Applied Science Multiscreen-Advertising: Reizüberflutung trifft Zeitgeist

Wir kennen die Situation: Wir sitzen abends auf der Couch, lassen einen anstrengenden Tag hinter uns und der Blick wandert zwischen Fernsehbild und Smartphone hin und her. Multiscreening ist ein Massenphänomen. Die Marketing-Professoren Fretschner und Lüdtke fassen in ihrer Kolumne Applied Science aktuelle Erkenntnisse zur Werbung beim Multiscreening zusammen.

Reizüberflutung- Multiscreening (Bild: picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten)

Welchen Einfluss hat Multiscreening auf die Wirkung von Werbung? (Bild: picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten)

Multiscreening ist überall

Multiscreening ist keine neue Entwicklung. Schon 2012 veröffentlichte Google eine Studie, nach der 77 Prozent der Fernsehzuschauer gleichzeitig entweder Smartphone, Laptop oder Tablet nutzen. Aktuellere Studien gehen davon aus, dass bis zu 80 Prozent der TV-Nutzer sehr häufig oder häufig gleichzeitig weitere Endgeräte nutzen. Mittlerweile ist hierbei das Smartphone mit einigem Abstand der beliebteste Secondscreen wie die folgende Abbildung verdeutlicht. 

Die wichtigsten Secondscreens während des Fernsehens (Bild: smart impact)

Beim Multiscreening unterscheiden wir drei Nutzungsarten. Sequentielle Nutzung beschreibt die Verkettung der Endgeräte für unterschiedliche Aufgaben. Ein Beispiel hierfür ist eine spannende Dokumentation im TV, zu deren Inhalten man auf dem Smartphone nach weiteren Informationen sucht. Komplementäre Nutzung beschreibt die Verbindung verwandter Zwecke mit Hilfe mehrerer Endgeräte. Ein Beispiel hierfür wäre die Nutzung einer Secondscreen-App während einer Sportübertragung, um weitere Statistiken zum Geschehen auf dem Feld einzusehen. Ist das Secondscreen-Verhalten hingegen vom Fernsehprogramm entkoppelt, spricht man von Multi-Tasking. Ein Beispiel hierfür wäre das Lesen neuer Whatsapp-Nachrichten oder das Browsen im Social-Feed während des abendlichen TV-Programms.

Diese Verhaltensweisen sind zu Herausforderungen für Werbetreibende geworden, da sie spannende Fragen provozieren: Sinkt die Aufmerksamkeit für das Fernsehbild und sinkt damit auch die Aufmerksamkeit für geschaltete Werbeplätze? Folgt daraus eine sinkende Erinnerung an die beworbenen Marken oder Produkte? Kann dieser Entwicklung entgegengewirkt werden, wenn Zuschauer auf allen genutzten Geräten angesprochen werden? Diesen Fragen wollen wir im aktuellen  Beitrag auf Grundlage einer experimentellen Forschungsarbeit von Lena Hoeck und Martin Spann nachgehen, die 2020 im renommierten Journal of Interactive Marketing erschienen ist. 

Experiment 1: Die Effektivität von Multiscreen Advertising

Mit dem ersten Experiment prüfen die Forscher zwei Hypothesen. Erstens, dass Multiscreening die Marketing-Effektivität schwächt, da der Konsument seine Aufmerksamkeit auf mehrere Geräte verteilt und keine zentrale Informationsverarbeitung stattfinden kann. Zweitens wird angenommen, dass eine zusätzliche Werbeanzeige für die gleiche Marke auf dem Secondscreen diesen negativen Effekt mildert.

Für das erste Experiment werden 233 Subjekte zufällig in sechs Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe befindet sich in einer Singelscreen-Situation. Als Gerät wird nur ein Desktop-PC verwendet, der ein sechs-minütiges Infotainment-Video anzeigt und dieses Video für einen Werbeclip einer den Teilnehmenden unbekannten Eiscreme-Marke unterbricht. Alle weiteren Gruppen sitzen auch vorm Desktop-PC, verwenden jedoch zusätzlich ein Smartphone, auf dem sie ein Quiz beantworten sollen, um das Multiscreen-Szenario zu simulieren. Die zweite Gruppe bekommt auf dem Smartphone keine zusätzliche Werbung angezeigt. Gruppen 3 und 4 bekommen auf dem Smartphone ein ganzseitiges Werbebanner der selben Marke für 30 Sekunden angezeigt, Gruppe 3 zum Anfang, Gruppe 4 am Ende des Quizzes. Gruppen 5 und 6wird ebenfalls ein Werbebanner auf dem Smartphone angezeigt, allerdings nicht von der selben Marke, sondern von einem Wettbewerber. Alle Gruppen beantworten im Anschluss eine Umfrage zur Werbeerinnerung (Recall) und -erkennung (Recognition).

Marken-Recall und -Recognition im ersten Experiment (Bild: smart impact)

Die Ergebnisse sind in Anlehnung an die Forschungsarbeit in der vorhergehenden Abbildung dargestellt. Dabei sind die Ergebnisse der Gruppen 3 und 4 unter “Werbung gleicher Marke” und der Gruppen 5 und 6 unter “Werbung anderer Marke” zusammengefasst. Die statistische Überprüfung zeigt, dass Werbeerinnerung und -erkennung im Multiscreening-Szenario ohne zusätzliche Werbung deutlich schlechter ausfallen. Dies wird zumindest für die Werbeerinnerung dann aufgefangen, wenn auf dem Second Screen eine zusätzliche Werbung derselben Marke geschaltet wird. So wird die zweite Hypothese nur für die Werbeerinnerung, jedoch nicht für die Werbeerkennung gestützt.

Experiment 2: Modus und Zeitpunkt der Secondscreen-Werbung

Der Aufbau des zweiten Experiments ähnelt dem ersten Experiment. 302 Teilnehmende werden sechs Gruppen zugelost. Die ersten beiden Gruppen treten in das gleiche Szenario wie in Experiment 1 (Gruppe 1: Single Screen, Gruppe 2: Multiscreen, eine Anzeige nur auf Desktop). Die Gruppen 3 bis 6 haben jeweils eine zusätzliche Anzeige auf dem Smartphone, Gruppe 3 und 4 nach der Hälfte der Zeit, parallel zu der Desktop-Werbung und Gruppe 5 und 6 am Ende des Infotainment-Videos, also direkt nach der Desktop-Werbung. Alle Anzeigen bewarben dieselbe Eiscreme-Marke wie im ersten Experiment. Bei Gruppen 3 und 5 ist die Werbeanzeige eine statische ganzseitige Banneranzeige, bei Gruppen 4 und 6  ist die Anzeige interaktiv, da die Teilnehmenden auf dem Werbebanner per Click ihre liebsten und unbeliebtesten Eiscremesorten auswählen konnten. Anders als im ersten Experiment wurde die Dauer des Desktopvideo auf 4 Minuten gekürzt und die mobile Anzeige für 45 Sekunden angezeigt. Alle Gruppen beantworten zum Abschluss wieder eine Umfrage zu Werbeerinnerung und -erkennung.

Marken-Recall und -Recognition im zweiten Experiment (Bild: smart impact)

Die Ergebnisse des zweiten Experiments sind wieder in Anlehnung an die Studie in obiger Grafik dargestellt. Die statistische Analyse zeigt, dass eine statische Darstellung der Werbung auf dem Secondscreen unabhängig des Darstellungsmoments (sequentiell oder simultan) deutlich effektiver als keine Werbeanzeige ist  (vgl. Gruppe 3 und 5 mit Gruppe 2). Ebenso wird deutlich, dass eine interaktive Werbeanzeige auf dem Secondscreen nur im sequentiellen Szenario und nur für die Werbeerkennung einen positiven Effekt erzielen kann. So kommen die Autoren zum Schluss, dass Interaktivität in diesem Fall keinen zusätzlichen positiven Einfluss auf die Werbeerinnerung- und erkennung gegenüber einer statischen Werbeanzeige nimmt. 

Multiscreen-Advertising in der Praxis: Geht das überhaupt?

Was haben wir aus den beiden Experimenten gelernt:

  1. Multiscreening hat einen negativen Einfluss darauf, wie gut wir Marken erinnern, die auf dem Hauptgerät beworben werden, wenn auf dem Secondscreen kein Werbekontakt hergestellt wird.
  2. Werbetreibende können durch statische Werbung auf dem Secondscreen diesen Effekt abmildern, unabhängig davon, ob sie die Secondscreen-Werbung gleichzeitig oder sequentiell zur Werbung auf dem Hauptgerät schalten. 
  3. Besonders interaktive Werbung auf dem Secondscreen hat keinen zusätzlichen positiven Effekt auf die Werberinnerung und kann den positiven Effekt statischer Secondscreen Werbung sogar abschwächen. 

Die "schlechte" Nachricht ist also, dass Multiscreening uns als Werbetreibende herausfordert, Zielgruppen auch auf den weiteren genutzten Bildschirmen anzusprechen, um vergleichbare Werbeeffekte zu erzielen. Die guten Nachrichten hingegen sind, dass statische Werbebanner wohl wesentlich günstiger als interaktive Werbebanner sind und wir als Werbetreibende offensichtlich nicht den genauen Zeitpunkt der Werbung auf dem Hauptschirm für effektive Multiscreen-Kampagnen abpassen müssen. Doch eine Frage bleibt im Rahmen der Studie offen: Wie setzt man solche Multiscreen-Kampagnen in der Praxis überhaupt um? Erste Ansätze existieren hierfür bereits heute in der Praxis. Bei der Automatic-Content-Recognition (ACR) werden TV-Spots im Moment der Auslösung registriert und dadurch passende digitale Werbekampagnen angestoßen, die Inhalte über Social-Media aufgreifen oder mit SEA auf entsprechende Suchanfragen passende Landingpages positionieren. Es scheint sogar absehbar, dass Technologien wie ACR bald überflüssig und die abgestimmte Ansprache über mehrere Bildschirme einfacher wird. Zielgruppen lassen sich durch Fernsehen über Streaming-Plattformen, universelle Logins bei Smart-TVs und plattform-basierte Betriebssysteme wie Android- oder Apple-TV immer einfacher und Bildschirm-unabhängiger erkennen und adressieren. 

Wrap-up & Take-Aways 

Multiscreening hat in den letzten Jahren noch einmal erheblich an Bedeutung gewonnen. Ungeteilte Aufmerksamkeit für nur einen Bildschirm ist rar geworden. Stattdessen wandern Blick und Aufmerksamkeit stets zwischen  unterschiedlichen Endgeräten in unserer Umgebungen, ob Fernseher, Smartphone oder Rechner. Dies wirkt sich negativ auf die Effektivität von Werbekampagnen aus, die für bestimmte Endgeräte vorgesehen sind und nur dort ausgespielt werden. Wir erinnern und erkennen Marken schlechter, wenn diese auf nur einem Endgerät beworben werden. Werbetreibende können diesem Effekt entgegentreten, wenn sie ihre Zielgruppen mit Kampagnen auf den weiteren genutzten Geräten in zeitlicher Nähe adressieren. Multiscreen-Advertising ist also eine vielversprechende Antwort auf das veränderte Verhalten der Zielgruppen. Abschließend noch ein Tipp für alle, die jetzt zu viele Bildschirme vor Augen haben: Schließen Sie einfach Ihren Laptop, legen Sie das Smartphone weit weg, schalten Sie den Fernseher ab und öffnen Sie ein gutes Buch. In diesem Sinne, erfolgreiches und zielgerichtetes Werben auf allen Kanälen.

Prof. Dr. Michael Fretschner

Prof. Dr. Michael Fretschner, smart impact (Bild: smart impact)
Prof. Dr. Michael Fretschner ist Co-Gründer der smart impact GmbH und Professor für Marketing & E-Commerce an der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft.

 

 

 

Prof. Dr. Jan-Paul Lüdtke 

Prof. Dr. Jan-Paul Lüdtke, smart impact GmbH
Prof. Dr. Jan-Paul Lüdtke ist Co-Gründer der smart impact GmbH sowie Professor und Studiengangsleiter für E-Commerce an der Fachhochschule Wedel.

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