Mit ‚Behavioural Economics‘ zu ungeahnten Preispotenzialen

Von Dr. Florian Bauer, Vorstand der Vocatus AG
Jahrelang hat ein Phantom die Preisforschung beherrscht: Der Homo Oeconomicus. Doch dieser idealtypische Kundentyp existiert in der Realität nicht, weshalb Preisstrategien allzu oft am realen Konsumenten vorbei entwickelt wurden. Versteht man, wie Kunden tatsächlich entscheiden und berücksichtigt die Erkenntnisse der ‚Behavioural Economics‘, ergeben sich völlig neue Spielräume in der Preisgestaltung.
Weil die Suche nach dem optimalen Preis für viele Managemententscheider nicht immer ganz einfach ist, verlassen sie sich entweder auf ihr Bauchgefühl, auf Wettbewerbsvergleiche oder auf die Preisforschung. Doch obwohl die dritte Option sicherlich die beste ist, haben auch klassische Preisforschungsmethoden einen entscheidenden Fehler: Sie orientieren sich nicht an einem realen Kunden, sondern an dem „Homo Oeconomicus“. Dieser Idealtyp eines Kunden entscheidet stets rational und lässt sich nicht von Emotionen beeinflussen. Er kennt die Preise seines präferierten Produktes und vergleichbarer Alternativen und ist immer auf der Suche nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Doch betrachtet man sich den tatsächlichen Kaufprozess eines Kunden einmal genauer, wird schnell deutlich, dass Menschen bei weitem nicht so rational entscheiden: Ist ein Kunde beispielsweise auf der Suche nach einem neuen Radiowecker, wird er üblicherweise in ein Elektrofachgeschäft gehen und die dort ausgestellten Wecker vergleichen. Er trifft eine Vorauswahl von vielleicht drei Alternativen und wägt letztlich ab, ob ihm das schicke Design oder die zusätzlichen Funktionen einen Mehraufwand von 10 Euro wert sind. Entdeckt hingegen der gleiche Konsument bei einem Kaffeeröster einen Radiowecker, ist sein Entscheidungsprozess oft ein ganz anderer. Spontan überlegt er nur noch, ob er den denn nicht brauchen könnte. Im Vordergrund steht nicht mehr die Frage, wie viel er ausgeben will, sondern nur noch, ob er nicht zuschlagen soll, bevor das Angebot vergriffen ist. Dabei achtet er kaum noch auf den Preis und auch an Angebotsvergleichen ist er in dem Moment der Entscheidung nicht interessiert.
Diese besonderen Merkmale des Entscheidungsprozesses können klassische Preisforschungsmethoden nicht richtig abbilden. Alles, was aus dem Raster des „Homo Oeconomicus“ fällt, wird von klassischen Methoden (z.B. auch von der Conjoint Analyse) ausgeblendet. Aus Sicht der ‚Behavioural Economics‘ ist dieses scheinbar irrationale Verhalten hingegen vollkommen normal. In rund 50 Jahren intensiver Forschung hat sich hier ein Erkenntnisschatz gebildet, der bis heute von der Marktforschung im Allgemeinen und der Preisforschung im Besonderen noch viel zu wenig und viel zu unsystematisch reflektiert wird. Die Verhaltensökonomie berücksichtigt die tatsächlichen Motive der Konsumenten und geht nicht davon aus, dass der Preis immer das ausschlaggebende Entscheidungskriterium ist.
Kaufentscheidend sind häufig preispsychologische Aspekte
Für eine erfolgsversprechende Preisstrategie müssen Unternehmen erst das von Vocatus entwickelte „Preispsychologische Profil“ verstehen (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Das Preispsychologische Profil
Dieses geht nicht nur der Frage nach, wie ein Konsument einen bestimmten Preis bewertet. Daneben erhebt es auch Aspekte wie sein Preiswissen und sein Preisinteresse oder auch die Motive und Emotionen, die mit dem Kaufprozess verbunden sind. Außerdem berücksichtigt es, dass sich Menschen je nach Zeit, Situation und dem Point of Sale (PoS) nicht immer gleich verhalten. So wird im Supermarkt oft automatisch nach dem gewohnten Produkt gegriffen, im Elektromarkt nach Schnäppchen Ausschau gehalten und für die neue Uhr gerne mal das geplante Budget überschritten. Das „Preispsychologische Profil“ dient als Forschungsframework, das deutlich weiter geht als die klassischen Preisforschungsmethoden, wie etwa die Conjoint Analyse oder PSM. Denn diese erfassen allesamt nur einen Aspekt, nämlich die Preisbewertung – alle anderen Aspekte werden komplett außer Acht gelassen, was zu einer deutlichen Über- und Fehleinschätzung der Rolle des Preises im Entscheidungsprozess führt.
Fünf verschiedene Konsumententypen
Auf Basis dieses „Preispsychologischen Profils“ hat Vocatus in einer internationalen Studie das Verhalten von mehr als 30.000 Konsumenten in über 20 Ländern und dutzenden Branchen untersucht. Ziel war es zu verstehen, wie Kunden mit dem Thema Preis während einer Kaufentscheidung tatsächlich umgehen. Dabei konnten fünf Konsumententypen gefunden werden, die sich hinsichtlich Preiswissen, Preisrelevanz und den Emotionen, die mit dem Kaufprozess verbunden sind, grundlegend unterscheiden. Und nicht nur das: Diese fünf Kundensegmente ließen sich in allen Ländern und Branchen gleichermaßen finden – wenn auch natürlich mit einer jeweils anderen Verteilung.

Der erste Typ ist der im Volksmund bekannte „Schnäppchenjäger“. Er vergleicht intensiv Preise und Produkte und ist stets auf der Suche nach den größten Schnäppchen. Dabei kauft er durchaus auch hochpreisige Produkte – solange er einen (vermeintlich) guten Deal macht.

Ein ähnlich hohes Interesse an den Preisen hat auch der „Verlustaversive“. Doch nicht etwa weil er wie der Schnäppchenjäger Spaß am Kaufprozess hat, sondern weil er fürchtet, mit einer falschen Entscheidung über den Tisch gezogen zu werden. Dieses Misstrauen führt dazu, dass vor allem andere Faktoren, wie etwa Fairness und Sicherheit, eine entscheidende Rolle spielen.

Der dritte Konsumententyp ist der „Gewohnheitskäufer“. Für ihn ist nicht der Preis das ausschlaggebende Kriterium für einen Kauf, sondern das Produkt. Dabei verlässt er sich auf ihm bekannte Marken und Hersteller, mit denen er in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht hat.

Der „Preisbereite“ sieht den Kauf als Erlebnis. Er ist offen für Innovationen und stets auf der Suche nach neuen Angeboten. Dabei kann es auch leicht passieren, dass das ursprünglich gesetzte Preislimit in Anbetracht eines attraktiven Produkts großzügig überschritten wird.

Und schließlich gibt es den „Gleichgültigen“. Dieser Konsumententyp definiert sich durch völliges Desinteresse bezüglich des Preises – er will mit einem Kauf nur sein aktuelles Bedürfnis stillen.
Mit gezielten Marketingmaßnahmen Gewinnpotenziale ausschöpfen
Es ist höchste Zeit, sich im Preismanagement vom „Homo Oeconomicus“ zu verabschieden und sich stattdessen am realen Konsumenten zu orientieren. Für eine erfolgreiche Preisstrategie müssen die Erkenntnisse der ‚Behavioural Economics‘ berücksichtigt und die tatsächlichen Motive der Konsumenten angesprochen werden. Denn oft stehen für Kunden Aspekte wie Qualität und Vertrauen deutlich stärker im Vordergrund als der Preis.
Die hohe Kunst der Preisforschung besteht darin, die Vorteile der klassischen Preisforschungsmethoden zu nutzen, aber deren Nachteile durch eine ganzheitlichere Analyse der Rolle des Preises im Entscheidungsprozess auszugleichen oder durch entsprechende Auswertungsalgorithmen zu korrigieren (etwa mit „GAP“). Erst wenn eine Preisstrategie das vermeintlich irrationale Kaufverhalten der Konsumenten berücksichtigt, werden völlig neue Ansatzpunkte deutlich. Es eröffnen sich neue Spielräume, unnötige Preiskämpfe können verhindert und wertvolle, bislang ungeahnte Margenpotenziale ausgeschöpft werden.
Mehr zu dem preispsychologischen Ansatz finden Sie unter www.vocatus.de/preisstrategie
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