Herberts Welt Mein Kommentar zur Befragung "Spannungsfeld Männlichkeit" von Plan International

Selten sorgte eine Umfrage für so viel Aufsehen und bekam gleichzeitig so viel methodische Kritik wie „Spannungsfeld Männlichkeit“. Beteiligt an der Studie war auch das Düsseldorfer Institut moweb research. Geschäftsführer Herbert Höckel plädiert in seiner Kolumne dafür, die Studie zu wiederholen, damit nicht die Methodenkritik das wichtige gesellschaftliche Thema überlagert.

Herbert Höckel stellt sich der Methodenkritik zur Studie "Spannungsfeld Männlichkeit" (Bild: Herbert Höckel / Foto der FAZ).

Die moweb research GmbH führte im Auftrag von transpekte Marktforschung im Zeitraum vom 09. bis 21. März 2023 eine Online-Umfrage zum Thema „Männlichkeit“ durch. Die Ergebnisse dieser Umfrage wurden von Plan International veröffentlicht und erhielten auf Anhieb eine sehr hohe mediale Resonanz.

First things first!

Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich mich sowohl privat als auch beruflich nachdrücklich für Toleranz, Gleichberechtigung, Inklusion und Diversität in allen Lebensbereichen einsetze.

Daher bereitet es mir große Sorge, dass wir überhaupt über eine hohe Zustimmung zu Gewalt, Unterdrückung oder Dominanz diskutieren müssen.

Es bedrückt mich, dass die aktuelle Debatte über die Methodik dieser Umfrage die verdiente Aufmerksamkeit von diesem traurigen, aber gesellschaftlich wichtigen Thema ablenkt. Gleichzeitig halte ich persönlich die brisanten Erkenntnisse dieser Umfrage für plausibel und glaubwürdig.

Es ist verständlich, dass diese Debatte sehr emotional geführt wird und das Ergebnis schockierend ist. Es sollte uns jedoch daran erinnern, dass unsere Gesellschaft zwar Fortschritte gemacht hat, aber vielleicht nicht so weit fortgeschritten ist, wie wir es gerne glauben würden. Offensichtlich ist in den letzten Jahren noch nicht genug geschehen, um alte, tradierte oder patriarchalische Strukturen abzubauen und zu erneuern.

Please don’t kill the messenger!

Was mich an der aktuellen Diskussion über diese Umfrage stört und auch persönlich betrifft, ist die Neigung der Öffentlichkeit, von einem Extrem ins andere zu fallen, anstatt sich dem Inhalt selbst mit etwas Demut zu nähern.

Plan International hat nicht unsere Gesellschaft in Gänze in Frage gestellt, sondern - wie bereits zahlreiche Studien zuvor - die Probleme der Geschlechtergerechtigkeit, Gewalt gegen Frauen, Homophobie und andere problematische Rollenbilder in der Gesellschaft thematisiert. Kein seriöses Medium hat bisher auch nur im Ansatz bestritten, dass diese Probleme in unserer Gesellschaft existieren.

Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass unzählige Frauen noch immer Gewalt durch ihre Partner erleiden. Die offizielle Kriminalitätsstatistik belegt diese schockierende Tatsache Jahr für Jahr. Im Jahr „2021 wurden (…) 143.604 Opfer von Partnerschaftsgewalt polizeilich erfasst.“ Diese Zahlen sind schockierend und sollen es auch sein. (Quelle: Bundeskriminalamt, „ Partnerschaftsgewalt - Kriminalstatistische Auswertung Berichtsjahr 2021")

Aktuelle Recherchen der Zeitung Welt beim Innenministerium sowie den Landeskriminalämtern ergaben einen drastischen Anstieg der gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt. Im Jahr 2022 stiegen die Fälle von häuslicher Gewalt um 9,3% gegenüber dem Vorjahr auf insgesamt 179.179 Fälle an. Laut Artikel sind die Nachwirkungen der Corona-Pandemie als einer der Hauptgründe für diesen Anstieg anzusehen. (Quelle: Welt, „Bundesländer melden starken Anstieg bei häuslicher Gewalt“)

Auch die Leipziger Autoritarismus-Studie 2022, veröffentlicht von der Heinrich Böll Stiftung, zeigt deutlich, dass Sexismus und Antifeminismus weit verbreitete Probleme sind. Die Studie bestätigt, dass rund ein Drittel der Männer in Deutschland ein geschlossen antifeministisches oder sexistisches Weltbild hat. (Quelle: Heinrich Böll Stiftung, „Leipziger Autoritarismusstudie 2022“, S. 253)

Was ich sagen möchte, ist: Die von Plan International angesprochenen Probleme sind nicht neu. Nein, die Probleme sind bekannt und sie sind dramatisch. Wir sollten uns ihnen stellen.

Tabuthemen und Methodenkritik

Zur Methodenkritik: Die Umfrage selbst war nicht perfekt und hätte in Teilen besser umgesetzt werden können. Die Umfrage aber grundsätzlich als „unzureichend“ zu bezeichnen, ist schlichtweg falsch und bei der Bedeutsamkeit dieses sensiblen Themas nahezu fahrlässig.

Ich möchte an dieser Stelle nicht im Einzelnen wiederholen, was gut und richtig war oder was hätte besser gemacht werden können. Ich verweise daher auf die inhaltlich zutreffenden Analysen von Holger Geissler aus der vergangenen Woche sowie auf die Stellungnahme der moweb research:

  1. Sind Handgreiflichkeiten gegenüber Frauen kein Tabu mehr? 
  2. Was an der Kritik an der Studie "Spannungsfeld Männlichkeit" berechtigt ist und was nicht
  3. Stellungnahme zur Befragung "Spannungsfeld Männlichkeit" von Plan International

Wie geht’s jetzt also weiter? Mit einem Vorschlag zur Güte!

Der Ansatz der Umfrage war richtig, und das Thema ist von entscheidender gesellschaftlicher Bedeutung. Die Ergebnisse sind erschreckend: Wir müssen darüber Reden und wir müssen entschieden dagegen handeln!

Es gibt keine absolute Wahrheit, auch nicht in der Marktforschung.
Wir können ihr nur vertrauen, bis wir sie verifizieren oder falsifizieren können!

Daher appelliere ich an meine Kollegen, aber auch an die Kritiker, die Methodenspezialisten und die Analysten: Lassen Sie uns diese Umfrage gemeinsam wiederholen. Lassen Sie uns das Ergebnis zweifelsfrei belegen (oder eben widerlegen). Gemeinsam können wir das bestmögliche Erhebungsinstrument, eine repräsentative Stichprobe, eine sorgfältige Feldarbeit, einen frei zugänglichen Datensatz und ein unwiderlegbares Ergebnis erzielen.

Trotz aller Kritik, der sich Plan International und auch die beteiligten Meinungsforschungsinstitute (einschließlich meiner Person) stellen mussten, haben die letzten Tage definitiv etwas Positives bewirkt: Das explosive und emotionsgeladene "Spannungsfeld Männlichkeit" steht dort, wo es hingehört - im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, um es gesamtgesellschaftlich anzugehen.

Was auf jeden Fall NICHT passieren darf …

... ist, dass die notwendige und wichtige Diskussion rund um Gleichberechtigung, Toleranz und Gewaltfreiheit am Ende diskriminierende Schlagzeilen wie die vom Team Reichelt ertragen muss: "Wie Migration als Ursache totgeschwiegen wurde" (Quelle: Pleiteticker.de).

Versöhnlicher klingt es da schon beim Spiegel Online, wo man sich zwei Tage nach Beginn des Medienrummels wünscht, dass diese Umfrageergebnisse die nötige Motivation und Ressourcen für weitere Studien und auch Gegenmaßnahmen liefern können.

Ja, das wäre wirklich wünschenswert!

 

Über die Person

Herbert Höckel begann seine Karriere 1994 bei AMR in Düsseldorf. Nach zehn Jahren, zuletzt in leitender Position, machte er sich 2004 mit moweb research selbstständig, einem bis heute führenden Institut für digitale Marktforschung. Seit 2021 bekleidet er zudem auch die Rolle des Managing Directors von AMR Advanced Market Research. Herbert Höckel ist Autor des Buches "Customer Centricity Mindset" sowie gefragter Coach und Speaker für Marketing- und Marktforschungsthemen im DACH-Raum. Seit einigen... mehr

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moweb research

Düsseldorf

moweb research

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moweb ist ein Markforschungsinstitut. Seit 2004 inhabergeführt und unabhängig. moweb macht Marktforschung Von der Bedarfsanalyse…

Diskutieren Sie mit!     

  1. Dieter Storll am 19.06.2023
    sehr gute Stellungnahme und eine gute Idee, die Studie 1:1 zu wiederholen, damit die - wohlgemerkt wichtigen - Methodendiskussionen die Ergebnisse nicht überlagern oder sogar relativieren
  2. johannes Kirsch am 19.06.2023
    In der FAZ gab es eine gute Zusammenfassung der Ereignisse. Der Skandal ist nicht die Untersuchung, von der Sie selbst sagen:" Gemeinsam können wir das bestmögliche Erhebungsinstrument, eine repräsentative Stichprobe, eine sorgfältige Feldarbeit, einen frei zugänglichen Datensatz und ein unwiderlegbares Ergebnis erzielen", sondern die völlig unreflektierte Art, wie die Presse mit solchen Informationen umgeht. Es wird nicht geprüft, vielmehr wird wird einfach "rausgehauen" wenn es denn ins Weltbild passt. Und: Die Studie "seriös" zu wiederholen, wäre sicherlich ein großer Gewinn.
  3. Beate Meyer am 19.06.2023
    Schließe mich an. Etwas nicht optimal gelaufen? Konstruktiv korrigieren. Das gilt auch für diesen Fall, guter Ansatz, Herr Höckel. Nicht zuletzt , WEIL dieses Thema an sich eben so wichtig ist!
  4. Wildner Raimund am 19.06.2023
    Sie schreiben: "Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass unzählige Frauen noch immer Gewalt durch ihre Partner erleiden. Die offizielle Kriminalitätsstatistik belegt diese schockierende Tatsache Jahr für Jahr. Im Jahr „2021 wurden (…) 143.604 Opfer von Partnerschaftsgewalt polizeilich erfasst.“
    Leider ist das nicht ganz sauber. Aus dem Zusammenhang wird man schließen, dass mehr als 143 Tsd. Frauen Opfer wurden. Das ist aber nicht richtig: Es sind 115.342 Frauen und 28.262 Männer, was die Sache nicht besser macht. Mit solchen Nachlässigkeiten gibt man den Kritkern leider Chancen. Man muss nur sagen: "... behauptet, dass mehr als 143 Tsd. Frauen Opfer partnerschaftlicher Gewalt wurden. Diese Zahl ist nachweislich falsch und nicht durch die Statistik gedeckt." Und die schockierende Tatsache, dass mehr als 143 Tsd. Menschen und davon mehr als 80% Frauen partnerschaftliche Gewalt erleiden, geht unter.

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