Meinungsforschung von rechts außen?

Wenn Meinungs- und Sozialforscher in den Verdacht geraten, sich parteiisch und einseitig zu äußern, sollte das eigentlich auch ein Thema in der Markt- und Meinungsforschungsbranche sein. Doch während es in der Branche bisher still bleibt, wurden Hermann Binkert und sein Institut INSA-CONSULERE in diversen Veröffentlichungen, etwa von "ZEIT" und "Spiegel" und in der ZDF-Satiresendung "heute-Show" öffentlich kritisiert. Agiert die Branche hier zu zurückhaltend? Oder ist der Umstand, dass Hermann Binkert Geschäftsführer eines deutschen Markt- und Sozialforschungsinstituts ist und sich gleichzeitig durchaus eindeutig pro AfD äußert, gar nicht verurteilenswert?
Hermann Binkert trat 1980 in die CDU ein. Von 1998 an war er persönlicher Referent der Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und anschließend Dieter Althaus. Neben anderen Positionen wurde er 2008 Staatssekretär in der Thüringer Staatskanzlei. Mit dem Rücktritt von Althaus 2009 verließ Binkert die Staatskanzlei. Im gleichen Jahr gründet er die INSA-CONSULERE GmbH mit Sitz in Erfurt. 2014 tritt er aus der CDU aus und bestreitet laut "Thüringer Allgemeine" "einen geplanten Wechsel zur AfD, der zuvor aus deren Landesverband kolportiert worden war. Er wolle sich, sagte er gegenüber dem Blatt, mit seinem Institut ‚parteipolitisch neutral‘ positionieren." Relevanz erlangen diese Aspekte aufgrund der Tatsache, dass sein Marktforschungsinstitut im Auftrag der "Bild"-Zeitung die Sonntagsfrage produziert.
Meinungsstark oder einfach nur einseitig?
Hermann Binkert veröffentlicht seit 2013 in der "Huffington Post" Texte, in denen er Wahlergebnisse und Meinungstrends einordnet und sich mit seiner positiven Sicht auf die AfD nicht zurückhält. Das Prinzip der Online-Zeitung: es gibt nur wenige Redakteure, stattdessen eine Vielzahl von Bloggern, die im Gegenzug zu einem veröffentlichten Artikel einen Verweis auf ihren Blog erhalten – bei Binkert wird auf die Website seines Instituts verwiesen. In seiner ersten Veröffentlichung vom 10. Oktober 2013 ist eine Tendenz zwar schon erkennbar, aber noch dezent formuliert: "Ganze 0,3 Prozentpunkte fehlten der Alternative für Deutschland (AfD) zum Einzug in den Bundestag. Über zwei Millionen Wählerstimmen sind ein beeindruckendes Ergebnis für eine junge Partei."
Bis September 2015 schreibt er insgesamt elf Beiträge, bei denen schon auf den ersten Blick zwei Überschriften auffallen: Am 25. März 2014 fragt er: "Volkspartei AfD?" und steigert dies im nächsten Beitrag zu: "Neue Volkspartei AfD?" In dem Beitrag, der im März 2014 veröffentlicht wurde, findet sich folgende Passage: "Die Alternative für Deutschland wird bundesweit ein Stück weit das, was die Partei Die Linke im Osten ist: Eine Volkspartei. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb die AfD nicht nur Wähler aus dem so genannten bürgerlichen Spektrum gewinnt, sondern auch ehemalige Linke-Wähler. Es sind keine Klientelparteien, sondern sprechen im besten Sinne alle Schichten der Bevölkerung an."
Später heißt es in dem Beitrag: "Ein Vierteljahrhundert nach der friedlichen Revolution in der damaligen DDR, in der sich viele hoffnungsvolle Initiativen bürgerlichen Engagements entwickelten, die sich dann aber leider nicht durchsetzten, scheint es in der politischen Landschaft der Bundesrepublik einen neuen demokratischen Aufbruch zu geben, der erstmals die Chance hat, nachhaltig zu sein. Und dabei kann man sich auf Wahlumfragen und Wahlergebnisse stützen, die dokumentieren, dass es einer für die Parlamentsfähigkeit ausreichend breiten Wählerschaft gefällt, wenn es diese politische Alternative gibt."
Von marktforschung.de auf seine Nähe zur AfD angesprochen, entgegnet Hermann Binkert: "Diese Nähe gibt es nicht. Ich bin parteipolitisch unabhängig und äußere mich nicht für oder gegen eine Partei, sondern analysiere die politische Stimmung. Die einzige Nähe, die wir in der politischen Wahlforschung anstreben, ist die zur Wirklichkeit." Ähnlich selbstbewusst und eindeutig fällt seine Einordnung der AfD in der deutschen Parteienlandschaft aus: "Die AfD steht politisch rechts von CDU/CSU und FDP. Wobei ich durchaus bezweifle, ob die Gesäßgeografie des 19. Jahrhunderts heute noch so aussagefähig ist."
Professor Manfred Güllner, Geschäftsführer von forsa, sieht hier allerdings eine deutlich stärkere Tendenz der AfD nach rechts: „Alle über die Anhänger der AfD vorliegenden Daten zeigen, dass Hans-Olaf Henkel, der frühere BDI-Präsident und zeitweiliges Mitglied der AfD, sowie andere frühere AfD-Mitglieder mit ihrer Einschätzung recht haben, die AfD sei zu einer Art NPD geworden und habe eindeutig rechtsextreme Haltungen.“
Online vs. Telefon
Mediale Aufmerksamkeit erreichte INSA im vergangenen Jahr mit vermeintlich kontinuierlich besseren Umfrageergebnissen für die AfD als es sie etwa bei forsa oder Infratest dimap gibt. Sowohl in der "heute-show" als auch in Medienberichten etwa in der "Zeit" und dem "Zapp"-Magazin tauchte die Vermutung auf, dass es bei diesen Umfragen nicht mit rechten Dingen zugehe. Die Repräsentativität des als Datengrundlage verwendeten YouGov-Panels gegenüber den telefonischen Erhebungen der anderen Meinungsforschungsinstitute wird hier in Frage gestellt.
Dem entgegnet Kai Arzheimer, Professor für Politikwissenschaft der Universität Mainz, der unter anderem zu Wahlverhalten und politischen Einstellungen forscht, gegenüber marktforschung.de: "YouGov verwendet ein Access-Panel, das heißt eine Gruppe von Respondenten, die nicht zufällig ausgewählt werden, sondern sich selbst rekrutieren, indem sie sich bei YouGov anmelden. Die Verzerrungen, die sich daraus ergeben, sollen durch Gewichtung, gezielte (quotengesteuerte) Auswahl aus dem größeren Panel sowie gegebenenfalls durch größere Fallzahlen kompensiert werden. Untersuchungen auf Basis eines Access-Panels sind damit nicht im klassischen Sinn repräsentativ, das heißt die gängigen inferenzstatistischen Verfahren greifen eigentlich nicht. Allerdings ist die Kooperationsbereitschaft bei telefonischen Stichproben, wie sie von den anderen großen Instituten verwendet werden, in den vergangenen Jahren dramatisch eingebrochen. Ausschöpfungsquoten im niedrigen zweistelligen Bereich gelten inzwischen als gut, und auch hier gibt es systematische Verzerrungen, sodass im Grunde ebenfalls eine Selbstrekrutierung vorliegt."
Holger Geißler, Vorstand von YouGov, begegnet der Kritik gegenüber Online-Umfragen auf Nachfrage gelassen: "Das sind die Kritikpunkte, die immer mal wieder gegenüber Online-Marktforschung vorgetragen werden. Schade ist dabei nur, dass die unbestreitbaren Vorteile gerne verschwiegen werden und die Vorbehalte gegenüber der telefonischen Erhebung nicht auch geäußert werden." Er kann auch die Kritik an INSA nicht nachvollziehen: "Wir arbeiten seit 2011 sehr vertrauensvoll in unterschiedlichsten Studien mit dem INSA-Institut zusammen. Das ist eine sehr gute und angenehme Zusammenarbeit. Wir schätzen das INSA-Institut sehr."
Von rechts überholt
Abgesehen von dem Verdacht die Umfrageergebnisse bei INSA seien nicht repräsentativ, zeigen "Spiegel"-Recherchen außerdem, dass der INSA-Geschäftsführer beratend für die AfD tätig war. Binkert hat demnach auf Anfragen des Nachrichtenmagazins bestätigt, Mitgesellschafter von DO Dienstleistungsoffice denken&organisieren zu sein, ein Unternehmen, das über Monate Aufträge der AfD-Landtagsfraktion erhielt. Hierbei geht es laut Spiegel-Recherchen etwa um die Erstellung von Redemanuskripten und die Erarbeitung eines Arbeitsprogramms für die AfD-Landtagsfraktion. Von marktforschung.de auf die beratende Tätigkeit von INSA selbst angesprochen, sieht Hermann Binkert keine Bedenken: "Wir beraten alle unsere Kunden, für die wir Umfragen durchführen. Wir befragen für ganz unterschiedliche Parteien und beraten sie auch."
Doch zurück zu den Äußerungen pro AfD – dürfen Demoskopen ihre politische Meinung so klar äußern, wie im Fall von Hermann Binkert geschehen? Professor Arzheimer ordnet diese Äußerungen von Hermann Binkert folgendermaßen ein: „Auch hier ist der Vergleich mit den Konkurrenten aufschlussreich: Manfred Güllner von forsa tritt seit Jahrzehnten immer wieder mit seinen politischen Ansichten an die Öffentlichkeit. Problematisch wird dies nur dann, wenn eigene Meinung und das Ergebnis der Meinungsforschung vermischt oder gar Umfrageergebnisse aus politischen Gründen manipuliert werden, was in der Vergangenheit jedem der großen Institute mindestens einmal unterstellt wurde. Insbesondere an Letzterem kann aber kein Demoskop ein Interesse haben, da es sich um Unternehmen handelt, für die Glaubwürdigkeit und nachgewiesene Expertise das wichtigste Kapital darstellen.“
Manfred Güllner äußert sich darauf angesprochen unmissverständlich: "Auch ein Umfrage- beziehungsweise Wahl- oder Meinungsforscher darf seine persönlichen politischen Ansichten haben und sie auch bei Wahlen entsprechend zum Ausdruck bringen. Nur darf er auf keinen Fall seine Forschungstätigkeit und die Darstellung und Interpretation von Forschungsergebnissen in der Öffentlichkeit dadurch beeinflussen lassen. Öffentliche Äußerungen müssen sich immer streng an den ermittelten Sachverhalten orientieren und nie mit persönlichen Präferenzen oder Einstellungen vermischt werden. Pointierte Interpretationen von ermittelten Befunden sind zulässig – die Wirklichkeit verzerrende oder manipulative Meinungsäußerungen jedoch absolut zu unterlassen. Dies würde ja auch dem Verhaltenskodex der europäischen und der deutschen Markt-, Sozial- und Meinungsforscher zuwiderlaufen."
Warum schweigt die Branche?
marktforschung.de hat auch die Branchen-Verbände ADM und BVM um Stellungnahme gebeten. Der Vorstandsvorsitzende des ADM, Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute, Hartmut Scheffler sagt auf Anfrage lediglich: "Der ADM äußert sich nicht zu einzelnen Instituten oder Studien. Wenn hier die Qualität der Durchführung infrage steht, dann sollte eine Klage beim Rat der Markt- und Sozialforschung eingereicht werden."
Zu dem Thema Erhebungsmethodik möchte auch der BVM, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher, keine Stellung beziehen. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Frank Knapp äußert sich aber zur Frage, ob sich ein Demoskop so meinungsstark zu Wort melden sollte: "Gegen eine fachliche Meinung und Einordnung von Ergebnissen spricht nichts, solange sie a) klar aus den empirischen Befunden abgeleitet sind (bzw. von diesen gestützt werden) und b) in Empfehlungen münden. Reine politische Thesen fallen natürlich nicht darunter, die sollte man nur als Privatperson äußern, was ich aber bei Personen des öffentlichen Lebens auch nicht empfehlen würde, weil es da keine 'Privatperson' mehr gibt. Herr Binkert dürfte da aber mangels Bekanntheit nicht darunterfallen."
Alles in Ordnung also? Haben große Nachrichten- und Medienmagazine Zusammenhänge konstruiert, wo keine sind? Selbst wenn die gegen Hermann Binkert erhobenen Vorwürfe der Nähe zu einer Partei, die für einige deutsche Spitzenpolitiker ein Fall für das Bundesverfassungsgericht ist, bis hin zu einer deutlich positiven Interpretation von Umfrageergebnissen zugunsten eben dieser Partei haltlos wären, bleibt die Frage, warum die mediale Wahrnehmung des Themas die Branche nicht auf den Plan ruft.
dr
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