Moderne Verfahren der Erfolgsprognose für Konsumgüter: Welche Anforderungen sollten sie erfüllen?

Der Wunsch, den Erfolg von Konsumgütern mithilfe simulierter Verfahren prognostizierbar zu machen, kam in Deutschland bereits in den 60er und den frühen 70er Jahren für consumer-packaged-goods (CPG) auf. Im Auftrag größerer Markenartikler wurden in dieser Zeit erstmals simulierte Testmärkte als Planungsinstrument entwickelt. Sie waren die Antwort auf die bis dahin ausschließlich realen und meist geografisch definierten Testmärkte. Diese galten als langsam, teuer und boten keine Möglichkeit, ein neues Produkt geheim zu testen. Die Rufe nach einer Weiterentwicklung der bereits existierenden Konzept- und Produkt-Tests mit absatzprognostischen Komponenten wurden lauter. Die Idee eines simulierten Testmarktes (STM) war geboren.

Die ersten STM-Varianten waren ausschließlich sogenannte Macro-Modelle, die auf Basis aggregierter Daten für Gruppen und die Gesamtheit einer Stichprobe Absatzvolumina ermittelten und auf Gesamtmarktgröße hochrechneten. Prominente Vertreter waren BASES, SENSOR und ASSESSOR. Etwas später, Anfang der 80er Jahre, kamen Micro-Modelle hinzu, die Volumina auf Basis personenbezogener Verrechnung der Daten ermittelten, beispielsweise der MicroTest.

Mit der Entwicklung von simulierten Testmarktverfahren zur Absatzprognose von CPG wurde ein weiterer Meilenstein zur konsequenten Verbesserung der Planungsqualität erreicht. Die STM-Verfahren trugen den damaligen Marktgegebenheiten alles in allem zufriedenstellend Rechnung.

Inzwischen gibt es nicht nur einige der damaligen STM-Verfahren nicht mehr; die noch bestehenden wurden modifiziert oder umfangreich weiterentwickelt. Aber auch die Güte der Modelle, d.h. die Genauigkeit der Vorhersage, blieb nicht unverändert. Teilweise nahm sie ab, was im Extremfall das Verschwinden der Methode vom Markt zur Folge hatte. Teils führten Innovationen im Modelling-Ansatz aber auch zu einer verbesserten Prognosequalität.

In der Entstehungsphase des Micro-Models Anfang der 80er Jahre herrschten im Vergleich zu heute noch deutlich einfachere Marktgegebenheiten: Die Anzahl der verfügbaren Massenmedien, aber auch die der vorhandenen Produktkategorien und Vertriebswege waren vergleichsweise überschaubar. Beim Einkauf hatte man bei Tafelschokolade die Auswahl zwischen den populärsten Basisgeschmacksrichtungen Vollmilch und Nougat sowie einer begrenzten Range-Ergänzung um Traube-Nuss, Kakao oder Mokka. Auch der traditionelle Bierkonsum in Deutschland kam noch ohne die Vielzahl an Bier-Pre-Mixgetränken aus, die inzwischen auf dem deutschen Markt boomen; die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

Aber nicht nur die Produktwahlmöglichkeiten haben sich durch neue Varianten, Sortimentserweiterungen oder gar "echte" Innovationen deutlich erhöht. Auch die Marketing-Kanäle, über die die Produkte mit dem Verbraucher in Kontakt treten und Einfluss auf das Kaufverhalten nehmen, haben sich besonders in den letzten zehn Jahren deutlich gewandelt. Wir verzeichnen einen starken Anstieg von TV- und Radio-Sendern, häufigere und längere Sendezeiten für Werbeblöcke, neue Formen des Sponsorings oder weiterentwickelte Formen der Außenwerbung. Das damals noch nicht existierende Internet hat neben seiner Funktion als Werbeträger mit Bewertungen, Erfahrungs- und Testberichten in Internetforen oder Weblogs einen zunehmenden Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg von Konsumgütern. Diesen neuen Marktverhältnissen müssen auch STM-Verfahren gerecht werden, wenn sie den Anspruch erheben, möglichst genau den Absatzerfolg neuer Produkte prognostizieren zu können.

Was aber sind in diesem modernen Umfeld die Faktoren, die einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg von Launches, Re-Launches oder Line-Extensions haben?

Neben den immer schnelleren Reaktionen der Wettbewerber in Form von Preisreaktionen oder Gegenkampagnen nimmt ein Faktor zunehmend Einfluss auf die individuellen Kaufentscheidungen von Verbrauchern – das Word of Mouth (WOM).

Der Einfluss des Word of Mouth auf die Kaufbereitschaft nimmt zu

Der Effekt des Word of Mouth, also des direkten Meinungsaustausches zu Produkten in der realen wie in der virtuellen Welt, kann bewirken, dass der Konsument Produkte oder Produkteigenschaften für sich entdeckt, die er in dieser Form noch nicht kannte oder erst jetzt als spannend und reizvoll empfindet. In die andere Richtung führen schlechte Erfahrungen mit einem Produkt. Hierauf reagiert der Konsument selbst mit Enttäuschung oder Abwendung, noch fataler für das Produkt aber eventuell sogar mit aktivem Abraten bei anderen Personen. Word of Mouth ist vor allem deshalb für die Erfolgsprognose relevant, weil es sich zu einer Art Entscheidungshelfer in einer Einkaufswelt zunehmender Produktalternativen entwickelt hat. Urteile von Vertrauenspersonen, seien es Freunde, Meinungsbildner oder vermeintliche Experten im Bekanntenkreis, sind oftmals willkommene Ratgeber. Aus Gründen der realistischen Einschätzung einer Absatzentwicklung sollte daher auch Word of Mouth in ein Prognosemodell aufgenommen werden.

Eine Vielzahl an Medien und Produktkategorien, aber auch neue Marketing-Kanäle und das Phänomen das Word of Mouth setzen den Rahmen für die Anforderungen, die eine moderne Erfolgsprognose von Konsumgütern heute erfüllen muss. Wie aber gelingt es, die tatsächlichen Verbrauchergewohnheiten zu erfassen?

Wie werden tatsächliche Verbrauchergewohnheiten erfasst?

Für eine Absatzschätzung ist es unabdingbar, das tatsächliche Verbraucherverhalten zu kennen. In einer direkten Verbraucher-Befragung erhält man aber eine beabsichtigte Verhaltensweise in Bezug auf den zukünftigen Verbrauch. Dies ist noch nicht identisch mit den realen Verbrauchsgewohnheiten und kann von den tatsächlichen späteren Verhaltensweisen der Konsumenten deutlich abweichen.  Befragte neigen in der Regel zum "over-claiming". Für eine realitätsnahe Erfassung des Verbrauchs von Marken, Häufigkeiten und Mengen im Haushalt liegt die Lösung in der Berücksichtigung von tatsächlichen Nutzungsgewohnheiten in der Kategorie, wie sie beispielsweise in einem Haushaltspanel vorliegen. Eine Kalibrierung an Haushaltspanel-Daten stellt sicher, dass sich die Antworten der Befragten zum beabsichtigten Verbrauch an der Realität orientieren und für Korrekturen keine Norm-Datenbank - wie bei Macro-Models - für die Prognose erforderlich ist.

Wie verlässlich ist eine individuell geäußerte Kaufbereitschaft?

Die Kaufabsicht ist eines der zentralen Maße für eine Volumenschätzung. Klassischerweise wurde sie auf der 5-stufigen Kauf-Skala gemessen und mit Erfahrungswerten und Referenzgrößen gewichtet. Die zunehmende Vielfalt von Alternativen am Point of Sale zwingt jedoch zu einer geänderten Betrachtung dieses Entscheidungsprozesses, denn nur bei geringer Auswahlmöglichkeit ist die Entscheidung für den Käufer vergleichsweise einfach. Deshalb – und auch dies ist eine Optimierung in der Prognose – ist es sinnvoller, die Kaufabsicht im Kontext des Einkaufsverhaltens in der jeweiligen Kategorie zu erfassen. Mit anderen Worten: Die Rolle des entsprechenden Produktes im Umfeld der Kategorie ist relevanter für die Prognose der Kaufentscheidung als die - unabhängig vom Umfeld - geäußerte Kaufbereitschaft.

Der ideale STM

Joe Willke, Präsident von ACNielsen BASES, hat schon im Jahr 2002 in treffender Weise die Kriterien für einen idealen STM charakterisiert und damit eine Lanze für Micro-Modelle gebrochen: „STMs will need to forecast entirely at the individual level, not just trial and repeat probabilities. They will need to allow for different marketing plans for each individual and they will need to estimate different promotional and advertising elasticities for each person. Without this, forecast accuracy will decline.”

Grundsätzlich haben Micro-Modelle das größte Potenzial, da sie als einziger Ansatz in der Lage sind, jede geplante Marketing-Variable auf Personenebene zu erfassen; Kunde um Kunde, Kauf für Kauf. Es kann also personenbezogen berücksichtigt werden, ob und auch wann Marketing-Maßnahmen wie Promotionen am Point of Sale, Bandenwerbung in Sportstadien oder Sponsorings für Veranstaltungen vom Konsumenten wahrgenommen werden. Damit sind auch Berechnungen von Volumina für ausgewählte Zielgruppen und eine entsprechende Optimierung von Marketing-Plänen möglich.

Eines der neuesten Prognosemodelle, der MicroTest NouveauTM von TNS Infratest basiert auf der Wahrscheinlichkeitstheorie, die davon ausgeht, dass ein Verbraucher in einem bestimmten Zeitraum mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einer Kategorie einkauft. Im Falle des Kaufs zeigt das Modell dann, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Konsument ein bestimmtes Produkt erwirbt. Werden diese Wahrscheinlichkeiten für den Kauf eines Produktes über einen bestimmten Zeitraum und über eine größere Stichprobe aufaddiert, ergibt sich ein sehr präzises und robustes Gesamtbild.

Dabei geht man für jede Person von einer Basis-Kaufwahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Produkt aus, die sich erhöht, wenn Marketingaktivitäten wie Werbung, Rabatte oder Promotions hinzukommen. Umgekehrt sinkt diese, wenn beispielsweise der Wettbewerb aktiv wird und ebenfalls Preissenkungen vornimmt. Die Wahrscheinlichkeit sinkt auch, wenn überwiegend schlecht über das Produkt gesprochen wird.

Negativbewertungen durch Verbraucher in Internetforen oder Blogs können dabei deutliche Bremsspuren beim Absatzerfolg hinterlassen.

Die detaillierte Informationserhebung und das Prinzip der personenbezogenen Betrachtung der Erhebungsdaten zieht sich konsequent durch bis zu den individuellen Kaufvolumina und ermöglicht so eine Einsicht in die Einzelmotivationen von Kaufentscheidungen. Damit lassen sich jederzeit Prognosen für beliebig definierte Zielgruppen erstellen, die im Gesamtsample enthalten sind. Die Kenntnis der Einzelvolumen in der Testgruppe ermöglicht es, über Hochrechnung auf die Anzahl der infrage kommenden Haushalte in einem Land ein Gesamtvolumen zu ermitteln: Die Absatzprognose.

Höhere Präzision in der Erfolgsprognose möglich

Neue Möglichkeiten ergeben sich auch beim Marketing-Input, der für die präzise Erfolgsprognose wichtig ist: Sämtliche Marketing-Maßnahmen, die ein Hersteller für relevant erachtet und damit einer möglichst genauen Abbildung der Realität dienen, werden einbezogen. Und sie können in frei gewählten Intervallen, beispielsweise wöchentlich, monatlich oder quartalsweise berücksichtigt und so sinnvoll der Dynamik einer Produktkategorie angepasst werden.

Können Prognosezeiträume flexibel gewählt werden?

Eine traditionelle marktforscherische Vorgehensweise im Rahmen der Erfolgsprognose besteht darin, Prognosesysteme auf Zeiträume von ein und zwei Jahren nach Launch bzw. Re-Launch  anzulegen. Dies mag für einen Großteil der schnell drehenden Konsumgüter hinreichend hilfreich sein. Bei besonders dynamischen Märkten wie Erfrischungsgetränken oder Milchprodukten, die saisonal bedingte Hochphasen haben, sind kürzere Prognosezeiträume sinnvoll.

Frei wählbare Prognosezeiträume kommen der präziseren Marketing-Planung also ebenso zu gute wie die Möglichkeit, für gleiche Zeiträume alternative Szenarien zu simulieren. Je genauer der Input an geplanten Marketing-Maßnahmen, desto genauer ist die Prognose. Daher wird empfohlen, möglichst realistische Einschätzungen hinsichtlich der verfügbaren Ressourcen und der Entwicklung der Distribution zu machen und diese in die Berechnung einzugeben. Das Simulationsmodell lässt auch zu, von alternativen Voraussetzungen auszugehen. Unter einer optimistischen Annahme hieße das: „Welches Volumen würde ich erzielen, wenn die Distribution besser verläuft, und/oder mehr Mittel in Werbung oder Promotionen investiert würde?“ Im Umkehrschluss kann dies aber auch bedeuten, dass die entsprechende Prognose mit reduziertem Marketing-Input als „pessimistische“ Annahme gerechnet wird. Grundsätzlich kann jeder beliebige Input und jeder beliebige Zeitraum problemlos prognostisch simuliert werden. Daher eignet sich dieser Ansatz auch zur schnellen Überprüfung alternativer Marketing-Strategien bzw. zur Optimierung der Variablen, die zum Erreichen eines Action Standards führen.

Ein hoher Excitement-Faktor treibt den Erfolg eines Produktes nachhaltig an

Um die Nachhaltigkeit eines Absatzerfolgs abschätzen zu können, sollten neben dem erreichbaren Volumen auch die Treiber des Erfolgs eines Produktes betrachtet werden. Erfolgreiche Produkte zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich merklich von anderen Produkten unterscheiden (Uniqueness) und dieser Unterschied als persönlicher Vorteil empfunden wird (Relevanz). Eine weitere Dimension sollte dabei aber nicht außer Acht gelassen werden: Excitement. Spannung und Reiz  sind Eigenschaften, die sowohl die erlebte Neuartigkeit als auch die Kaufbereitschaft erhöhen. Verbraucher nehmen Produkte mit einem hohen Excitement-Faktor als neu und besonders wahr. Mögliche Kaufbarrieren werden leichter überwunden und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Produkt gekauft wird.

TNS Infratest verfügt zudem über eine globale Innovations-Datenbank mit über 40.000 Fällen, die neben der Ermittlung von relativen Gewinnern und Verlierern im Test auch das Benchmarking der Testkonzepte gegen andere Konzepte in der jeweiligen Kategorie ermöglicht.

Fazit

Modelle, die den Anspruch erheben, Absatzvolumen für Produkte präzise prognostizieren und Erfolgsfaktoren diagnostizieren zu können, müssen in der Lage sein, den heutigen Marktrealitäten Rechnung zu tragen.

Die wichtigsten Anforderungen an die moderne Erfolgsprognose für Konsumgüter:

  • Jede geplante Marketing-Variable wird auf Personenebene zugeordnet. Es wird also personenbezogen berücksichtigt, ob und auch wann Marketing-Maßnahmen wie Promotions am POS, Werbung oder Sponsoring für Veranstaltungen vom Konsumenten wahrgenommen werden
  • Wettbewerberreaktionen können berücksichtigt und deren Auswirkungen auf die individuellen Kaufwahrscheinlichkeiten berechnet werden
  • Word of Mouth wird in der Befragung miterfasst und in der Berechnung berücksichtigt
  • Die Kalibrierung an Haushaltspanel-Daten stellt sicher, dass sich die Ergebnisse an der Realität orientieren
  • Es ist keine Norm-Datenbank - wie bei Macro-Models - für die Prognose erforderlich
  • Neben der reinen Volumenprognose werden auch Markterfolgsfaktoren erfasst und im Kontext der globalen Datenbank von TNS Infratest mit über 40.000 Fällen analysiert

So ändert sich also nicht nur die Welt der Verbraucher, auch die Instrumente, die sie erforschen, unterliegen einem stetigen Wandel. Denn wie schon vor 30 Jahren geht es auch heute darum, Flops zu vermeiden und Produkte mit Erfolgschancen am Markt zu platzieren.

 

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