Nationaler WohlstandsIndex für Deutschland: Sicherheit ist wichtiger als Wohlstand

Hamburg/Berlin - Deutschland geht es gut. Die Exporte erreichen Höchstwerte. Die Quellen für Steuer-Mehreinnahmen sprudeln. Und die Politik hat allen Grund zum Optimismus. Doch gleichzeitig stabilisiert sich der Anteil der Bevölkerung, der sich Sorgen um den Erhalt des erarbeiteten und verdienten Wohlstands macht. Knapp jeder vierte Deutsche (23%) fällt in die niedrigste Gruppe des ökonomischen Wohlstands. Jeder vierte Bundesbürger sei nicht arm, aber fühle sich armutsgefährdet, so Professor Horst Opaschowski der gemeinsam mit Ipsos den NAWI-D, dem Nationalen WohlstandsIndex für Deutschland, in Berlin vorgestellt hat. Die Armutsschwelle bedrohe zunehmend die mittleren Einkommensbezieher, die um den Erhalt ihres Wohlstands bangen.

Für den NAWI-D befragte Ipsos im Zeitraum von Juni 2012 bis März 2014 16.000 Personen in Deutschland danach, was sie unter Wohlstand und Lebensqualität verstehen und wie sie ihre eigene Lebenssituation derzeit einschätzen.

Den meisten Deutschen geht es heute gut – aber ihre Zukunft scheint vielen nicht mehr sicher. In Zeiten, in denen sich weltweit Krisenherde ausbreiten, wächst die Sehnsucht der Bevölkerung nach Sicherheit und verändert sich ihre Vorstellung von Wohlstand und Lebensqualität. Drei Viertel der Deutschen (75%) antworten auf die Frage, was sie unter Wohlstand verstehen: „Keine finanziellen Sorgen haben“. Ganz obenan stehen weiterhin Wünsche nach einem sicheren Einkommen (68%) und einem sicheren Arbeitsplatz (62%). Aber auch Werte wie „sich eine gute medizinische Versorgung leisten können“ spielen für gut jeden zweiten Befragten (55%) eine Rolle.

Die Frage „Wovon sollen wir künftig leben?“ ist für viele Bundesbürger bisher unbeantwortet geblieben. Nur gut ein Drittel der Deutschen (38%) sieht sich  in der Lage, für die eigene Zukunft finanziell vorsorgen zu können. In Sachsen (25%) und Mecklenburg-Vorpommern (24%) ist es nur jeder Vierte.

Drei Viertel der deutschen Bevölkerung (75%) erwarten von einem Leben im Wohlstand, keine finanziellen Sorgen zu haben. Doch nur 36 Prozent geben an, aktuell keine Geldsorgen zu haben. Die Verheißungen der Wohlstandsgesellschaft, sich über den Lebensunterhalt hinaus besondere materielle Wohlstandswünsche erfüllen zu können, erweisen sich für fast jeden dritten Bundesbürger (30%) als Illusion. Ebenfalls nur jeder Dritte gibt an, „keine finanziellen Sorgen“ (36%) und „keine Angst vor der Zukunft zu haben“ (38%).

Auch wenn die Wirtschaft wächst, bleibt das Lager der „gefühlten“ Wohlstandsverlierer über den Erhebungszeitraum seit März 2012 stabil. Fast jeder vierte Deutsche (23%) fällt nach Berechnungen aus dem NAWI-D in die Kategorie „niedrig“ beim ökonomischen Wohlstand. Hochgerechnet leben über 16 Millionen Menschen ab 14 Jahren in Deutschland zwischen Noch-Wohlstand und Schon-Armut. Sie fühlen sich vom Wohlstandsleben zwischen Ausgehen, Shopping und Urlaubsreise weitgehend ausgegrenzt.

Im Bundesländer-Vergleich sind Bayern (53%) und Hamburg (54%) die Gewinner und Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt  (je 33%) die eindeutigen Verlierer der Wohlstandsverteilung. Die Wohlstandskarte Deutschlands lässt dennoch keine Rückschlüsse auf ein mögliches West-Ost-Gefälle erkennen. Denn die Thüringer schätzen sich ähnlich wohlhabend ein (40%) wie die Hessen (39%). Und die Bewohner in Mecklenburg-Vorpommern (40%) können durchaus einem Vergleich mit den Rheinland-Pfälzern (41%) standhalten, weil sie den größten ökologischen Wohlstand in Deutschland aufweisen. Naturnähe und Nachhaltigkeit sind auch jenseits von Arbeit und Brot ein Indikator für Wohlstand und Lebensqualität.

Andererseits liegen geradezu Welten zwischen einzelnen Bundesländern, wenn es um die Sicherheit des Arbeitsplatzes geht. Hier ist eine große Kluft zwischen alten und neuen Bundesländern feststellbar. Hamburger haben die sichersten Arbeitsplätze. Fast zwei Drittel der Beschäftigten (61%) in Hamburg machen sich um ihren Arbeitsplatz keine Sorgen. In den ostdeutschen Bundesländern gibt nur gut jeder Dritte (37%) an, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben.

In Krisenzeiten besinnen sich Menschen vielfach auf das, was ihnen Grundgeborgenheit im Leben gewährt und zum persönlichen und sozialen Wohlergehen beiträgt: Das Zusammensein mit Freunden und Familie als nachhaltige Wohlstandsqualität – vor allem dann, wenn Arbeit und Einkommen nicht mehr sicher sind. Laut NAWI-D geben vier von zehn Deutschen gute Familienkontakte als ihre persönliche Wohlstandswunschdefinition an. Und für beachtliche zwei Drittel der Bundesbürger (67%) ist diese Definition Realität, sie stimmen der Aussage zu „Ich habe gute Kontakte zu meiner Familie“.

Sozialer Wohlstand kann materielle Wohlstandsdefizite abfedern und ausgleichen helfen. So können beispielsweise 80 Prozent der Thüringer von sich sagen: „Ich habe gute Kontakte zur Familie“. Sie sind Spitzenreiter in Deutschland, was die Einschätzung ihrer Familie als realen Wohlstandsfaktor betrifft – bevor die Bayern und Saarländer mit etwas Abstand (je 75%) folgen. Am Ende rangieren die Bewohner in Baden Württemberg (52%).

Frauen heben im Unterschied zu Männern als persönliche Wohlstandswirklichkeit besonders hervor, für andere da zu sein (+ 12 Prozentpunkte), in Frieden mit ihren Mitmenschen leben zu können (+5) und gute Kontakte zu ihrer Familie und ihren Verwandten zu haben (+3). Wohlstand fängt für Frauen mit dem sozialen Wohlergehen an. Frauen pflegen mehr die Nähe zum sozialen Nahmilieu. Zudem geben relativ mehr Frauen als Männer an, umweltbewusst zu leben  (+4).

Die Wohlstandswirklichkeit von Männern zeigt eine leichte, aber signifikante Besserstellung im materiellen Bereich. Bei den Werten „gesicherten Arbeitsplatz haben“ (+3), ein „sicheres Einkommen haben“ (+2) und „Eigentum besitzen“ (+2) sind sie jeweils den Frauen gegenüber im Vorteil. Demnach haben Männer einen etwas höheren Lebensstandard, Frauen punkten bei der Lebensqualität.  Lebenswichtig ist beides – mit einem Unterschied: Lebensqualität trägt mehr zur Lebenszufriedenheit bei. Vielleicht auch ein Grund dafür, warum sich Frauen im Leben etwas glücklicher fühlen als Männer.

„4F“ – Familie, Freunde, Frieden und Freiheit – bestimmen heute Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland. In der Wohlstandswirklichkeit der Bundesbürger ist für 67 Prozent die Familie ein zentraler Anker, es besteht ein guter Kontakt. Fast ebenso viele (62%) haben gute Freunde, 53 Prozent sind gern für andere da. Dagegen können nur 49 Prozent von sich sagen, einen sicheren Arbeitsplatz bzw. ein gesichertes Einkommen (48%) zu haben.

Zur Studie: Für Interpretationen, Bewertungen und Folgerungen der von Ipsos ermittelten Daten zeichnet Professor Dr. Horst W. Opaschowski als Zukunfts- und Sozialwissenschaftler verantwortlich.
Über Vorbefragungen wurde eine Batterie von 30 Aussagen entwickelt, die das Thema Wohlstand aus Sicht der erwachsenen Wohnbevölkerung in Deutschland abdeckt. Diese 30 Aussagen wurden in einer weiteren Umfrage 16.000 Bundesbürgern ab 14 Jahren vorgelegt.
In die Berechnung des NAWI-D fließen pro Wohlstandsdimension die drei für die Bürger relevantesten Aussagen ein. Die bei jeder dieser zwölf Aussagen gemessene Wohlstandswirklichkeit wird mit deren jeweiligen Bedeutung in Bezug gesetzt, d. h. gewichtet. Daraus werden für jede Wohlstandsdimension als auch für den Wohlstand insgesamt der NAWI-D berechnet.

ah

 

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