Neuromarktforschung – nachhaltig oder doch bloß ein Hype?

Michael Pusler (Media Market Insights)

Michael Pusler

Von Michael Pusler

Zuletzt konnte man etwas den Eindruck gewinnen, der vormalige Hype um das Thema "Neuromarketing" sei wieder deutlich zurückgegangen. Das mag sicher auch sein Gutes haben, zeigt sich doch nunmehr, wer das Handwerk wirklich versteht und ernsthaft vorantreibt. Aber sind wir in den letzten Jahren in der Beschäftigung mit dem Thema denn auch wirklich schlauer geworden?

Sicher, die Neuroforschung hat im Bereich der klinischen Forschung zu enormen Fortschritten bei der Erklärung zahlreicher medizinischer Phänomene wie epileptischer Anfälle, Abbauprozessen bei Morbus Alzheimer oder Parkinson geführt. Doch wie fällt das Fazit beim "gesunden Gehirn" aus? Welches Urteil können wir zu Anwendungen beispielsweise im Marketing, der Kommunikation bzw. Werbung fällen? Sicherlich mag der eine oder andere (nicht ganz zu Unrecht) sagen, was bringt es uns, wenn wir das Gehirn durchleuchten und eine Flut elektrischer Impulse visualisieren. Und ist eine tiefergehende Beschäftigung überhaupt ethisch vertretbar?

Mir fällt bzw. fiel in Anwendungsfragen der Neuromarktforschung und des Neuromarketings – nicht zuletzt auch aus eigenen Forschungen - zunächst auf, dass die Beschäftigung mit dem Konsumentenverhalten im Hirnscanner, über Elektrodenableitungen oder Reaktionszeitmessungen zwar Unmengen von Informationen oder Daten produziert, die Medizin uns hier aber bei deren Interpretation gar nicht weiterhilft. Es zeigte sich sehr früh, dass hier wieder die gute alte Psychologie ran muss. Und die kannte in der Vergangenheit überwiegend dialogische Gesprächs- bzw. Befragungsmethoden. Kann uns nun die Neurologie und Radiologie hier wirklich weiterhelfen? Wir kennen mittlerweile das Belohnungszentrum im limbischen System, hören und lesen, dass der "Nucleus Accumbens" im Mandelkern Lustzentrum ist oder die "anteriore Insula" Angst induziert. Belohnen mit relevanten Botschaften ist das Credo, das freilich die Motivationspsychologie schon länger weiß. Und bereits der Volksmund sagt "steter Tropfen höhlt den Stein", also nur durch Übung (10.000 Stunden und mehr) kann die Meisterschaft erzielt werden. Was also ist die Essenz - was hat Neuromarktforschung insbesondere mit den zu Beginn beeindruckenden bildgebenden Verfahren bis dato gebracht?

Ich denke - trotz aller kritischen Aspekte - eine ganze Menge. Sie hat nicht nur viele Fragen zur wirksamen Steuerung von Marketingmaßnahmen aufgeworfen (sonst hätte es dieses Thema dort auch gar nicht gegeben - die ethische Diskussion lasse ich hier mal außen vor), sie hat uns dann aber auch eindrucksvoll vor Augen geführt, wie effektiv und effizient unser Gehirn zu arbeiten versteht. Dies insbesondere um sich blitzschnell den verschiedensten Gegebenheiten in immer komplexeren Umwelten anzupassen. Und dabei ist es wiederum in Struktur und Aufgaben im Grunde sehr überdauernd. Nicht umsonst werden immer wieder Grundmechanismen der Anthropologie und Verhaltensbiologie legitimierend herangezogen. Ohne hier auf die vielen interessanten Ergebnisse in der Neuromarktforschung im Detail einzugehen (z. B. zur "kortikalen Entlastung", der Identifikation "starker Marken" im limbischen System, dem "Lustzentrum bei Rabatten" oder den "Zockerarealen" bei komplexen Entscheidungsaufgaben nach dem Prinzip des "prisoner dilemma") habe ich zumindest bis heute viel über das menschliche Gehirn gelernt. Und bei vielen Fragen lassen sich nun auch physiologische Korrelate mittels  psychologischer Theorien verifizieren - zumindest für die Wirtschaftspsychologie ein - wie ich meine - großer Gewinn. Und das freut den (studierten) Psychologen. Schließlich reift die Einsicht, dass man häufig auch mit einfach(er)en und bekannten Verfahren zu angestrebten Erkenntnissen gelangen kann.

 

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de