Neuer Crowdsourcing-Ansatz optimiert die Marktforschung: Social Forecasting im Aufschwung

Aleksandar Ivanov (CrowdWorx)
Von Aleksandar Ivanov, Mitbegründer der Unternehmen CrowdWorx und CrowdPark und Partner beim Analysehaus Analyx, und Christian Hörbelt, PR-Manager bei CrowdWorx
Unternehmen müssen sich in einer globalisierten Welt immer schneller anpassen und neue Produkte entwickeln. Die Marktforschung wandelt sich ebenfalls unter dem steigenden Druck. Denn Unternehmen müssen stetig innovativ sein – bei steigenden Kosten. Damit verstärkt sich die Notwendigkeit, systematisch und kontinuierlich Daten über Märkte und Marktbeeinflussungsmöglichkeiten zu sammeln, aufzuarbeiten, zu analysieren und schließlich zu interpretieren; und das alles möglichst kostengünstig. Jedoch sind konventionelle Methoden zur Erhebung von Prognosen und zukunftsbasierenden Analysen zeitaufwändig, teuer und nicht zu selten ungenau. Die Web-2.0- und Enterprise-2.0-Bewegung bringt neuen Schwung in der Datenerhebung. Eine Grundressource bildet das Wissen der Mitarbeiter. Wie wichtig das firmeninterne Fachwissen der Mitarbeiter für die weitere Unternehmensentwicklung ist, entdecken immer mehr Unternehmer und Manager. Die web-2.0-basierte Anwendung Social Forecasting macht die Ressource Wissen für die Marktforschung zugänglich.
Die Entdeckung der Crowd
Gute Prognosen sind von offensichtlicher Bedeutung für Unternehmen. Jeden Tag müssen Manager Entscheidungen treffen, die sich naturgemäß auf die Zukunft beziehen. Folglich existiert ein großes Methodenspektrum für Prognosen, welches von statistischen Verfahren bis hin zu Expertenmeinungen und letztlich Social Forecasting reicht. Durch die zunehmende Akzeptanz von Enterprise 2.0 wird Social Forecasting auch für Unternehmen interessant´. Social Forecasting beruht auf einer Kombination aus modernen Web-2.0-Technologien: Prognosenmärkte, Crowdsourcing und Gamification. Vorreiter von Social Forecasting in den 80er Jahren war die Wahlbörse Iowa Election Markets (IEM)– dortkonnte man online mit einem symbolischen Einsatz von einigen Cent auf den Ausgang von Wahlergebnissen wetten. Die Schätzungen der IEM stellen die Prognosen von Marktforschungsinstituten seit Jahren in den Schatten. Die Erfolge von Wahlbörsen bewogen Pionier-Unternehmen wie Siemens und Hewlett-Packard vor einigen Jahren dazu, Prognosebörsen auch betriebsintern einzusetzen, um ihre Mitarbeiter Absatzzahlen und Projekt-Deadlines vorhersagen zu lassen.
Was ist Social Forecasting?
Im Kern macht sich Social Forecasting die Grundidee von Crowdsourcing zu Nutze: Es sammelt das Wissen von Mitarbeitern, die als betriebsinterne Crowd dienen. Manager stellen Ihren Mitarbeitern fragen. Diese Fragen beziehen sich primär auf zukünftige Ereignisse, um somit eine Empfehlung für Management-Entscheidungen zu geben. Das Wissen kommt primär von Mitarbeitern, die einerseits Fachwissen besitzen, aber auch die Konsumentensicht haben
Neben Crowdsourcing ist die zweite Kernkomponente von Social Forecasting die Nutzung von Anreizmechanismen beziehungsweise Gamification-Elementen. Die Anreize veranlassen die Teilnehmer, möglichst wahrheitsgetreue und genaue Schätzungen abzugeben. Hierbei kommt der Wettanreiz und Spielcharakter des Prognosemarkts zum Einsatz. Damit wird ein virtueller Handelsplatz bezeichnet, auf dem in der Zukunft liegende Ereignisse mit ungewissem Ausgang gehandelt werden, zum Beispiel die Frage nach dem Absatz von Produkt A im vierten Quartal 2013.
Die Kombination dieser beiden Ansätze, Crowdsourcing und Gamification, hat sich als äußerst mächtiges Konzept erwiesen, das sich auch in der Praxis bei Unternehmen wie Henkel, Tchibo oder Deutsche Telekom bewährt hat.
Wie funktioniert Social Forecasting im Detail?
Social Forecasting ähnelt in seiner Bedeutung und seinem Ansatz am ehesten Online-Umfragen. Der Fokus liegt bei der Erhebung von Mitarbeiter-Wissen zur Beantwortung prognostischer Fragen. Wichtigster Unterschied ist der Faktor Gamification: Bei Umfragen wird allein die Teilnahme belohnt, bei Social Forecasting dagegen die Genauigkeit der Antwort. Dadurch wird die Antwortqualität im Vergleich zu Umfragen nachweislich um ein Vielfaches erhöht. Social Forecasting berücksichtigt sowohl die Konsumentensicht (Mitarbeiter sind privat auch Konsumenten) als auch unternehmensspezifisches Wissen und Expertise. Diese umfassende Sicht erhöht ebenfalls die Validität der Antworten. Zudem ist die benötigte Teilnehmerzahl pro Frage um den Faktor zehn geringer als bei Umfragen, da Social Forecasting keine repräsentativen Teilnehmer benötigt („representative crowd“), sondern „wissende Teilnehmer“ („wise crowd“).
Der Einsatz einer geringen Anzahl an Teilnehmern wirkt sich positiv auf die Kostenstruktur aus. Ein letzter wesentlicher Unterschied liegt in der Aktualisierung der Ergebnisse. Häufig ändern sich Annahmen und Rahmenbedingungen derart, dass eine Umfrage mit entsprechendem Aufwand wiederholt werden muss, wenn sie repräsentativ sein soll. Social Forecasting funktioniert anders, da das Anreizsystem dafür sorgt, dass bei Bekanntwerden neuer Informationen die Teilnehmer von selbst einen Anreiz haben, ihre Schätzungen sofort zu aktualisieren, um Ihre Gewinnchancen zu bewahren. Jede Teilnehmereingabe aktualisiert sofort die Konsensprognose.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Anreizsystem und die Fokussierung auf das Wissen der Mitarbeiter die wesentlichen Unterschiede zwischen Social Forecasting und Online-Umfragen sind. Das Management stellt seinen Mitarbeitern Fragen, die sie mit Zahlenwerten oder Prozentangaben beantworten können. Die Mitarbeiter antworten – und das Management erhält so fachfundierte Prognosen (s. Abb. 3).
Implementierung im betriebsinternen Intranet

Teilnehmer geben auf der CrowdWorx-Plattform ihre individuelle Prognose ab, indem sie einen Punkteeinsatz auf einen bestimmten Ausgang der Fragestellung setzen, ähnlich einer Wertpapierbörse (s. Abb. 4). Wenn der Teilnehmer eine sehr gute Prognose abgibt, fällt sein Gewinn dementsprechend höher aus. Zusätzlich können Firmen ein Ranking der besten Teilnehmer veröffentlichen, um Mitarbeiter auf diese Weise noch mehr zu motivieren, gute Einschätzungen abzugeben (s. Abb. 5).
Ausblick: Social Forecasting als festen Bestandteil für die Marktforschung in Unternehmen etablieren

Es gibt eine ganze Palette von Anwendungsbeispielen:
- Marktprognosen, zum Beispiel die Prognose von Absatzzahlen, Marktanteilen, Wachstumsraten für beliebige Produkte. Der Konsumgüterhersteller Henkel nutzt Social Decision Support und konnte damit seine Prognosegenauigkeit um 22 Prozent steigern.
- Competitive Intelligence, zum Beispiel Risiko für Markteintritt neuer Wettbewerber in Segment X abschätzen. Zeppelin Rental setzt Social Decision Support ein, um das Wissen von Mitarbeitern aus seinen über 100 Standorten für strategische Fragen zu bündeln.
- Produktinnovation, zum Beispiel zur Prognostizierung von Flopraten, tatsächlichen Entwicklungskosten und –dauer bei neuen Produktideen. Tchibo hat mit Social Decision Support das Wissen seiner Filialmitarbeiter für die Beurteilung neuer Produkte genutzt.
- F&E-Management, zum Beispiel die Quantifizierung von Technologietrends, um Entwicklungsrisiken rechtzeitig abschätzen. Die Deutsche Telekom bündelt das Wissen von 240.000 Mitarbeitern, um die das Potenzial neuer Technologien besser abzuschätzen.
- Wirtschaftsprognosen, zum Beispiel Arbeitslosenrate, Wirtschaftswachstum. Der Saatguthersteller Syngenta nutzt Social Decision Support, um frühzeitig seine Produktion an die zu erwartende globale Nachfrage anzupassen.
Viele Unternehmen testen derzeit Social Forecasting oder nutzen es bereits im Praxisbetrieb. Dazu zählen Unternehmen wie die Deutsche Telekom oder Tchibo. Seit kurzem nutzt auch der Konsumgüterhersteller Henkel dieses Werkzeug, um mithilfe des Fachwissens von Mitarbeitern die Absatzchancen neuer und existierender Produkte präzise zu schätzen. Fallstudien zum Einsatz von Social Decision Support bei Henkel und anderen Unternehmen sind auf https://www.crowdworx.com/de/downloads/ kostenlos abrufbar.
Quelle:
Dieser Artikel basiert auf den Artikel Social Forecasting von Aleksander Ivanov, in Web2.0 und Social Media in der Unternehmerpraxis – Grundlagen, Anwendungen und Methoden mit zahlreichen Fallstudien (Hrsg.: Back, Andrea; Gronau, Norbert; Tochtermann, Klaus).
Literatur
Bughin, J. und Chui, M.: "The rise of the networked enterprise: Web 2.0 finds its payday"; McKinsey Quarterly, December, 2010.
Ericsson, A. K. und Jacqui, S.: "Toward a General Theory of Expertise: Prospects and Limits"; Cambridge University Press, Cambridge, 1991.
Ericsson, A. K.; Charness, N.; Feltovich, P.; Hoffmann, R.: "The Cambridge Handbook of Expertise and Expert Performance"; Cambridge University Press, Cambridge, 2006.
Ivanov, A.: "Absatzplanung im Einzelhandel: High-speed mit Low-cost"; CrowdWorx Fallstudie, 2008, http://www.crowdworx.com/de/downloads/fallstudien/.
Ivanov, A.: "The Rise of Social Decision Support"; CrowdWorx White Paper Series, 2010, http://www.crowdworx.com/de/downloads/white-papers/.
Ivanov, A.: "Experts vs. Prediction Markets"; CrowdWorx White Paper Series, 2011, http://www.crowdworx.com/de/downloads/white-papers/.
Rietz, T.; Berg, J.; Nelson, F.: "Accuracy and Forecast Standard Error of Prediction Markets", University of Iowa, Working Paper.
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