Moral als Markenwert - Von Markenstrategien zu Werteprogrammen
Sie kennen den amerikanischen Journalisten Neil Boormann? Keiner hat bisher die Fragwürdigkeit klassischer Markenkommunikation einerseits und die Sinnsuche der Konsumenten andererseits so treffend auf den Punkt gebracht: "Jede der 3.000 Werbebotschaften mit denen ich Tag für Tag konfrontiert wurde, versprach mir, dass mein Leben reicher wird, wenn ich mein Geld für bestimmte Produkte ausgebe. Ich habe diese Dinge gekauft und geglaubt, dass sie mich erfolgreich, liebenswert und sexy machen würden. Es hat nicht funktioniert."
Sie kennen die Naturkosmetikkette "The Body Shop"? Kaum ein Unternehmen vertritt und kommuniziert Werte so klar und glaubwürdig nach innen und außen. Unter der Überschrift "Unsere Werte – Unsere Produkte" heißt es: "Unsere Leidenschaft ist es, aus fair gehandelten, natürlichen Inhaltsstoffen fantastische Pflegeprodukte zu kreieren". Body Shop Gründerin Anita Roddick setzt noch eins drauf: "Unternehmen bzw. Marken, die nicht moralisch, sondern aus Profitgier handeln, schaden ihrem Geschäft". Das Ergebnis dieser wertorientierten Markenführung kann sich sehen lassen: Die schnelle (und profitable) Expansion auf weltweit aktuell über 2.000 Filialen.
Sie kennen das puls Moralbarometer? Mit diesem Marktforschungstool befragen wir zweimal jährlich 1.000 repräsentativ ausgewählte Bundesbürger zu den Themen Moral bzw. soziale Verantwortung von Unternehmen. Die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen Erhebungswelle vom September 2007 in Kurzform:
- Über 90 % der Deutschen sehen den Erhalt bzw. Ausbau von Arbeitsplätzen in Deutschland, Fairness gegenüber Mitarbeitern und die Schonung der Umwelt als wichtig bzw. sehr wichtig an.
- Andererseits sprechen lediglich 10 % der Konsumenten Unternehmen bzw. Marken Kompetenz bei der Erfüllung dieser Werte zu
- Wenn 90 % der Bevölkerung nach Moral bzw. sozialer Verantwortung von Marken fragen, aber nur 10 % der Marken dies erfüllen, sollte dieses Thema eine einzigartige Profilierungschance sein. Diese Profilierungschance ist profitabel. Laut unserem Moralbarometer sind mittlerweile 76 % der Bevölkerung (vor allem jüngere Personen) bereit, für "moralische Marken" einen Aufpreis in Höhe von durchschnittlich 12,4 % zu bezahlen.
- Sichtbare moralische Kompetenz schafft attraktive Unterschiede: 45 % der Bevölkerung attestieren der Drogeriemarktkette dm sozialverantwortliches Verhalten, bei Schlecker liegt dieser Anteil bei 20 %. Der Bekleidungshersteller Trigema setzt noch eins drauf: 63 % sprechen der "Marke mit dem Affen" sozialverantwortliches Verhalten zu, bei H&M sind dies lediglich 29 %.
Wie wir aus weiteren Marktforschungsstudien wissen, ist moralische Kompetenz ein Stellhebel für Markenbindung und Markenattraktivität mit signifikanter Wirksamkeit. Die (unter anderem aus Moralkompetenz resultierende) Wirkung auf die Kundenbindung und Kundenzufriedenheit bei dm zeigt dies deutlich. Bevor wir zu den Erfolgsfaktoren des Aufbaus von Moral als Markenwert kommen, möchte ich an dieser Stelle noch auf ein weiteres Ergebnis unseres Moralbarometers hinweisen: Keinem deutschen DAX-Unternehmen geben mehr als 10 % der Bevölkerung die Note "sehr gut" wenn es um sozialverantwortliches Verhalten geht.
Fazit: Soziale Verantwortung ist ein wichtiges Bedürfnis, das in der deutschen Markenlandschaft derzeit unzureichend erfüllt wird. Umso größer sind die Profilierungschancen.
Moral als Markenwert = Arbeitsplätze, Umwelt, Mitarbeiter
Woran machen Konsumenten fest, ob Marken "Moralkompetenz" haben bzw. die dahinterstehenden Unternehmen sich sozialverantwortlich verhalten. Dazu liefert unser Moralbarometer 5 eindeutige Wahrnehmungskriterien:
1. Arbeitsplätze in Deutschland.
Wie das Beispiel Trigema zeigt wirkt das Bekenntnis zur Fertigung in Deutschland und der damit verbundene Erhalt bzw. Ausbau von Arbeitsplätzen in Deutschland nachhaltig auf die Profilierung von Marken. Andererseits zeigt sich, wie negativ sich Drohungen mit Arbeitsplatzverlagerungen in's Ausland auf Marken niederschlagen. Solche Themen sollten unbedingt intern geklärt werden.
2. Umweltschonende Fertigung.
Beispiele wie Puma oder Henkel zeigen, dass umweltschonende Fertigungen bzw. die Zertifizierung von Lieferanten attraktive Unterschiede für Marken schaffen. So resultieren aus der bei Henkel seit Jahren verfolgten Nachhaltigkeitsstrategie Produktinnovationen wie Dixan (das erste phosphatfreie Waschmittel auf dem Markt) und die Umstellung des Klebestifts Pritt auf nachwachsende Rohstoffe.
3. Nachhaltige Produkte.
Beispielhaft sei hier die Vorreiterrolle von Toyota bei der Entwicklung des Hybridantriebs genannt. An diesem Beispiel ist besonders interessant, dass Toyota den Hybridantrieb so genial in der Markenkommunikation nutzt, dass die japanische Marke nach aktuellen puls Erhebungen mit deutlichem Abstand Nr. 1 bei der (wahrgenommenen) Umweltfreundlichkeit ist.
4. Wertschätzung der Mitarbeiter.
Erfolgsbeispiel in diesem Bereich ist die Drogeriemarktkette dm. Personifiziert durch den Gründer Götz Werner stehen dort Themen wie die Stärkung des Selbstvertrauens der Mitarbeiter, der Verzicht auf variable Anreizsysteme und minimale Anweisungen im Vordergrund. Nach eigenen Angaben versteht sich die dm Zentrale als Dienstleister für die Filialen. Von daher brachte jüngst eine Fachzeitschrift die dm Kultur mit dem Satz „Wo die Filialen sind ist oben“ auf den Punkt. Alle Indikatoren zeigen, dass die Entwicklung von Mitarbeiter zu Markenbotschaftern die Attraktivität der von dm als Retail Brand nachhaltig stärkt.
5. Markenkommunikation.
Der aus Kundensicht immer wichtigere Aufbau von Moral als Markenwert wird Veränderungen in der Markenkommunikation mit sich bringen, die durch drei Stichworte charakterisiert werden können: Mehr Ehrlichkeit, mehr Werte, weniger (klassische) Benefits. Das Beispiel Bodyshop zeigt, wie nachhaltig eine Marke durch das Beziehen klarer Positionen anstelle einer klassischen Positionierung emotionalisiert werden kann.
Erfolgsfaktor persönliches Commitment: Moral sollte durch das Management personifiziert und vorgelebt werden
Der Aufbau von Moral als Markenwert bietet eine einzigartige Chance: Die Stärkung des Vertrauens in Marken durch Personifizierung der dahinterstehenden Werte. Mit anderen Worten: Moral (mit den dargestellten 5 Facetten) wird Marken umso glaubwürdiger „aufladen“, je sichtbarer es von den Markenverantwortlichen vertreten und propagiert wird. Beispiele wie Anita Roddick (Body Shop), Franz Ehrensperger (Lammsbräu), Urlich Lehner (Henkel) oder Götz Werner (dm Drogeriemärkte) zeigen, dass Moral ein Thema ist, das aus persönlichen Überzeugungen entspringt. Von daher sollte es auch persönlich nach Innen und Außen propagiert werden. Moralische Marken brauchen deshalb persönliche Botschafter. Moralische Werte beschleunigen von daher die Metamorphose von technokratisch-anonymen hin zu personifizierten Markenpositionierungen, bei denen persönliche Überzeugungen und Orientierungen „verkauft werden“.
Fazit: Gewinnen und zeigen Sie Menschen, die hinter „moralisch aufgeladenen Marken“ stehen.
Erfolgsfaktor Kommunikation nach Innen: Vermittlung von Werteprogrammen
Hand aufs Herz: Wie viel Kreativität und Medienpower investieren Sie, um Marken oder Produktinnovationen bei Ihren Kunden wirkungsvoll zu bewerben? Der Aufbau von Moral als Markenwert ist ohne dahinterstehende Werte undenkbar. Diese Werte gilt es mit der gleichen Kreativität nach innen zu vermitteln, wie dies üblicherweise nach außen gegenüber den Kunden erfolgt. Derzeit dominieren in der internen Kommunikation noch Kostensenkungsprogramme wie z. B. CORE (Daimler AG) oder ForMotion bei Volkswagen. Solche Programme gilt es, für die Vermittlung von Werten anzuwenden. Ein Erfolgsbeispiel dafür ist das bei BMW als Antwort auf Toyotas Hybridantrieb bereits vor drei Jahren gestartete EfficientDynamics Programm. Offiziell titulieren die Münchner dieses Werteprogramm als „Antwort von BMW auf den Klimawandel und die zu Neige gehenden fossilen Brennstoffe. Dass sich ein solches Programm positiv auf den Stolz und die Motivation der Mitarbeiter auswirkt, liegt auf der Hand. Nach Aussagen von BMW CEO Norbert Reithofer werden die Münchener in den nächsten fünf Jahren mittels eines „Wertekanons“ aktiv die Herausforderungen der Zukunft angehen. Dazu wurde das Programm „Grenzen überwinden – Zukunft erobern, die 12 Grundüberzeugungen der BMW Group“ für die Kommunikation nach innen entwickelt.
Das Beispiel BMW zeigt deutlich, wohin sich Markenkommunikation im Wertezeitalter entwickelt. Tragfähige Markenstrategien müssen in kluger Form zunächst den Mitarbeitern wirkungsvoll vermittelt werden.
Erfolgsfaktor Kommunikation nach außen: Position beziehen statt Positionierung
Unsere Marktforschungserkenntnisse zeigen: 3 von 4 Konsumenten honorieren moralische Kompetenz von Marken mit einem Aufpreis. Dies trifft aber nur dann zu, wenn die Erfüllung dieser Werte auch vom Kunden bemerkt wird. Von daher sind die Verantwortlichen gefordert, moralische Werte klug und glaubwürdig nach außen zu kommunizieren. Dabei gilt ein Grundsatz, den wir bereits aus den Ökomarketing kennen: Nur Moral ist zu wenig, es geht um Moral bzw. political correctness als Zusatznutzen. So reicht es nicht, sich beim Klebestift Pritt auf nachwachsende Rohstoffe in der Kommunikation zu konzentrieren. Alle übrigen Anforderungen müssen selbstverständlich zusätzlich erfüllt werden. Das gleiche gilt in der Automobilbranche: Die Zukunft gehört nicht dem auf Verzicht ausgerichteten Ökofahrzeug. Vielmehr müssen Fahrspaß und Schonung der Umwelt bzw. Reduktion des Kraftstoffverbrauchs unter einen Hut gebracht werden. Die Strategien von BMW, Audi und Co. gehen eindeutig in diese Richtung.
Fazit: Soziale Verantwortung und Moral sollten offen und ehrlich, aber eher zurückhaltend als Zusatznutzen kommuniziert werden.
Ausblick: Marktforschung im Wertezeitalter
Moralische Markenstrategien sind zwingend mit dem glaubwürdigen Vorleben der propagierten Werte verbunden. Von daher kommt der Akzeptanz solcher Strategien bei Mitarbeitern ebenso große Bedeutung zu wie die Akzeptanz bei den Kunden. Die Marktforschung der Zukunft muss sich von daher mit zwei Fragestellungen beschäftigen:
- Der Relevanz und Erfüllung von Markenwerten bei Endkunden und Handelspartnern.
- Der Frage, ob diese Markenwerte auch von den Mitarbeitern verstanden, akzeptiert und gelebt werden.
Markenwerte sollten also mit identischen Skalen und Fragestellungen bei Kunden und Mitarbeitern/ innen abgefragt werden. Auf dieser Grundlage lassen sich völlig neue Vergleiche anstellen bzw. Fragen beantworten. So kann beispielsweise herausgefunden werden, welche Markenwerte als Value Driver signifikant für die Motivation der Mitarbeiter/ innen einerseits und die Markenbindung der Kunden andererseits sind.
Der Autor:
Dr. Konrad Weßner, Dipl. Kaufmann und Spezialist für Marktforschung und damit verbundene Strategie- und Marketingberatung. Studierte an der Universität Erlangen-Nürnberg Betriebswirtschaft, promovierte am Lehrstuhl für Marketing der Universität Bamberg zum Thema Strategische Marktforschung. Baute dann bei einer international tätigenUnternehmensberatung den Bereich Strategieberatung auf. Seit 1991 ist er Geschäftsführer und Inhaber der puls Marktforschung GmbH in Schwaig bei Nürnberg. puls hat sich auf Marktforschung und Beratungsleistungen in denBereichen Markenstrategie und Vertrieb spezialisiert.
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