Nachgefragt bei Mark Lendrich (J.D. Power)

Mark Lendrich ist Leiter Marktforschung Europa bei der J.D. Power and Associates GmbH. J.D. Power befragt jedes Jahr Millionen von Verbrauchern hinsichtlich ihrer Meinungen und Erwartungen zu Produkten und Dienstleistungen von Unternehmen verschiedener Branchen. In Deutschland hat sich der Beratungs- und Marktforschungsdienstleister auf die Automobilbranche spezialisiert und führt dort u.a. die Vehicle Ownership Satisfaction Study (VOSS) durch, die 2013 auf rund 18.000 Online-Befragungen von deutschen Fahrzeughaltern basiert.

Mark Lendrich (J.D. Power)

marktforschung.de: Kundenbewertungen im Internet, bspw. über Bewertungsportale für Produkte und Dienstleistungen, haben in den letzten Jahren an Vielfalt und Menge stark zu genommen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Mark Lendrich: Selbstverständlich beobachten wir diese Entwicklung ebenso interessiert wie kritisch. Im Automobilbereich sind in diesem Zusammenhang vor allem die unzähligen Blogs relevant, in denen sich Autofahrer über ihre Fahrzeuge oder über die bei Händlern gesammelten Serviceerfahrungen austauschen, sich Rat und Hilfe von anderen Fahrzeugbesitzern einholen und sich ihre Meinung bilden. Die Gefahr dabei besteht darin, dass sich Kunden ungerecht von ihrem Automobilhersteller behandelt fühlen, z.B. weil sie erfahren, dass bei einem anderen Kunden das gleiche Problem auf Kulanz geregelt wurde, sie selbst aber leer ausgehen. Außerdem wirken Fahrzeugprobleme, die seitenlang von vielen Usern diskutiert werden, oftmals gewichtiger und relevanter als sie tatsächlich sind.

marktforschung.de: Wie kann die Marktforschungsbranche mit diesen Entwicklungen umgehen? Werden Bewertungen von Konsumenten im Internet für Unternehmen bald wichtiger als Kundenzufriedenheitsbefragungen?

Mark Lendrich: Der Beratungsbereich von J.D. Power nutzt diese Kundenmeinungen, um die in repräsentativen Studien erhobene Fahrzeugprobleme noch besser verstehen und konkretisieren zu können. Außerdem können Kundenbewertungen helfen, um Marktforschungsstudien vorzubereiten, beispielsweise bei der Entwicklung von Fragebögen oder Leitfäden. Und auch die Automobilhersteller selbst werden diesen riesigen Schatz an ungefiltertem Kundenfeedback nicht unbeachtet lassen. Als Ersatz für quantitative Kundenzufriedenheitsbefragungen taugt Social Media freilich nicht: Fehlende Repräsentativität und Selbstselektivität sind wichtige Argumente dagegen, aber auch valides Benchmarking von Kundenbewertungen im Internet ist schwierig.

marktforschung.de: Und für wie stark kaufentscheidend halten Sie diese Empfehlungen für die Konsumenten?

Mark Lendrich: Kaum jemand tätigt heute eine größere Anschaffung ohne sich vorher ein konkretes Bild über das Produkt verschafft zu haben – und das ist jetzt bequem und ausführlich durch intensives Studium von Bewertungen im Internet möglich. Gerade bei „des Deutschen liebstem Kind“, dem Auto, tragen aber viele andere harte und weiche Faktoren zur finalen Kaufentscheidung bei, z.B. Markenimage, ein attraktives Preisangebot, Tradition, konkrete Produkteigenschaften und Features oder das persönliche Gespräch beim Händler. Dennoch können Kundenbewertungen bei zwei aus Konsumentensicht gleichwertigen Alternativen letztendlich den Ausschlag zur Kaufentscheidung geben. Kundenbewertungen im Internet als Zünglein an der Waage?!

marktforschung.de: Es gibt unter den Bewertungen ja auch viele „Fakes“, also Fälschungen - oft professionell und im großen Stil vorgenommen. Auch Facebook-Likes können inzwischen gekauft werden. Für wie valide kann man also die abgegebenen Meinungen im Internet halten? Welche Gefahren sehen Sie hier?

Mark Lendrich: Das kann in der Tat zum Problem werden. Als mündiger Konsument sollte man die Möglichkeit, es mit Fakes zu tun zu haben, immer im Hinterkopf behalten und Einzelmeinungen kritisch hinterfragen. Um das Gelesene extern validieren, also verifizieren bzw. falsifizieren zu können, stehen zudem im Automobilbereich unabhängige Informationsquellen zur Verfügung: TÜV-Report, ADAC Pannenstatistiken, Fachmagazine, Kundenzufriedenheitsratings. Letztlich ist aber genau diese Gefahr eine weitere Daseinsberechtigung für die objektive, neutrale, repräsentative Kundenzufriedenheitsforschung, die statistisch valide Ergebnisse präsentiert, auf die man sich verlassen kann.

marktforschung.de: Herr Lendrich, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

 

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