Thomas Ebenfeld & Mailin Herbst, concept m Mehr als nur Blümchenwiesendenken: Nachhaltigkeit strategisch verstehen

Nachhaltigkeit ist ein Schlüsselbegriff des politisch-wirtschaftlichen Diskurses unserer Tage, doch eine genauere Analyse der psychologischen Hintergründe zeigt, dass das Verständnis des Begriffes sich gewandelt hat – und dass das Fundament des Konzeptes auf dem offenbar tief sitzenden Bedürfnis des modernen Menschen nach Wiedergutmachung wurzelt.

Der Begriff der Nachhaltigkeit bezog sich ursprünglich nur auf eine ökologische Dimension, es ging darum Rohstoffe zu gewinnen oder Produkte zu fabrizieren, ohne dabei die Umwelt in Mitleidenschaft zu ziehen. Dieses Verständnis dominiert immer noch, allerdings wird Nachhaltigkeit heute ergänzend dazu auch in einem ökonomischen und sozialen Sinne verstanden. Ein Beispiel dafür ist die "fairtrade"-Bewegung, die sich insbesondere auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und die soziale Infrastruktur auf Seiten der Erzeuger fokussiert.

Studien zufolge ist Nachhaltigkeit für zwei Drittel der Verbraucher generell im Bewusstsein präsent, nur ein Drittel interessiert sich überhaupt nicht für das Thema. Besonderes Interesse findet sich in bestimmten Segmenten, unter anderem bei ökologisch interessierten jungen Menschen, bei Eltern (die sich um die spätere Lebenswelt ihrer Kinder sorgen) sowie bei gebildeten Babyboomern und Best Agern, die Veränderungen gegenüber einem (oftmals nur gefühlten) "Früher" wahrnehmen und nun mit "gutem Beispiel" vorangehen und die Welt zum Besseren verändern wollen. Diese besonders interessierten Gruppen machen zwar allgemein nur ca. 7-10 Prozent der Kunden aus, allerdings gehören sie häufig zu den Meinungsbildnern in ihrem Umfeld oder in der Öffentlichkeit (Lehrer, Journalisten).

Die neue Initiativstudie von concept m zeigt nun, dass die Apologeten eines nachhaltigen Lebensstils diese Einstellung oftmals konfliktbeladen erleben. Insbesondere wird das eigene Vermögen, die komplexen Verhältnisse der kapitalistischen Wirtschaft korrekt zu beurteilen, im Zweifel gezogen. Auch die Frage, ob ein konsequent nachhaltiger Lebensstil überhaupt zu finanzieren ist, sorgt für immer neu auszuhandelnde Kompromisse und für Unbehagen. Und schließlich schwingt immer die Frage mit, ob das eigene Handeln an den Verhältnissen im Großen und Ganzen überhaupt etwas zu ändern vermag.

Am einfachsten haben es Produkte, die unter dem Label Nachhaltigkeit vertrieben werden, wenn der Konsument den persönlichen Nutzen sehr konkret erlebt oder ihn sich zumindest vorstellen kann, und wenn diese Produkte dem Menschen sehr nahe kommen. Nahrungsmittel, Körperpflegeprodukte und Erzeugnisse für (Klein-) Kinder können sehr davon profitieren, wenn sie unter der Flagge der Nachhaltigkeit segeln.

Insbesondere auf dieser Produktebene drückt das wachsende Bedürfnis nach Produkten auf einer nachhaltigen Basis die Sehnsucht nach einer "heilen" und "störungsfreien" Welt aus. Der Konsument will zwar Konsument bleiben, aber mit seinem Konsum zugleich eine Art von Wiedergutmachung betreiben. So, wie der Einbrecher keine Spuren hinterlassen möchte, will der Verbraucher, wenn er sich durch die Konsumhandlung schon gefühlt schuldhaft verstrickt, zumindest keinen ökologischen Fingerabdruck hinterlassen.

Langfristig wichtiger als die Produktebene für die Kommunikation ist jedoch für Unternehmen, das Thema über die Blümchenwiese hinaus zu denken. Ziel sollte die Etablierung einer strategischen Nachhaltigkeit sein.

Von einem großen und vertrauenswürdigen Unternehmen erwartet der Konsument, dass es sich dem Thema Nachhaltigkeit explizit stellt. Das gibt dem Verbraucher die Möglichkeit, eigene Konflikte mit der Nachhaltigkeit an das – in der Wahrnehmung ganz anders, viel professioneller aufgestellte – Unternehmen zu delegieren. Es wird als potenter wahrgenommen und kann deshalb auch viel mehr als das sprichwörtliche Reiskorn bewegen. Eine solche strategische Dimension der Nachhaltigkeit erleichtert dem  Verbraucher seine Kaufentscheidungen – wenn die übergreifende Strategie stimmt, sind die einzelnen Produkte gewissermaßen "entlastet".

Mit dem Thema Nachhaltigkeit lässt sich die Kompetenz und Professionalität des Unternehmens unterstreichen, das grundsätzliche Vertrauen in das Unternehmen als Produzent wird gestärkt, und die "Glaubwürdigkeit" der Produkte selbst wird betont. Zudem stärkt eine solche Aufstellung die grundsätzliche Loyalität zum Unternehmen, welches sich verantwortlich und damit "loyal zur Umwelt und zur Mitwelt" zeigt. So gesehen, ist eine strategische Hinwendung zum Thema Nachhaltigkeit eine Investition, die – im Sinne des Unternehmens – nachhaltig ist.

Zu den Autoren:

Thomas Ebenfeld ist Gründer und Managing Partner von concept m research + consulting. Er hat Psychologie und BWL in Bonn studiert und ist Absolvent der Kölner Akademie für Markt- und Medienpsychologie (KAMM).

Mailin Herbst Senior Projektleiterin bei concept m.

 

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