Mit dem richtigen Preis profitabel wachsen

Von Bernd Großerohde, Director Applied Marketing Science bei TNS Infratest
Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung in einem reifen Markt Wachstumsziele erfüllen zu müssen. Die Aufgabe lässt sich jedoch bewältigen, wenn man weiß, welche Angebote und Zusatzleistungen aus Sicht der Konsumenten einen Mehr-Wert gegenüber Konkurrenzprodukten liefern. Diese Mehrzahlungsbereitschaft von Kunden gilt es für die Produkt- und Preispolitik zu nutzen.
Umso verblüffender ist die häufig zu beobachtende Fixierung der Preisforschung auf die Preissensibilität von Konsumenten. Preisforschung habe sich, so das Verständnis der Anwender, mit Preisen und deren Wirkung auf Käufer zu beschäftigen. Was zwar keine ganz falsche, aber eben doch eine sehr einseitige Sichtweise ist.
Preisempfindlichkeitsforschung
Es ist – buchstäblich – bezeichnend, dass so viele Methoden das Wort „Preis“ oder die entsprechende englische Vokabel im Namen führen. Das „Price Sensitivity Measurement“ (auch als PSM oder „Van Westendorp Methode“ bekannt) fragt beispielsweise nach vier Schwellenpreisen: Ab welchem Preis ist das betreffende Produkt „günstig“, „teuer“, „zu teuer“ oder „zu billig, so dass man an der Qualität zweifelt“? So wunderbar einfach die Abfrage, so problematisch ist ihre Fixierung auf das Preisempfinden. Natürlich haben Kaufentscheider eine Vorstellung davon, welchen Preis sie als „teuer“ oder „günstig“ empfinden. Aber genauso haben sie eine Vorstellung vom Wert oder Nutzen eines Produkts. Warum wird nicht danach gefragt? Die Frage nach dem teuren und nach dem günstigen Preis suggeriert, dass das wesentliche Merkmal eines Produkts eben nicht sein Wert ist, sondern sein Preis.
Bei einer anderen, immer noch beliebten Methode, dem „Brand Price Trade Off“ (BPTO), muss die Befragungsperson selbst keine Preise nennen. Sie wählt lediglich in einem Wettbewerbsszenario mit gepreisten Produkten eine der Alternativen aus. In der ersten Auswahlsituation werden alle Produktalternativen zum günstigsten Preis gezeigt. Für die zweite Auswahl wird das zuvor präferierte Produkt um eine Preisstufe teurer angezeigt, während alle anderen gleich bleiben. Und so geht es dann weiter: Das jeweils gewählte Produkt wird im folgenden Szenario teurer, bis die Befragungsperson angibt, dass es ihr nun reicht und sie bei diesen Preisen keines der Produkte kaufen würde.
Auch der BPTO zeigt eine fatale Fokussierung auf die Preisempfindlichkeit von Konsumenten. Die Reaktion auf Preiserhöhungen ist nur vordergründig eine valide Messung des Kaufverhaltens. Implizit wird unterstellt, dass 1. Produkte an sich keinen, oder nur einen vernachlässigbaren Wert haben (sie werden alle zum geringsten Preis angeboten!), und 2. Hersteller an einer „Preisschraube“ drehen, um Konsumenten zu übervorteilen (alles wird immer teurer!).
Neben PSM und BPTO zeigen auch viele andere Methoden, einschließlich mancher Conjointverfahren, dieselbe Vernarrtheit in Preissensibilitäten. Dabei kann Preisforschung sehr viel mehr als nur den Empfindlichkeiten von Kaufentscheidern nachzuspüren. Gerade Unternehmen, die in Innovationen und Markenwerte investieren, sollte mehr von ihr verlangen. Insbesondere sollten sie fordern, dass die Methoden das reale Entscheidungsverhalten von Käufern abbilden. Und wenn sie mit ihrer Preispolitik profitabel wachsen wollen, dann sollten sie außerdem darauf bestehen, dass Wertwahrnehmungen und Zahlungsbereitschaften zum eigentlichen Forschungsgegenstand gemacht werden. Preisforschung darf, mit anderen Worten, nicht ein Instrument zur „Preisführung“ sein, sondern muss die Markenführung mit geeigneten Preisstrategien unterstützen.
Neue Modelle für Käuferentscheidungen
Eine Erweiterung des Blickwinkels bietet die Verhaltensökonomie, die sich mit Entscheidungen von Menschen jenseits der strengen Rationalität des Homo oeconomicus beschäftigt. In der wissenschaftlichen Literatur werden Modelle zur Erklärung und Prognose von Entscheidungsverhalten unter dem Begriff „Choice Modelling“ zusammengefasst. Theorie und praktische Umsetzung werden dabei gleichermaßen von Wirtschaftswissenschaftlern und Psychologen vorangetrieben. Diese Konvergenz erlaubt es Kaufentscheidungen von Menschen neu zu verstehen: Nicht als kühle Nutzenmaximierung und nicht als bloßes „Bauchgefühl“, sondern als komplexe Interaktion von Emotion und Rationalität. Choice Models liefern uns heute sehr raffinierte Modelle mit beeindruckender Vorhersagegenauigkeit.
Wodurch unterscheiden sich diese neueren, auf Choice Models beruhenden Forschungsmethoden von herkömmlichen Verfahren der Preisforschung?
Zunächst erkennt man sie daran, dass man sie nicht erkennt. Zumindest nicht als Befragungsperson. Eine „Alles-wird-immer-teurer“ Abfolge von Entscheidungsszenarien wie beim BPTO gibt es hier nicht. Stattdessen werden die sogenannten choice tasks so zusammengestellt, dass sie ein Maximum an Informationen liefern, ohne den Befragten suggestiv in eine bestimmte Richtung zu führen. Darüber hinaus ist es möglich, Auswahlszenarien auf individuelle Befragungspersonen und deren Einkaufsgewohnheiten und -präferenzen zuzuschneiden. Dies ist sinnvoll, weil Kaufentscheidungen nicht in einem abstrakten Raum, sondern in einem konkreten Kontext aus individuellem Kaufort, -anlass und Relevant Set getroffen werden. Ein intelligentes Choice Model ähnelt also einer realen Kaufsituation und nicht einem Intelligenztest. Sie rationalisieren das Entscheidungsverhalten nicht, sondern berücksichtigen, dass Kaufentscheidungen von Menschen mit Kopf und Bauch getroffen werden. Preissensibilität ist dann EIN Faktor, der die Entscheidung beeinflusst, aber nicht mehr DER alles dominierende Aspekt.
Neue Choice Models berücksichtigen außerdem, dass Wertwahrnehmungen und Preissensibilitäten marken- und produktspezifisch sind. Um nachhaltig profitabel zu wachsen, ist es häufig notwendig einen für Konsumenten wahrnehmbaren Mehrwert zu schaffen. Marken und Produkte mit Mehrwert für Konsumenten sind bei Preiserhöhungen weniger anfällig für Verluste. Bleiben solche Unterschiede bei der Wertwahrnehmung durch Konsumenten unberücksichtigt, dann kommt es zur Unterschätzung der Zahlungsbereitschaft für wert-volle Produkte. Preiselastizitäten müssen deshalb immer separat für jedes einzelne Produkt modelliert werden, niemals als durchschnittliche Sensibilitätskurve. Sie sind keine Eigenschaften von Märkten, sondern von konkreten Produkten in einem Markt.
Eine wissenschaftliche fundierte Modellierung des Entscheidungsverhaltens von Käufern in einer Kategorie richtet den Blick immer auf den Preis, aber gleichermaßen auch auf Wert und Nutzen von Produkten. Nur so können wertbasierte Preisstrategien für nachhaltiges Wachstum entwickelt werden.
Value-Based Pricing
Beim Value-Based Pricing geht es nicht darum, welchen Preis Sie für eine Leistung nehmen müssen, sondern welchen Preis Sie verlangen können. Alles dreht sich hier um die Frage: Welchen Nutzen verbinden Kunden mit dem Angebot und wie hoch ist ihre Zahlungsbereitschaft?
Die Herausforderung besteht darin, den Preis zu finden, der …
- die Wertwahrnehmungen genau widerspiegelt und
- im Wettbewerb bestehen kann, da Kaufentscheider ihre Wertwahrnehmungen üblicherweise relativ zu bestehenden Wahlalternativen bilden.
Da wertbasierte Preissetzungen den Konsumentennutzen zugrunde legen (und nicht nur die Selbstkosten oder die Wettbewerberpreise) lassen sich mit ihnen häufig höhere Gewinne erwirtschaften. Mit der Abschöpfung von Zahlungsbereitschaften ist die Idee des Value-Based Pricing aber noch nicht vollständig erfasst. Der Ansatz ist nur dann konsequent umgesetzt, wenn ein für Konsumenten wahrnehmbarer Mehrwert identifiziert und angeboten wird. Mit innovativen, genau auf Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Produkten kann es dann gelingen, sich nicht nur vom Wettbewerb zu differenzieren, sondern auch höhere Preise am Markt durchzusetzen.
Value Management: Wachstumschancen jenseits von Preisempfindlichkeiten
Value-Based Pricing als strategische Ausrichtung und Choice Modelling als wissenschaftlich fundiertes Forschungsverfahren sind ein unschlagbares Duo für Produktentwickung und Preisgestaltung. Diese Kombination erlaubt es, Wachstumschancen vorausschauend und systematisch zu prüfen. Anstatt auf Vergangenheitsdaten zu setzen, spielen wir mit „Was-wäre-wenn“ Simulationen zukünftige Wettbewerbsszenarien durch. Anstatt Preissensibilität von vornherein zum beherrschenden Thema zu machen, nutzen wir Bedürfnisse und Zahlungsbereitschaften von Kaufentscheidern für profitables Wachstum.
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