Neues Denken aus alten Brötchen

Dr. Daniel Salber

Dr. Daniel Salber

Von Dr. Daniel Salber

Kennen Sie das echte Brötchen? Mit sonntäglichem Aroma und knuspriger Schale, die beim Reinbeißen fein zerspringt, leise hörbar krümelt und einen weichen, etwas feuchten Kern freigibt, den manche auf dem Teller zu kleinen Knödeln formen? Und einem Geschmack, dass man  gleich drei davon essen möchte? Neulich, in Hannover, hatte ich ein Dejavue. Bei einem freien Bäcker bin ich diesem Brötchen begegnet – und der Tatsache, dass es fast verschwunden ist.

Stattdessen macht uns Business-Reisende ein Gummikloß satt, der von früh bis spät, von Gleis 16 bis zum Fußballabend, von Flensburg bis Freiburg, flächendeckend verabreicht wird. Ich meine diese namenlose Masse, die sich schamhaft in ökobraunen Tüten verbirgt und sich durch rotgrüne Tomaten/Salat-Fähnchen als etwas Natürliches kundgibt – also als etwas, das sie selbst nicht ist. Diese skurrile Semantik des globalen Brötchens ist aber nur ein winziger Aspekt der Show, die dem „restless consumer“ (Neil Young) von supereffizienten Back-Ketten geboten wird. Im effektvoll beleuchteten Schaufenster liegt das ganze Schlaraffenland zum Greifen aus, herrliche Puddingteilchen, propere Berliner, knackige Nussecken, süße Sahneballen, saure Apfelschnitten - doch beißt man rein, schmeckt all das völlig gleich: einfach nur süß.          

Liebe Leserinnen und Leser, Ihnen als Markt- und Medienforschern wird die wachsende Diskrepanz von „Schein und Sein“ im Lande nicht verborgen geblieben sein. Ich möchte Ihre wertvolle Zeit daher nicht mit Parallelen aus dem Bildungswesen, der Kreditwirtschaft oder der Politik verschwenden. Mark Twain sagte, dass in manchem Unglück ein Glück liegt. So kann auch im globalen Gummibrötchen der Beginn eines glücklichen Wandels liegen.

In meiner Heimatstadt Köln, in einer von Back-Ketten besonders reich gesegneten Stadt, ist nämlich jeden Samstag zu beobachten, dass sich vor den letzten beiden freien Bäckern in der City lange Warteschlangen bilden, hungrige Menschenketten, die beinah bis zum Dom reichen. Menschen, die sich nicht mit dem Schein zufrieden geben, sondern ihr täglich Brot mit allen Sinnen genießen wollen. Freunde von uns machen sich sogar aus dem entlegenen Bocklemünd auf, trotz Stau und Parkplatznot, um frühmorgens ein kerniges Brot plus Knusperbrötchen zu ergattern.  

Die Letzten sind in Köln schon die Ersten. Europaweite Gleichmacherei und falscher Schein bereiten dem ehrlichen Bäcker-Handwerk paradoxerweise einen goldenen Boden. Individuelles mit Herz und Substanz aus dem Mittelstand hat in Zeiten übergriffiger Ketten größte Chancen. Und renditegetriebene Großbäckereien dürfen ruhig mal schönere Dinge als pure Zahlen-Jagd betreiben - damit ihnen nicht das, was sie groß machte, am Ende zum Verhängnis wird.

Ähnlichkeiten mit dem Research-Markt sind natürlich rein zufällig und nicht beabsichtigt. Forschungs- und Marketing-Organisationen können von Glück sagen, dass sie von der Brötchen-Situation noch Lichtjahre entfernt sind.

 

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