Nachgefragt bei Lisa Neundorfer (IFAK)

Lisa Neundorfer (IFAK)

Lisa Neundorfer ist Head of IFAK Consumer & Customer.

marktforschung.de: Frau Neundorfer, wie viel „Beratung“ steckt heutzutage in einem Marktforschungsprojekt? 

Lisa Neundorfer:
Die von Marktforschern erhobenen Informationen und Erkenntnisse über Märkte und Zielgruppen müssen heute optimal verknüpft und in die Strategien der Auftragsunternehmen integriert werden. 
Daher muss der Institutsmarktforscher dem Auftraggeber beratend zur Seite stehen. Ob er ein methodisches Vorgehen vorschlägt oder Ergebnisse präsentiert, ein ganzheitlicher Blick auf die Branche und das Unternehmen, auf die Historie und idealerweise auch Informationen aus anderen Quellen als dem beauftragten Projekt fließen ein und stellen sicher, dass das Marktforschungsprojekt direkt in die Entscheidungsprozesse einfließt. V.a. bei der Analyse und Aufbereitung von Studienergebnissen ist heute weniger ein deskriptives präsentieren als vielmehr ein beratendes Vermitteln von entscheidungsrelevanten Erkenntnissen gefragt. 

marktforschung.de:
Wie ist aus Ihrer Sicht die Wahrnehmung des Begriffs „Beratung“ im Kontext mit „Marktforschung“? Gibt es auf Kundenseite immer eine klare Differenzierung zu „klassischer“ Unternehmensberatung? 

Lisa Neundorfer: Marktforschungsberatung ist keine Unternehmensberatung. Die Kompetenz der Marktforscher ist das Wissen über die Märkte und die Entscheider (Verbraucher) in diesen Märkten. Die Marktforschung bündelt soziologische, psychologische und statistische Kompetenzen. Wir sichern mit valide erhobenen Informationen unternehmerische Entscheidungen ab. Unsere Kompetenzen setzen also an ganz anderen Stellen an als die der Unternehmensberater. 
Allerdings gibt es innerhalb der Marktforschungsbranche bis heute keine einheitliche Definition von Beratung. Das wurde z.B. auch in der von AKQua (der Arbeitsgruppe für Qualitative Markt- und Sozialforschung des BVM) im November 2012 in Frankfurt durchgeführten Open Space-Veranstaltung deutlich. Die dort im Titel gestellte Frage „Sollen, wollen, können Marktforscher beraten?“ wurde von den anwesenden Instituts- und Betriebsmarktforschern sehr unterschiedlich beantwortet. 
Was sich aber in vielen Gesprächen dort herauskristallisierte: Viele Institutsmarktforscher, insbesondere die qualitativen Forscher, sehen sich schon lange nicht mehr als „neutraler Informationsvermittler“. Wir haben uns längst auf den Weg gemacht, Problemfelder in den Prozessen zu identifizieren und zu benennen, dafür Lösungsstrategien mitzuentwickeln und Veränderung mit zu gestalten. Diesen beratenden und strategischen Input verlangen auch meine Kunden von mir. Die beratende Kompetenz findet man allerdings nicht durchgängig, sondern nur bei einzelnen extrovertierteren, mutigeren Forscherpersönlichkeiten. Und leider wird diese Entwicklung z.T. von den betrieblichen Marktforschern nicht immer nur begrüßt – sie weckt z.T. sogar Ängste vor Wettbewerb von außen. 

marktforschung.de:
Geht es dem Kunden am Ende primär um Daten oder um Handlungsempfehlungen? Oder etwas ketzerisch gefragt: Ist es dem Einkäufer egal, ob er Research oder Consulting beauftragt, so lange er Lösungen zu seinen Problemstellungen bzw. Antworten auf seine Fragen bekommt? 

Lisa Neundorfer: Beauftragende Unternehmen wollen nicht nur Fakten, sondern auch Empfehlungen, die im internen Entscheidungsprozess Sicherheit geben. Grundvoraussetzung dafür ist aber ein Einblick in die Unternehmensprozesse und Zugang zu ergänzenden Informationen sowie zu Entscheidern. Der Mehrwert einer Studie ist für den Auftraggeber umso höher, je stärker die betrieblichen bzw. Institutsmarktforscher als Team in die Rolle von Koordinatoren und Integratoren für Informationen schlüpfen. 
Allerdings lernt meine Branche im Moment noch, die beratende Leistung adäquat in das Leistungsportfolio zu integrieren. Der Marktforschungsanbieter muss seine beratende Leistung bereits im Angebot klar mit einem klar definierten Mehrwert für den Kunden kommunizieren. Nur dann kann der Einkäufer diese Leistung auch in ihrem monetären Wert erkennen. 

marktforschung.de: Inwieweit nehmen Sie „klassische“ Unternehmensberatungen als Konkurrenten für Marktforschungsunternehmen war? Müssen sich Marktforschungsunternehmen am Angebot von großen Unternehmensberatungen messen lassen? 

Lisa Neundorfer: Unternehmensberatungen nehme ich nicht als direkte Konkurrenz war. Zwar haben Unternehmensberatungen ebenso wie Marketingberater Marktforschungsleistungen in ihr Portfolio aufgenommen. Sie sind dann durchaus auch Auftraggeber für Marktforschungsinstitute, wenn sie für hochwertige Beratung fundiertes datenbasiertes Wissen über Märkte, Verbraucher und Zielgruppen brauchen. Sicherlich können wir Forscher aber vieles in puncto Kommunikationsstärke, Beziehungsmanagement und auch den Mut, die „neutrale“ Rolle zu verlassen und stattdessen den Finger in die Wunde zu legen von Unternehmens- und Marketingberatern lernen. Immer aber sollte sich unsere Beratung aus unserer Markt- und Zielgruppenkompetenz ableiten. 

marktforschung.de: Kostendruck ist unlängst zu einem wesentlichen Faktor bei der Kalkulation und beim Setup von Marktforschungsprojekten geworden. Wie viel „Kundenindividualität“ ist heutzutage überhaupt noch möglich? 

Lisa Neundorfer: Standards machen messbare Leistungen objektiv vergleichbar und schaffen beim Auftraggeber Sicherheit. Der Kunden kann dadurch besser einschätzen, ob für den angebotenen Preis eine adäquate Leistung erbracht wird. Und dies ist fair. 
Die zunehmende Standardisierung von Marktforschungsleistung für eine bessere Vergleichbarkeit von Anbietern, hatte sicherlich mehr Transparenz sowie zeit- und kosteneffizientere Prozesse gebracht. Sie hat aber auch dazu geführt, dass der Wert von Marktforschungsleistung zu einseitig an leicht vergleichbaren quantitativen Kriterien (Stichproben, Fragebogenlängen usw.) gemessen wird.
Für gute Marktforschung gibt es keine Dumping-Lösungen. Denn es gibt sie nicht „von der Stange“. Marktforschung ist dann nutzbringend, wenn sie individuell auf das Auftrag gebende Unternehmen, seine spezifische Position am Markt sowie seine internen Strukturen und Prozesse abgestimmt ist und wenn ein kompetenter Projektleiter und Berater intelligente Lösungen entwickelt. Der Kostendruck hat im positiven Sinne auch dazu geführt, dass wir innovative Ansätze hervor bringen. 
Im zunehmenden Wettbewerb und im Kontext einer Social-Media-geprägten Gesellschaft hat sich die Marktforschung zu einer sehr aufgeschlossenen, kreativen und proaktiven Profession entwickelt, die mit dem Bild vom „Erbsenzähler“ nichts mehr gemein hat. 

marktforschung.de: Frau Neundorfer, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

 

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