. Die Relevanz der Experten-Bewertungen ist wiederum gewichtet auf Basis von Koeffizienten, die die KI ermittelt hat. Es hat sich z.B. gezeigt, dass Verpackungsmerkmale, die zur Sichtbarkeit beitragen, einen stärkeren Einfluss auf den Erfolg haben, während die Shopability eine klaren Grenznutzen hat und nicht beliebig gesteigert werden kann. 

Der komplette Prozess ist voll digitalisiert und automatisiert, so dass sichergestellt werden kann, dass die Ergebnisse der KI zusammen mit denen der Experten sehr schnell zur Verfügung gestellt werden können, egal in welchem Teil der Welt die Experten arbeiten.

Das Ergebnis ist ein einfach zu verstehendes Ranking der Designalternativen mit einem Gesamtscore und der jeweiligen Teilleistung auf den Indikatoren "Sichtbarkeit am Regal", "unmittelbare Kommunikation" sowie "Passung zu den Design-Objectives bzw. zur Markenvision":

Geschwindigkeit, Effizienz und Klarheit

Auf dem Weg zur Implementierung von KI in die Verpackungsforschung war die eine oder andere Hürde zu überspringen. Wir haben gelernt, dass die KI (noch) nicht alleine in der Lage die Vielschichtigkeit der Wirkung von Verpackung auf den Kauf zu entschlüsseln und entsprechend vorherzusagen und "Human Expertise" nötig ist.

Der kombinierte Ansatz aus KI und Experten-Beurteilung wird heute hauptsächlich in der frühen Phase der Designentwicklung eingesetzt. Wenn es darum geht, eine Vielzahl an unterschiedlichen Designalternativen auf die erfolgversprechendsten zu reduzieren, leistet er sehr gute Dienste. Mittlerweile ist dieser AI Pack Screener weltweit im Einsatz.

Der Schlüssel zum Erfolg des Ansatzes besteht dabei aus drei Teilen:

  • Berücksichtigung von Behavioural Economics: Wir konnten das Modell auf Basis von Verhaltensdaten aus tausenden von Studien in unserer historischen Datenbank erstellen
  • Partnership: Es gab keine Berührungsängste mit KI-Experten zu kooperieren und die Limitationen der eigenen Kompetenz im Bereich KI anzuerkennen
  • Echter Kundenmehrwert: Die Vorteile im Hinblick auf Geschwindigkeit, Effizient und Skalierbarkeit im Design-Screeningprozess sind offensichtlich. Ergebnisse liegen 4 Tage nach Lieferung der Designs vor – zu einem Bruchteil der Kosten von traditionellen Verfahren

Und das Schöne am Arbeiten mit KI ist, dass der Algorithmus ständig dazulernt. Mit jedem neuen Test wird die Prognosequalität besser.

Zum Autor: Christian Dössel arbeitet als Senior Research Director für PRS IN VIVO in Hamburg, einer Behavioural Science Marktforschungsagentur für Fragestellungen rund um Shopper, Verpackung und Produkt. In seiner bisher 20 Jahre andauernden Tätigkeit in der Markforschung ist der studierte Soziologe mit Organisationen unterschiedlichster Größe, Geschäftsausrichtung und Kultur in Berührung gekommen. Bei PRS IN VIVO verantwortet er das Geschäft in Deutschland.

 

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de