Nachgefragt bei Viktoria Zott (Homburg & Partner)

Viktoria Zott ist Associate bei Homburg & Partner.

Viktoria Zott (Homburg & Partner)

marktforschung.de: Kundenbewertungen im Internet haben in den letzten Jahren an Vielfalt und Menge stark zugenommen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Viktoria Zott: Bereits heute bewertet jeder zweite Internetnutzer Produkte und Dienstleistungen im Internet. Meiner Einschätzung nach wird sich diese Entwicklung in Zukunft fortsetzen, denn die Informationssuche und Entscheidungsfindung im Netz ist bereits ein fester Bestandteil der „Customer Journey“.

Für Reisen, Hotels und Restaurants ist die Nachfrage nach Meinungen anderer Kunden seit jeher am größten. Aber auch bei anderen High-Involvement Produkten wie elektronischen Geräten, Telekommunikation oder Autos und nicht zuletzt im Dienstleistungsbereich, hat sich dieser Trend durchgesetzt. So wird von der Autowerkstatt bis zum Zahnarzt heute alles auf irgendeiner Plattform bewertet. Neben der Durchdringung sämtlicher Branchen ist auch die Zunahme von Bewertungen lokaler Geschäfte und Dienstleister feststellbar. Dies ist der Nutzung von sogenannten „Location-Based-Services“ zu verdanken, die standortbezogene Informationen beispielsweise über ein Smartphone zur Verfügung stellen. Dadurch können Verbraucher die Kritiken anderer stärker in ihren Alltag einbeziehen.

Ein weiterer Trend ist die professionelle Integration von Kundenbewertungen in soziale Netzwerke. Auf diese Weise können Anbieter potentielle Neukunden nicht nur auf ihrem bevorzugten Informationskanal erreichen, sondern durch den persönlichen Bezug zum Verfasser auch die Glaubwürdigkeit von Empfehlungen steigern. Bewertungen werden daher in der Zukunft verstärkt mit Social-Web Anwendungen verknüpft werden, um den Kunden zur sozialen Interaktion zu motivieren. Facebook steht dabei momentan mit seiner „Like“ und „Share“-Funktion auf Platz Eins der Social-Commerce Anwendungen. Aber Google erfährt mit seinem Netzwerk Google+ derzeit starken Auftrieb und entwickelt sich mit der Integration von Google Maps, Google Places samt Kundenbewertungen, sowie einer zunehmend personalisierten Suchfunktion immer mehr zu einer „Komplettlösung“ für die gewerbliche als auch private Nutzung.

marktforschung.de: Wie stark kaufentscheidend sind die Empfehlungen anderer - Ihrer Meinung nach - für die Konsumenten wirklich?

Viktoria Zott: Wir haben uns mit dieser Frage intensiv beschäftigt und dabei wissenschaftliche Untersuchungen sowie auch Praxisbeispiele unter die Lupe genommen. Grundsätzlich werden Online-Bewertungen von den meisten Konsumenten als genauso vertrauenswürdig eingeschätzt, wie Empfehlungen aus dem persönlichen Umfeld. Rund 80 Prozent haben sich nach eigener Aussage schon einmal von den Bewertungen anderer Nutzer im Netz in ihrer Kaufentscheidung beeinflussen lassen.
Wissenschaftliche Untersuchungen können den absatzfördernden Effekt von Kundenbewertungen bestätigten. Außerdem lassen sich einige weitere interessante Erkenntnisse ableiten:

  • Kundenempfehlungen im Internet entfalten eine größere Wirkung auf die Kaufentscheidung bei eher unbekannten Produkten sowie bei Konsumenten mit größerer Online-Erfahrung.
  • Das Volumen von Empfehlungen im Web 2.0 hat in manchen Fällen einen stärkeren Effekt auf den Absatz, als die Qualität bzw. Tonalität der Inhalte.
  • Die Plattform, auf der Rezensionen abgerufen werden, stellt einen wichtigen Einflussfaktor dar. Während Bewertungen auf einer unabhängigen Plattform stark beeinflussend sind, haben Rezensionen auf unternehmenseigenen Blogs oder Foren nur eine begrenzte Wirkung auf die Kaufentscheidung.  

Dass es Unternehmen durchaus gelingen kann, Kundenbewertungen gezielt in ihre Marketingstrategie zu integrieren, zeigt die Kampagne zum Launch des VW up! in Österreich. Hier wurden die Konsumenten selbst zu Multiplikatoren, indem sie ihre Erfahrungen als Testfahrer mit einer Online-Community teilten. Diese erfolgreiche Kampagne wurde mit dem „Best of Social Media-Award 2013“ ausgezeichnet.

marktforschung.de: Es gibt unter den Bewertungen ja auch viele „Fakes“, also Fälschungen - oft professionell und im großen Stil vorgenommen. Auch Facebook-Likes können inzwischen gekauft werden. Für wie valide kann man also die abgegebenen Meinungen im Internet halten? Welche Gefahren sehen Sie hier?

Viktoria Zott: Je mehr Einfluss Bewertungen im Netz auf die Kaufentscheidung haben, desto verlockender wird auch deren Manipulation. Für Unternehmen ist es leicht, selbst Nutzerprofile anzulegen und vorteilhafte Produktbewertungen zu verfassen. Zudem hat sich eine Vielzahl von Agenturen darauf spezialisiert, der Reputation von Marken oder Produkten im Netz durch gefälschte Empfehlungen oder gekaufte „Likes“ ein wenig nachzuhelfen. Experten gehen davon aus, dass heute ca. 20-30 Prozent der im Internet veröffentlichten Bewertungen gefälscht sind.

Rein rechtlich bewegen sich Unternehmen, die Rezensionen oder Fans kaufen, auf dünnem Eis, denn dies stellt einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht dar. In der Praxis sind solche Betrugsfälle aber kaum aufzudecken und auch den Plattformbetreibern ist eine entsprechende Überwachung nicht zumutbar. Ein prominentes Beispiel ist die Deutsche Bahn, die 2009 Negativschlagzeilen machte, weil sie durch eine PR-Agentur gefälschte Kundenmeinungen in Blogs und Foren platzieren ließ. Solche Vorfälle gefährden enorm die Glaubwürdigkeit von Kundenbewertungen aber auch die der entsprechenden Bewertungsportale. Eine größere mediale Aufmerksamkeit sowie der drohende Imageverlust zeigen hier allerdings eine abschreckende Wirkung – wer betrügt, fällt meist auf. Auch die Nutzer gehen inzwischen kritischer mit Bewertungen im Internet um und sind bei auffällig positiven und anonym verfassten Beiträgen ohne Nutzerprofil alarmiert. Sie suchen nach glaubwürdigen Empfehlungen und finden diese dank der bereits erwähnten Social Plugins auch im eigenen sozialen Netzwerk.  

marktforschung.de: Wie kann die Marktforschungsbranche mit diesen Entwicklungen umgehen? Werden Bewertungen von Konsumenten im Internet für Unternehmen bald wichtiger als Kundenzufriedenheitsbefragungen?

Viktoria Zott: Die Primärmarktforschung konkurriert heute grundsätzlich stärker mit anderen Datenquellen, die früher noch nicht existierten oder nicht abzubilden waren, wie zum Beispiel Kundenmeinungen aus dem Internet. Inzwischen hat sich die Zahl der nutzergenerierten Beiträge im Netz so gesteigert, dass durchaus repräsentative Ergebnisse gewonnen werden können und sich für die Marktforschung viele neue Möglichkeiten ergeben. Dennoch wird die Analyse von Online-Kundenbewertungen die klassische Kundenzufriedenheitsbefragung nicht ersetzen, sondern vielmehr sinnvoll ergänzen.

Ein großer Nachteil der im Netz gesammelten Bewertungen ist nämlich, dass diese nur schwer einer Zielgruppe und schon gar nicht einem bestimmten Kunden zugeordnet werden können. Zur quantitativen Abfrage bestimmter Sachverhalte sowie als Instrument zur Erfolgsmessung, wie es die regelmäßig durchgeführte Kundenzufriedenheitsbefragung in vielen Unternehmen darstellt, machen solche Methoden daher wenig Sinn.

Stattdessen können die auf Foren und Blogs geposteten Beiträge vor allem zu einer explorativen Analyse von unmittelbaren Meinungstendenzen, Kritik oder Anregungen durch Kunden eingesetzt werden. So kann schneller auf Stimmungsschwankungen reagiert werden und Trends lassen sich frühzeitig erkennen. Mittels Social Media Monitoring Tools ist es heute bereits möglich, bestimmte Themen über einen längeren Zeitraum hinweg zu verfolgen. Dieses sogenannte „Opinion-Monitoring“ im Social Web, bei dem Themen beispielsweise hinsichtlich ihrer Popularität oder Tonalität anhand von spezieller Software überwacht werden können, wird sich längerfristig als neues Marktforschungsinstrument etablieren.  

marktforschung.de: Frau Zott, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

 

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