rheingold-Studie Mutprobe NS-Zeit: unheimliche Faszination und hohe Sensibilität der Gen Z

Die Beschäftigung mit der NS-Zeit hat für junge Menschen Mutprobencharakter (Bild: picture alliance / Zoonar | Maximilian Buzun)
Faszination NS-Zeit
In einer tiefenpsychologischen Studie erkundete das Kölner Marktforschungsunternehmen rheingold institut im Auftrag der Arolsen Archives das Interesse der Generation Z an der Zeit des Nationalsozialismus.
Das überraschend hohe Interesse der Gen Z erklärt sich auch durch ihre besondere Lebenssituation in einer komplexen Welt mit einer multioptionalen Bereitstellungskultur. Im krassen Gegensatz dazu steht die NS-Zeit mit ihrer Pflicht zum unbedingten Gehorsam und den völkisch-festgelegten Kategorien. Für Jugendliche ist die Auseinandersetzung somit eine Grenzerfahrung und befriedigt den Reiz, sich in tabuisierte Gefilde vorzutasten.
Dabei wollen sie sich sowohl in die Opferrolle hineinversetzen und die Ungerechtigkeit nachempfinden, als auch die Täterperspektive erkunden (54 %): Wie konnte es soweit kommen? Wie hätte ich mich in der NS-Zeit verhalten? „Die jungen Menschen wollen selbst die Moral der Geschichte erkennen“, sagt Stephan Grünewald, Psychologe und Gründer des rheingold Instituts. „Sie wollen am Diskurs teilhaben und Meinungen hinterfragen dürfen.“
Doch diese Gedankenspiele sind auch beängstigend: Fast ein Drittel der Gen Z fürchtet, dass das Thema eine zu große, sogar rauschhafte Wirkung entfalten könnte. „Ich habe wirklich Angst, dass ich damals auch auf der Seite der Nazis gestanden hätte, nur um besser dazustehen.“
Insgesamt ist auffällig, dass der Bezug zu Heute eine sehr hohe Relevanz für die Teilnehmenden hatte. Junge Leute fühlen sich befreit von dem Gefühl persönlicher Schuld und bauen sich eine Verbindung zum eigenen Alltag. Sie versuchen, ihre eigene Lebenswelt in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit besser zu verstehen – dazu gehören eigene Entwicklungsaufgaben (z.B. „Wie individuell darf ich sein?“) wie auch gesellschaftliche Probleme (z.B. „Fake News“, Rassismus oder Aggressionsbereitschaft).
Hintergrund der Studie
„Ich nehme in den Ergebnissen der Studie bei den Jugendlichen eine große Offenheit, Neugier und Freiheit im Denken wahr“, erklärt Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives. „Heute erlebt diese Generation, dass Demokratien in Gefahr geraten können. Ich finde es sehr gut nachvollziehbar, dass Erinnerung für sie mit dem Blick in ihre eigene Lebenswelt verbunden ist, in der populistische, autoritäre und intolerante Stimmen immer lauter zu hören sind.“
Daraus entsteht eine hohe Bereitschaft, sich mit der NS-Zeit zu beschäftigen – ein zentrales Anliegen des Auftraggebers Arolsen Archives, dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern des Nationalsozialismus und UNESCO-Weltdokumentenerbe. Jungen Menschen erwarten jedoch einen offenen Diskurs, in dem sie frei über das Thema „NS-Zeit“ diskutieren können, ohne Angst haben zu müssen, etwas Falsches zu sagen. Um sich konstruktiv und zeitgemäß mit der NS-Zeit auseinandersetzen zu können, braucht es außerdem den Einblick in konkrete Lebenswirklichkeiten, eine Verschmelzung digitaler und analoger Angebote und leicht verständliche Informationen.
Methodik
Erhebungsmethode | Tiefeninterview und Gruppendiskussionen |
Wie wurde die Zielgruppe rekrutiert? | Online-Panels verschiedener Rekrutierungsdienstleister; Personen mit hohem und niedrigem Interesse an Gesellschaft und Geschichte; Rekrutierung nach Alter, Geschlecht und Region |
Befragte Zielgruppe | Generation Z (16 bis 25 Jahre alt); Vergleichsgruppe (40 bis 60 Jahre alt) |
Stichprobengröße | n = 100 (davon 74 Gen Z und 26 Vergleichsgruppe) |
Feldzeit | 08.10.2021 – 09.11.2021 |
Land | Deutschland |
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

Kommentare (0)
Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!
Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.
Anmelden