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Dr. Michaela Brocke, HEUTE UND MORGEN GmbH Menu Based Choice: Preisanalyse bei individuell gestaltbaren Produkten

In vielen alltäglichen Kaufsituationen entscheiden Konsumenten zwischen "fertigen" Produkten bzw. "vorkonfektionierten" Komplettangeboten. Beispielsweise beim Kauf von TV-Geräten, Joggingschuhen oder Pauschalreisen. Zunehmend lassen sich Produkte aber auch aus Einzelkomponenten "à la carte" selbst zusammenstellen – ganz ähnlich der Auswahl eines mehrgängigen Menüs im Restaurant. So bei der Zusammenstellung eines Neuwagens mittels Car-Konfigurator, bei der Kombination von Internet-, Telefon- und Mobilfunk-Tarifen oder bei der Gestaltung von Versicherungsprodukten mit Zusatzbausteinen und ergänzenden Services.
Das Grundprinzip lautet: Customizing First und Schaffung größtmöglicher individueller Wahlfreiheiten. Aktuell verstärkt sich dieser Trend: Angebot und Nachfrage von ganz oder teilweise aus Einzelkomponenten gestaltbaren Produkten nehmen stetig zu. Aus gutem Grund: In vielen Produktbereichen ist es für die Kunden vorteilhaft und attraktiv nach Art eines Baukasten-Systems zwischen verschiedenen Produktvarianten zu wählen und das "Endprodukt" flexibel auf individuelle Bedarfe zuzuschneiden ("Build-Your-Own"). So lassen sich beispielsweise auch Reiseangebote völlig individuell gestalten: mit oder ohne Verpflegung in unterschiedlichen Varianten, mit oder ohne zusätzliche Reiserücktritts- oder Auslandsreisekranken-Versicherungen, mit oder ohne optionale Freizeit-, Sport- oder Wellness-Angebote, mit oder ohne Mobilitätsangebote vor Ort etc.
Neue Herausforderungen für das Pricing
Doch wie sieht es bei solchen flexiblen, Menüauswahl-gesteuerten Produkten mit dem Preis als einem der zentralen Marketinginstrumente aus? Welche Konsequenzen ergeben sich bei individuell gestaltbaren Produkten für Preisanalysen und das Finden optimaler Preis-Absatz-Funktionen?
Klassische Conjoint-Ansätze greifen in komplexen Entscheidungssituationen zu kurz – sie beruhen auf dem Prinzip der Auswahl und Bewertung "fixer" Produktlösungen bei denen das Produkt nur in einzelnen Merkmalen und im Preis variiert. Bei weitgehender individueller Konfiguration eines Produkts mit vielfältigen Merkmals- und Zusatzoptionen, variiert der Preis je nach gewählten Optionen oft viel zu stark, um dies im Rahmen einer Conjoint-Analyse in einer Preis-Variable abzubilden. Bereits bei der Wahl von fünf möglichen Zusatzleistungen für ein Produkt ergeben sich 2⁵=32 verschiedene Produktvarianten, zu denen man einen Gesamtpreis abfragen könnte bzw. müsste. Aber auch elaboriertere Conjoint-Verfahren - wie das "Conditional Pricing" oder "Alternativenspezifische Designs" - stoßen methodisch schnell an ihre Grenzen, wenn vielfältige Wahloptionen mit unterschiedlichen Preisen vorliegen. Auch andere klassische Pricing-Ansätze, die ein fertiges Produkt voraussetzen - wie etwa die Preisanalyseverfahren nach Van Westendorp oder Gabor Granger - lassen sich mit steigender Zahl an Auswahloptionen nicht mehr zielführend einsetzen.
Wie lassen sich in komplexen Auswahl- und Entscheidungssituationen dennoch fundierte Preisanalysen durchführen und optimale Preissetzungen ermitteln?
Menu Based Choice (MBC) als Lösung
Mit "Menu Based Choice" (MBC) – auch: Menu Based Conjoint – steht hier ein im Vergleich zu anderen Ansätzen noch recht junges Conjoint-Verfahren zur Verfügung. Bisher ist dieses erst wenig verbreitet. Es passt aber perfekt auf die Anforderungssituation, die Zahlungsbereitschaften und Präferenzen der Kunden für ganz oder teilweise individuell konfigurierbare Produkte zu bestimmen. Den Probanden werden hier Einzelkomponenten angeboten, aus denen diese sich "ihr" bevorzugtes Produkt selbst zusammenstellen können; nach Bedarf ergänzt auch um vergünstigte Teilpakete oder Komplettbausteine innerhalb des gesamten modularen Leistungsspektrums. Wesentlicher Unterschied zum Vorgehen bei anderen Conjoint-Verfahren: beim MBC werden Preise und Merkmale direkt miteinander verknüpft, der Preis also nicht als unabhängig davon variiert.
Ablauf einer MBC-Befragung: Menüpräferenzen und Zahlungsbereitschaften ermitteln
Der Ablauf einer MBC-Preisanalyse sieht vom Muster her folgendermaßen aus:
Jedem Produktmerkmal innerhalb des gesamten Angebotsspektrums wird eine bestimmte Anzahl an Preisstufen zugeordnet, die in systematischer Weise von Aufgabe zu Aufgabe variieren. Im Gegensatz zum Vorgehen bei klassischen und anderen Conjoint-Verfahren wird beim MBC jedes einzelne Merkmal - d.h. jede einzelne Leistungskomponente bzw. jeder Zusatzbaustein - unmittelbar mit mehreren Preis-Ausprägungen verknüpft. Die Preisstufen, die pro Merkmal dargeboten werden, variieren dabei von Aufgabe zu Aufgabe. Auf diese Weise lassen sich sowohl die Präferenzen als auch die Zahlungsbereitschaften pro Merkmal und innerhalb eines (sich ergebenden) Gesamtpaketes erfassen. Der grundlegende Ablauf einer MBC ähnelt dabei einer kompositionellen Messung in adaptiven Conjoint-Analysen:
Die Befragten stellen sich wiederholt ein persönlich passendes "Idealprodukt" bzw. "Wunschprodukt" zusammen. Dabei haben sie beim MBC aber kontinuierlich die Aufgabe, zwischen Preis und Leistung abzuwägen, da die Leistungen von Aufgabe zu Aufgabe mit unterschiedlichen Preisen versehen sind. Für das in einer Aufgabe gewählte Gesamt-Paket wird den Befragten zusätzlich ein Gesamt-Preis angezeigt, so dass diese die gesamten Kosten einschätzen und ihre Wahl nach Bedarf anpassen können. Die Probanden müssen somit je nach Preiskonstellation entscheiden, ob sie z.B. eine bestimmte Zusatzleistung zum jeweils dargebotenen (Einzel-)Preis kaufen möchten oder nicht.
Je nach Produktfeld kann es darüber hinaus sinnvoll sein, "Basisprodukte" in die Analyse zu integrieren (am Beispiel einer Kfz-Versicherung: nur Haftpflicht / Haftpflicht + Teilkasko / Haftpflicht + Vollkasko). Neben der Auswahl von Basisoptionen können zusätzlich dann weitere Zusatzleistungen (Fahrerschutz, Schutzbrief, Rabattschutz, GAP-Deckung, Verzicht auf Werkstattbindung etc.) angeboten werden. Bei 3 Basisoptionen und 5 möglichen Zusatzleistungen ergeben sich dann bereits 3*2⁵=96 mögliche Produktvarianten, die mit zahlreichen unterschiedlichen Preisen versehen werden können. Allein bei drei Preisstufen pro Basis-Modell und Zusatzleistung ergeben sich insgesamt 3⁸= 6.561 mögliche Produktvarianten. Bestehen weitere Optionen der Produktgestaltung, steigt die Vielzahl der möglichen Kombinationsmöglichkeiten noch weiter an. Und damit auch die Komplexität der Entscheidungssituation - aus Kundensicht also die Frage: Welche Produkteigenschaften passen genau für mich? Was genau wünsche ich mir, und was nicht?
Genau aus diesem Bedürfnis heraus - auch in komplexen Entscheidungssituationen fundierte Analysen zu Zahlungsbereitschaften und Produktpräferenzen durchzuführen - wurde der MBC-Ansatz der Preisanalyse entwickelt (und befindet sich derzeit noch in weiterer Entwicklung).
Ist das MBC-Verfahren damit zwangsläufig auch ein besonders aufwendiger Ansatz der Preisanalyse?
Jein. Teils ist sogar das Gegenteil der Fall: Beim MBC sind in der Marktforschungspraxis meist weniger Aufgaben erforderlich als bei klassischen Conjoint-Verfahren. Dies reduziert die Befragungszeit pro Proband. Auf der anderen Seite sind im Vergleich zu anderen Verfahren aber höhere Fallzahlen erforderlich, da jedes Preislevel eines jeden Merkmals innerhalb der Gesamtstichprobe ausreichend häufig vorgelegt werden sollte. Als grobe Daumenregel sollte man bei MBC-Analysen von bis zu 1.000 Befragten ausgehen - je nach Komplexität des Merkmalssystems (Anzahl der Merkmale und der Preisstufen). Zudem gilt: MBC-Aufgaben müssen je nach Untersuchungszielen individuell gestaltet werden. Dies bedeutet einen erhöhten Aufwand in puncto Entwicklung, Flexibilität, Programmierung und Analyse.
Ergebnisse der MBC: Vielfältige Analysemöglichkeiten und differenzierte Aussagen zu komplexen Pricing-Fragestellungen
Mittels gezielter Variation der Preise über mehrere Aufgaben hinweg resultieren als Ergebnis der MBC-Analyse - vergleichbar mit denen klassischer Conjoint-Analysen - Teilnutzenwerte. Auf deren Basis lassen sich dann weitere Berechnungen durchführen; beispielsweise Preis-Absatz-Analysen oder What-If-Analysen.
Ist die anvisierte Zielgruppe breit angelegt, und sind entsprechende Stichprobengrößen gut realisierbar, bietet der erhöhte methodische Aufwand der MBC große Vorteile. Umfangreiche und detaillierte Analysemöglichkeiten lassen passgenaue Pricing-Aussagen zu und beantworten konkrete und vielschichtige Fragen des Marketings.
Mittels Marktsimulationen lässt sich für jede Auswahlmöglichkeit bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese zu den gegebenen Preisen gewählt wird (Wie viel Prozent der Befragten wählen eine bestimmte Option zu einem bestimmten Preis?). Zudem lässt sich bestimmen, welche Leistungskombinationen von den Probanden am häufigsten gewählt werden. Werden in Marktsimulationen mehrere Modelle (Produkt-Konstellationen) gleichzeitig betrachtet, lässt sich zudem die optimale Preisstruktur für das Produkt mit seinen Zusatzleistungen bestimmen.
Fazit und Ausblick
MBC ist im Rahmen des Conjoint-basierten Pricings ein sehr wichtiges und wertvolles Verfahren, um fundierte Preisanalysen auch für menüauswahlbasierte "À la Carte" Produkte aus den verschiedensten Produktfeldern vorzunehmen. In Zukunft wird der MBC-Ansatz zunehmend eingesetzt werden, da auch das Angebot und die Nachfrage nach flexiblen und modularen Produktangeboten im Markt beständig wachsen.
Aus der Perspektive der Entscheidungspsychologie gilt für die Gestaltung flexibler, individuell gestaltbarer Produkte: In zahlreichen Produktkategorien dürfte eine große Auswahl die Entscheider erfreuen, und die Anbieter- und Produktattraktivität weiter steigern. Vielen Käufern dürfte beispielsweise das Zusammenstellen eines neuen Autos mittels "Car Configurator" großen Spaß bereiten.
Auf der anderen Seite kann ein "übertrieben großes" Auswahlmenü (bzw. zu viele Entscheidungsoptionen) auch zu Frust und Überforderung führen - und das Aufschieben von Kaufentscheidungen nach sich ziehen. Insbesondere bei so genannten "Low Involvement Produkten" - bzw. bei Produkten, bei denen davon auszugehen ist, dass die Auswahl und Konfiguration des Produkts dem Entscheider nicht unbedingt Spaß bereitet oder ihn überfordern könnte - ist man daher gut beraten, die Anzahl der Auswahl- und Zusatzoptionen nicht zu groß zu gestalten. Oder parallel weiterhin auch weitgehend "fixe" Produkte bzw. "ganzheitliche" Komplettlösungsvorschläge anzubieten.
Zahlreiche Studien aus der Entscheidungspsychologie belegen, dass der Anteil der Nicht-Käufer bei zu großer Auswahl steigt. Zudem zeigen sich viele Verbraucher bei der Auswahl aus einer kleineren Menge an Optionen nach dem Kauf zufriedener als bei einer zu großen Auswahl (die eher das Gefühl zurücklassen kann, nicht die richtige Wahl getroffen zu haben). Dies heißt im Umkehrschluss aber ausdrücklich nicht, dass die Menge der Wahloptionen bewusst möglichst klein gehalten oder gar nicht erst gegeben sein sollte.
Eine gewisse Auswahl im Sinne des "À la Carte" ist kundenseitig in sehr vielen Produktbereichen durchaus erwünscht, vermag die Produktattraktivität (und damit auch die Zahlungsbereitschaft) zu steigern und folgt in der Produktentwicklung dem übergreifenden Trend zu verstärktem Customizing und Individuallösungen. Im konkreten Einzelfall gilt es hier, das richtige und passende Maß zu finden, und wo erforderlich auch nach verschiedenen Zielgruppen zu differenzieren.
Generell werden menüauswahlbasierte Produktentwicklungen auch innerhalb des gesamten Prozesses des "Product Design Thinking" zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen. Und damit auch deren fundierte marktforscherische Begleitung.
Über die Autorin
Kontakt: michaela.brocke(at)heuteundmorgen.de
sh
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