Exklusives Interview mit Martin Thöring zu den Hintergründen der "Akte Marktforschung" Nestbeschmutzer oder Whistleblower?

Martin Thöring (Bild: Martin Thöring)
marktforschung.de: Herr Thöring, mit Ihrem Schritt an die Öffentlichkeit haben Sie eine Welle der Empörung und Entsetzen innerhalb der Branche ausgelöst. Nun haben Sie aber selbst jahrelang bei Umfragen und Interviews geschummelt und stellen nun die Branche an den Pranger. Diese Vorgehensweise ist für viele nicht unbedingt glaubwürdig. Was erhoffen Sie sich von dieser Aktion?
Martin Thöring: Aufklärung, Ehrlichkeit, für mich jeden Rückweg in die Mafo verbauen, Mut zur Wahrheit, Veränderung und Selbstreinigung.
"Auch wenn es viele für unwahrscheinlich erachten, so plagt mich mein Gewissen seit vielen Jahren."
marktforschung.de: Was genau hat Sie zu diesem Schritt bewogen? Gab es einen konkreten Anlass?
Martin Thöring: Ja. Meine erneute Insolvenz. Ich bin zum zweiten Mal aufgrund von Nichtzahlung in die Insolvenz gegangen und ich bin es leid, dass die Geschäftsführer der Feldinstitute reich werden - ohne viel dafür tun zu müssen, außer die Arbeit an Leute und Firmen wie mich weiterzuleiten. Auch wenn es viele für unwahrscheinlich erachten, so plagt mich mein Gewissen seit vielen Jahren und dies ist nicht mein erster Versuch die Machenschaften der Marktforschung öffentlich zu machen. Mag es für den Einzelnen noch unbedeutend sein, wenn man Duschgels selbst testet, anstatt diese an Probanden zu verteilen, so sind doch Fragen zu medizinischen Anwendungen schon ein anderes Thema. Aber beide Male werden falsche Ergebnisse für teures Geld verkauft.
marktforschung.de: Erwarten Sie strafrechtliche Konsequenzen?
Martin Thöring: Ja, ich habe immerhin Selbstanzeige wegen Betruges (Beihilfe zum Betrug) beim Amtsgericht Münster gestellt.
marktforschung.de: Erwarten Sie für Ihre Fälschungen und die Weitergabe von Interna zivilrechtliche Konsequenzen?
Martin Thöring: Die Institute wie CSI und ACE werden alles Mögliche versuchen, sich bei mir zu revanchieren, davon bin ich fest überzeugt. Ich habe meine Selbstanzeige aber sehr umfassend "verfasst" und nichts unerwähnt gelassen. Bedeutet das, dass ich lieber den Mund hätte halten sollen, damit mir nichts passiert?
"Ich möchte mit der Marktforschung, so wie sie momentan ist, nichts mehr zu tun haben."
marktforschung.de: In SPIEGEL Online werden Sie zitiert mit den Worten: "Marktforschung ist der allergrößte Scheiß." Später im Artikel heißt es dann, dass Sie davon träumen,"mit einer betrugssichereren Erhebungsmethode eines Tages einen Neuanfang zu wagen." – Wie passt das denn zusammen?
Martin Thöring: Gar nicht. Ich möchte mit der Marktforschung, so wie sie momentan ist, nichts mehr zu tun haben. Richtig ist, dass ich seit dem Jahr 2015 viel Geld – und der Mitarbeiter noch viel mehr Zeit – in die Entwicklung einer neuen Befragungsform investiert habe, aber ich werde nicht weiter in die Entwicklung investieren, mit welchem Geld denn auch. Diese Aussage "mit einer betrugssichereren Erhebungsmethode eines Tages einen Neuanfang zu wagen" stammt aus einem anderen Kontext und hat nichts mehr mit der aktuellen Situation zu tun.
marktforschung.de: Warum sind Sie nicht schon früher damit an die Presse gegangen?
Martin Thöring: Weil es niemand interessiert! Ich habe 2009 mit einem Anwalt über eine Selbstanzeige gesprochen und mich zum ersten Mal an die Presse (Bild) gewendet – keine Reaktion. Im Frühjahr 2017, noch lange vor meiner Insolvenz, habe ich mich an die Investigative Gruppe von "NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung" per Mail gewendet. Außer einer automatischen Antwort habe ich von denen nichts mehr gehört. Auch auf eine zweite Mail haben sie nicht reagiert. Ich habe mich dann an Kunden gewendet, die mir entweder mitteilten, dass sie nichts machen möchten, weil sie Regressforderungen ihrer Kunden erwarten würden und jetzt behaupten, sie hätten nichts Aussagekräftiges erhalten, oder sie haben sich direkt an das beauftrage Feldinstitut gewendet und diesem mitgeteilt, dass sie angeschwärzt worden wären. Wobei entsprechende Firmen nicht mal bereit war mich anzuhören. Erst durch den persönlichen Kontakt über ein paar Ecken gelang es mir Spiegel-Online persönlich auf die Lage in der Marktforschung anzusprechen.
marktforschung.de: SPIEGEL Online beruft sich Ihren Aussagen nach lediglich auf die Felddienstleister CSI International und ACE International – welchen anderen Instituten oder Auftraggebern werfen Sie noch kriminelle Energie vor?
Martin Thöring: Ich habe für deutlich mehr Institute als CSI (Gründung 2002) und ACE (Gründung 2007) gearbeitet und bei allen Instituten war das Fummeln an der Tagesordnung. Mehr kann ich aufgrund der polizeilichen Ermittlungen nicht dazu sagen.
marktforschung.de: Welche stichhaltigen Beweise haben Sie für diese Anschuldigungen?
Martin Thöring: Klare Anweisungen der Projektleiter und Geschäftsführer der verschiedenen Feldinstitute mit Vorgaben wie zum Beispiel IP-Verschleierung und Angaben, wie ich zu antworten habe.
marktforschung.de: Sie sagten marktforschung.de telefonisch, es gebe ein "Vor" der Berichterstattung und ein "Danach" Was genau meinen Sie damit?
Martin Thöring: Die Reaktion der betroffenen Firmen. Es ist unglaublich, wie sich die Firmen bei den Anfragen des SPIEGEL rauszureden versuchen und diesen belügen. Und auch auf meine Kontaktaufnahmen hin – um Aufklärung zu betreiben – nicht reagieren. Rückrufe erfolgen gar nicht, man versucht es kleinzureden und zu verharmlosen, so als sei es nur in Ausnahmefällen zu Schummeleien gekommen.
marktforschung.de: Was haben Sie nach dem SPIEGEL Online Bericht getan? Haben Sie weiter den Kontakt zu den Instituten gesucht?
Martin Thöring: Ich habe zu mehreren Marktforschungsinstituten und Kunden dieser Kontakt aufgenommen (s.o.).
"Mein persönlicher Eindruck ist, dass mehr oder weniger von allen Seiten versucht wird, das unliebsame Thema des Betruges in der Marktforschung zu bagatellisieren."
marktforschung.de: Wie erklären Sie sich diese Reaktionen?
Martin Thöring: Die Marktforschungsinstitute verschließen ihre Augen und wollen der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen. Letztendlich liegt der Fehler nicht nur bei den Feldinstituten, sondern zum großen Teil bei den beauftragenden Marktforschungsunternehmen. Diese kaufen die Studie teuer bei der Wirtschaft (oder wem auch immer ein) und versuchen die eigentliche Arbeit - nämlich das Befragen der Probanden - zum günstigsten Preis weiter einzukaufen. Kontrollmechanismen, über die die Marktforschungsinstitute zweifelsfrei verfügen, werden nicht genutzt, denn auch das würde Geld kosten und somit die Rendite verschlechtern. Also übergibt man die Verantwortung der Qualitätssicherung ausschließlich an die Feldinstitute. Diese legen den Fokus im besten Fall auf die Qualität der Daten und nicht darauf, wie diese erhoben werden können. Auch hier herrscht ein Profitdenken. Sich jetzt mit einem Nestbeschmutzer, wie ich jetzt einer bin, auseinander zu setzen, kommt nicht in Frage. Mein persönlicher Eindruck ist, dass mehr oder weniger von allen Seiten versucht wird, das unliebsame Thema des Betruges in der Marktforschung zu bagatellisieren und schnell wieder in Vergessenheit geraten zu lassen.
marktforschung.de: Es gibt eine Gegendarstellung zu Ihren Vorwürfen - Was sagen Sie dazu?
"Da ich seit 1995 in der Marktforschung tätig bin, kann mein Wissen und meine Erfahrung sich somit nicht nur auf die beiden "unbedeutenden" Institute begründen."
Martin Thöring: Nichts. Ich sehe darin keine Gegendarstellung. Ich habe keine Behauptung in den Raum geworfen, sondern der Staatsanwaltschaft unwiderlegbare Beweise und Dokumente für den Betrug übergeben. Sehr viele Kommentare, auch auf Ihrer Seite zeigen mir, dass die Branche nur daran interessiert ist, den vermeintlichen Schein der Sauberkeit und des ordentlichen Arbeitens aufrecht zu erhalten. Aussagen wie "nur zwei kleine unbedeutende Feldinstitute" als Maßstab zu nehmen, zeigt mir schon, dass die Schreiber schlauer tun, als sie sind. Ich habe mir die "Mühe" gemacht und Ihnen die Gründungsjahre der Feldinstitute CSI und ACE angegeben. Da ich seit 1995 in der Marktforschung tätig bin, kann mein Wissen und meine Erfahrung sich somit nicht nur auf die beiden "unbedeutenden" Institute begründen.
marktforschung.de: Sie sagten, die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits – gegen wen richten sich diese Ermittlungen noch?
Martin Thöring: Hierzu darf und kann ich nichts sagen. Zurzeit wird das Verfahren noch von der Staatsanwaltschaft Münster geführt.
marktforschung.de: In einem der Kommentare, die uns im Zuge der Berichterstattung erreicht haben, heißt es, ich zitiere: “Einem Meister des "fummelns", "tricksens", "tickerns", der zugibt 20 Jahre lang von diesen "Fähigkeiten" gelebt zu haben, kann niemand, auch nicht der Spiegel, vertrauen. Traurig, das auch publiziert wird, das Herr Thöring offenbar weiter in der Branche tätig sein möchte, da er "viele Ideen habe, wie Marktforschung fälschungssicherer gemacht werden könne. Abgesehen davon, dass Herr Thöring öffentlich gestand, in erheblichem Umfang jahrzehntelang von strafbaren Handlungen gelebt zu haben, sollte die Staatsanwaltschaft hier nicht nur wegen Betruges ermitteln, sondern vor allem auch wegen Verstosses gegen das Datenschutzgesetz. Um seine Anschuldigungen zu beweisen, sammelte er offenbar über Jahre "zehntausende" E-Mails und andere Unterlagen, die er nun dem Spiegel zum eigenen Vorteil verkaufte und nicht etwa um "Gutes zu tun". Der Spiegel ist dafür bekannt für "gute" auflagensteigernde Enthüllungen auch gut zu zahlen. Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft Herrn Thöring ganz klar die Rote Karte zeigt. Damit ist der für die Branche eingetretene Schaden leider nicht wiedergutzumachen.“- Was sagen Sie dazu?
"Mir ging es nicht um Geld, sondern darum, dass endlich reiner Tisch gemacht wird und das selbstgefällige Gehabe der Marktforschung endlich aufhört."
Martin Thöring: Wenn ich meinen Email-Ordner nicht leere, bin ich dann ein Sammler? Es ist doch praktisch: Hinter dem Datenschutzgesetz versteckt sich seit Jahren die Marktforschung. Namen vermeintlich teilnehmender Probanden werden mit Hinweis auf das Datenschutzgesetz nicht übermittelt und so erspart man sich die Erklärung dafür, dass es gar keine Probanden gibt. Wer immer diesen klugen Kommentar geschrieben hat, den möchte ich bitten, sich mit der Redaktion von Spiegel-Online in Verbindung zu setzen und ein gutes Honorar für mich auszuhandeln. Ich habe für die Mitarbeit keine Entlohnung und auch keine Aufwandsentschädigung erhalten. Nicht mal einen kostenlosen Zugang zu deren Pay-Beiträgen! Mir ging es nicht um Geld, sondern darum, dass endlich reiner Tisch gemacht wird und das selbstgefällige Gehabe der Marktforschung endlich aufhört. Ich hoffe, dass sich jetzt endlich ein Weg für ehrliche Marktforschung auftut. Der Kommentar verdeutlich aber, dass der Böse derjenige ist, der der Marktforschungsbranche den Spiegel vorhält. Nicht die aufgedeckten Taten werden kommentiert und kritisiert, sondern ich, der aus der Masse ausbricht und den Mantel des Schweigens abgelegt hat. Es ist ein Hinweis für das Denken in unserer Gesellschaft.
marktforschung.de: Wer trägt – Ihrer Meinung nach - die Verantwortung für das Dilemma: einzelne Institute und Auftraggeber? Politik? Wirtschaft? Oder gar die Verbände der Markt-und Sozialforschung?
Martin Thöring: Vorrangig das Profitdenken der Wirtschaft, hier nehme ich keinen Bereich aus. Es sind nicht nur einzelne Institute. Kommt ein Kunde zu einem Marktforschungsinstitut um etwas über sein Produkt zu erfahren, wird für viel Geld die Konzeption eines Fragebogens verkauft. In sehr vielen Fällen besteht die Arbeit aus der Funktion STRG+H. Der eine Firmenname/Produktname wird gegen einen anderen ausgetauscht. Für die eigentliche Arbeit bleibt, wie schon mal oben erwähnt, nur ein kleiner Teil. Oftmals wissen die Marktforschungsinstitute, dass für den eingekauften Preis eine ordentliche Arbeit nicht möglich ist. Sie wissen es! - Doch lieber kauft man beim Feldinstitut für einen Kleinstbetrag ein, als sich bei seinem Chef dafür zu verantworten, warum der Gewinn nicht höher ausgefallen ist. Dass die nun verlangten Erhebungen kaum ehrlich entstanden sein können, pfeiffen die Spatzen von den Dächern, aber so lange es keiner ausspricht... Man weiß es, möchte es aber nicht bewiesen bekommen, sondern sich später mit einer wunderschön bunten Präsentation vor seinen Kunden stellen und sich beweihräuchern lassen. Der Kostendruck auf allen Seiten besteht, darüber bin ich mir auch im Klaren, aber dann sollte man weniger Fälle nehmen, oder auch mal akzeptieren, dass nicht jede Ringeltaube befragt werden kann.
marktforschung.de: Sie sagten zu Spiegel Online, dass Sie Ideen hätten, mit denen man die Marktforschung "fälschungssicher" machen könnte – was schwebt Ihnen denn da konkret vor?
Martin Thöring: Dazu möchte ich mich nicht äußern, das ist mein geistiges Eigentum.
marktforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch!
Kommentare (19)
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